Draxler, ter Stegen, Sven Bender fallen für EM durch und sind Perspektive für 2014 – Nur Cacau droht Abschied auf ewig – Schweinsteiger muss weiter pausieren
Tourrettes. Diese Sache ging Joachim Löw an die Nieren. „Es war kein einfacher Moment, auch für die Spieler, die absolut enttäuscht und niedergeschlagen waren“, sagte Löw am Dienstag auf der Pressekonferenz zur Nominierung des endgültigen Kaders der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Der Prozess der Entscheidung war kurz und schmerzhaft, er kam überraschend schnell, aber tat dennoch weh. Aus 27 mach' 23, um sein Aufgebot auf die von der UEFA geforderte Zahl von Spielern zu bringen, musste Löw ein Quartett opfern.
Für den Schüler Julian Draxler, gerade 18 und mit großem Talent beschlagen, Sven Bender (23) und Torhüter Marc-Andre ter Stegen (20) gelte aber, dass sie eine Zukunft in der DFB-Mannschaft hätten. „Sie haben nicht nur angeklopft, sie haben die Tür aufgestoßen. Wir werden sie schon im August vielleicht wiedersehen“, sagte Löw weiter. Die Betroffenen konnten nach ihrem Scheitern im Casting für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine (8. Juni bis 1. Juli) am Pfingstmontag also mit einem Gefühl der Hoffnung die Heimreise antreten. Auch der bereits 31 Jahre alte Stürmer Cacau, laut Löw „integer, respektvoll und sozial“, werde nach 23 Länderspielen (6 Tore) auch für die WM 2014 in seinem Geburtsland Brasilien weiter beobachtet.
Die der speziellen Art der Auslese, mehr Spieler zu nominieren, um die überzähligen dann nach Hause zu schicken, begann Löw vor vier Jahren. Die Streichkandidaten bekamen deswegen eine Unwucht in ihrer Karriere als Fußballer. Die Beispiele Marko Marin, Patrick Helmes und Jermaine Jones (vor der EM 2008) sowie Andreas Beck (vor der WM 2010), die vor den letzten Turnieren entfernt wurden, unterstreichen das. „Da sind einige in der Versenkung verschwunden“, bestätigte Löw. Bei den insgesamt jüngeren Streichkandidaten des Jahres 2012 rechnet Löw nicht mit einem Karriereknick.
Draxler, Sven Bender und ter Stegen haben große Perspektiven, betonte Löw. „Sie sind Gewinner“, sagte der Bundestrainer. Offensivspieler Draxler zeigte im EM-Trainingslager in Tourrettes große Unbekümmertheit. „Er muss ja noch sein Abitur machen“, erklärte Löw. Statt die EM zu spielen, wird Draxler nun in Gelsenkirchen wieder zur Schule gehen.
Sven Bender hatte eine durch zwei schwere Gesichtsverletzungen geprägte Bundesligasaison und kam dadurch aus dem Rhythmus. Sein Bruder Lars, der fast genauso spielt, erhielt den Vorzug. Und bei Borussia Dortmund spielte Kollege Ilkay Gündogan eine bessere Rückrunde, was dazu beitrug, ihm den Weg in den EM-Kader zu ebnen.
Marc-Andre ter Stegen wurde das Debüt zum Verhängnis. Bei Borussia Mönchengladbach eine der zentralen Figuren des Erfolges versagten ihm gegen die Eidgenossen die Nerven. So fährt Ron-Robert Zieler als dritter Keeper zur EM. Doch trotz seiner deutlichen Kritik an der Leistung sagte Löw auch: „Ter Stegen wird seinen Weg machen.“ Cacau flog aus dem Kader, weil er zu wenig beim VfB Stuttgart spielte und Löw inzwischen in Marco Reus eine neue Sturm-Alternative fand.
Für den gebürtigen Brasilianer ist das ein schlechtes Omen – wie damals für das Trio Marin, Helmes und Jones. Sie tauchten nicht mehr auf. Jones wurde bekanntlich US-Nationalspieler. Besonders bitter war es für den Hoffenheimer Andreas Beck. Nach den Ausfällen von Michael Ballack, Heiko Westermann und Christian Träsch musste nur noch einer für Südafrika aus dem vorläufigen Aufgebot gestrichen werden. Es war Beck.
Aber schon vor Löw sortierten andere ais. Für Franz Beckenbauer war es als Teamchef zum Beispiel das „Schlimmste, einem Spieler seinen Traum zu zerstören“. Vor der WM 1986 traf es Wolfgang Funkel, Heinz Gründel, Frank Mill und Guido Buchwald, dem unter anderem Norbert Eder vorgezogen wurde. Der Stopper von Bayern München war zuvor ohne Länderspiel, machte aber bis auf das Finale gegen Argentinien (2:3) alle Spiele. Vor der WM 1990 flog im letzten Moment Holger Fach aus dem Kader. Eine gute Karriere in der Bundesliga machte er trotzdem. Das sollte auch Löw Streichkandidaten ein Trost sein.
Bei der EM-Generalprobe gegen Israel kann Löw unterdessen wohl noch nicht seine Wunschformation für das Turnier in Polen und der Ukraine aufbieten. Der Bundestrainer muss am Donnerstag (20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf abendblatt.de) in Leipzig voraussichtlich ohne den angeschlagenen Bastian Schweinsteiger antreten, außerdem wolle er den letzten Test noch einmal für einige personelle Experimente nutzen.
Bei Schweinsteiger will Löw jedes „Risiko minimieren“. Der Mittelfeldchef vom FC Bayern München trainiert deswegen auch in Südfrankreich weiterhin nur individuell. „Er hat einen Bluterguss in der Wade, mit dem er im Champions-League-Finale 115 Minuten gespielt hat. Das macht die Sache schwieriger als gedacht“, berichtete Löw. „Wenn von ärztlicher Seite ein Einwand vorhanden ist, werde ich einen Teufel tun und einen Spieler angeschlagen in ein Spiel schicken.“
Löw kündigte zudem an, dass Kapitän Philipp Lahm gegen Israel auf der linken Seite verteidigen wird. Eine Entscheidung für das Turnier sei damit aber noch nicht getroffen. Rechts soll in Leipzig Lahms Bayern-Kollege Jérome Boateng spielen. In der Innenverteidigung plant Löw mit dem Duo Per Mertesacker und Holger Badstuber.
Nach der 3:5-Niederlage in der Schweiz bezeichnete der Bundestrainer ein Erfolgserlebnis beim letzten Test vor der Europameisterschaft als „wünschenswert“. Ein überzeugender Sieg würde der Mannschaft „einen Schub geben“ für den Endspurt der Vorbereitung.
Ausgerichtet sei die Trainingsarbeit aber weiterhin ganz auf den 9. Juni. Im ersten Gruppenspiel gegen Portugal müsse man „voll im Saft stehen“. Trotz der aufgedeckten Schwachstellen gegen die Schweiz bleibt Löw für die EM-Mission zuversichtlich: „Wir werden stabiler sein, wenn das Turnier beginnt, wacher, dynamischer.“
An der offensiv ausgerichteten Spielweise der Nationalmannschaft will Löw konsequent festhalten. „Im Mittelfeld baue ich auf drei spielstarke zentrale Spieler. Wir werden nicht davon weggehen, weil wir einmal fünf Gegentore bekommen haben“, sagte der Chefcoach.
Die voraussichtliche Aufstellung gegen Israel
Neuer – Boateng, Mertesacker, Badstuber, Lahm – Khedira, Kroos - Müller, Özil, Podolski – Gomez
Mit Material von sid und dapd