Essen. Die Klub-WM bringt eine enorme Belastung mit sich, kritisiert DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig. Die Entwicklungen beim DFB sieht er positiv.
Dies ist der zweite Teil des großen Interviews mit Andreas Rettig. Den ersten Teil mit seiner Kritik an der WM 2034 in Saudi-Arabien und der positiven Entwicklung der Nationalmannschaft lesen sie hier.
Neben dem Rasen hat sich der DFB neu aufgestellt, unter anderem kamen Rudi Völler als Direktor für die Herren-Nationalmannschaft, Nia Künzer für die Frauen und Hannes Wolf für den Nachwuchs. Wie zufrieden sind die mit dieser Aufstellung.
Im Fußball würde man sagen: Alle sind Verstärkungen. Und ich stelle bei den Kollegen den gleichen Effekt fest wie bei mir: Die haben richtig Spaß an der Arbeit. Mit welcher Begeisterung etwa Rudi Völler nach all dem, was er im Fußball schon erlebt hat, diesen Job macht, ist irre. Mit welcher Leidenschaft Nia Künzer hier eingestiegen ist und den Frauenfußball voranbringt. Das ist ansteckend und das ist fürs Haus viel wert. Ich könnte mir aktuell keine bessere Aufstellung vorstellen.
Hannes Wolf hat dem Thema Nachwuchsförderung viel Sichtbarkeit verschafft.
Hannes ist ein Sechser im Lotto. Ich habe selten jemand erlebt, der eine solche intrinsische Motivation für die Trainingsphilosophie Deutschland hat. Den können Sie nachts um drei wecken und dann schafft er es, Ihnen die Prinzipien nicht nur zu vermitteln, sondern sie dafür zu begeistern. Das ist famos, mit welcher Hingabe er dabei ist.
2024 ging es aber auch darum, den Haushalt auszugleichen. Sprich: die Ausgaben ordentlich zu kürzen. War es ein schmerzhaftes Jahr für den DFB?
Ganz klar ja. Daher muss man den Mitarbeitern einen großen Dank aussprechen. Es ist ja leicht zu erkennen, warum das Defizit entstanden ist: Durch den sportlichen Misserfolg der Männer sind die Einnahmen weggebrochen, gleichzeitig sind die Kosten etwa durch den neuen Campus gestiegen. Das hat schmerzhafte Entscheidungen erfordert. Aber aus dieser wirklich schwierigen Situation haben wir uns alle gemeinsam befreit. Natürlich zuvorderst durch die großartige Arbeit, die Mannschaft und Trainerteam gemacht haben, das überstrahlt alles. Aber es gehören alle dazu. Hier arbeitet die gesamte Fußballfamilie zusammen. Grundvoraussetzung dafür ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Bernd Neuendorf und Aki Watzke, ohne dessen Unterstützung übrigens auch ich nicht an Bord gekommen wäre. Natürlich können beide auch in der Sache streiten, aber das passiert nicht in der Öffentlichkeit und am Ende trifft man immer eine gemeinsame Entscheidung. Das war nicht immer so und zeichnet die beiden und das aktuelle Verhältnis zwischen DFB und DFL aus.
Blicken wir voraus auf 2025. Was erwarten Sie von der EM der Frauen in der Schweiz?
Wir haben viele reisefreudige Fans, von daher gehe ich davon aus, dass wir in der Schweiz starke Unterstützung haben werden. Ich verspüre große Vorfreude bei Trainer Christian Wück und Nia Künzer als zuständige Direktorin. Die beiden haben es schon geschafft, eine Aufbruchsstimmung zu kreieren, die im gesamten Team zu spüren ist. Aber ich will keine Prognose abgeben, ein Turnier hat immer eine Eigendynamik. Wir sind sehr optimistisch, dass wir es besser machen als zuletzt.
Das ist allerdings nicht so schwer nach einem WM-Vorrundenaus.
Sich stetig zu verbessern, wäre ja schon einmal ein guter Anfang.
Bei den Männern steht die Nations League an. Was für einen Stellenwert hat das Turnier in ihren Augen?
Ich bin ehrlich: Ich konnte mit dem Wettbewerb zunächst auch weniger anfangen. Inzwischen bin ich näher dran und kann den Reiz schon erkennen. Wenn man sieht, wie Julian Nagelsmann uns alle darauf einschwört, diese Nations League zu gewinnen, dann weiß man, dass das ernstgenommen wird. Das ist auch gut so. Deutschland gegen Italien ist für mich als Fußballnostalgiker großartig, ich denke da natürlich leider an Rivera, aber auch an Schnellinger. Wir alle freuen uns unglaublich auf das Spiel in Dortmund und ich wünsche mir einfach nur ein Jahrhundertspiel (lacht).
Dabei hat Deutschland 1970 das Jahrhundertspiel gegen Italien verloren.
Dann korrigiere ich mich: Ich wünsche mir ein erfolgreiches Jahrhundertspiel.
Die Nations League findet nur knapp vor der Klub-WM statt.
Das ist tatsächlich ein Spannungsfeld, über das wir mit den Klubs sprechen müssen. Ich verstehe den ökonomischen Antrieb der teilnehmenden Klubs, aber dieser Wettbewerb ist ein gewaltiges Problem, was die Belastung angeht, das geht schon an die Grenze. Wenn man den Spielplan insgesamt betrachtet, ist die Belastungsspirale absolut grenzwertig. Da müssen wir sehr genau überlegen, denn alle Entscheidungen, die wir jetzt mit Klubs über mögliche Einsätze treffen, haben ja Auswirkungen auf die nächste Saison, aber auch auf die nächste Weltmeisterschaft im Sommer 2026. Es muss gut durchdacht werden, wann wir welchem Spieler welche Freiräume zur Regeneration bieten.
Ist diese Belastungsspirale irgendwann mal zu stoppen oder gar umzukehren?
Meiner Meinung nach ist jetzt schon die eine absolute Grenze erreicht. Noch mehr Spiele wären nur noch möglich durch die Ausweitung des Kalenders auf 400 Tage. Aber Spaß beiseite: Fifa und Uefa kämpfen um jedes Zeitfenster. Da würde ich mir wünschen, dass man zu einem verantwortungsvolleren Blick auf die Belastung der Spieler kommt.
Sind Sie zuversichtlich, dass es so kommt?
Als Rheinländer bin ich Optimist, das bleibe ich auch – aber man hat natürlich Zweifel.
Solche Turniere führen auch dazu, dass die finanzielle Kluft zwischen den großen und den kleinen Klubs immer weiter wird. Schadet die zunehmende Ungleichheit dem Fußball?
Es ist nicht meine Aufgabe, über die Verteilung der Gelder im Profifußball zu reden. Als Sportgeschäftsführer wünsche ich mir aber bei den anstehenden Verteilungsdiskussionen, dass die Nachwuchsförderung einen deutlich höheren Stellenwert bekommt.
2025 wird auch politisch ein wichtiges Jahr. Die Bundestagswahl steht an, die Kräfte an den Rändern werden immer größer. Wie blicken Sie darauf?
Als wir bei der EM in Dortmund gegen Dänemark gespielt haben, bin ich am Vormittag nach Essen gefahren, um an einer Demo gegen Rechts teilzunehmen. Das Thema berührt mich. Die Entwicklung bereitet mir schon große Sorgen – jede Form von Extremismus, ob links oder rechts. Deswegen bin ich fassungslos, wenn in der heutigen Zeit von Volksvertretern Kriegsrhetorik in der politischen Auseinandersetzung verwendet wird. Diese hat hier nichts verloren und ist für mich nicht zu akzeptieren.
Da Sie gerade die EM noch einmal erwähnten: Anfang des kommenden Jahres erscheint die Doku dazu. Sie haben sie sicher schon gesehen.
Natürlich. Aber auch da ist uns die Botschaft dahinter wichtig: Der DFB hat bewusst entschieden, sie nicht hinter einer Bezahlschranke zu verstecken, sondern im frei empfangbaren Fernsehen bei RTL laufen zu lassen. Wir hätten sie für viel mehr Geld verkaufen können, das haben wir nicht gemacht. Das ist auch ein Dankeschön an die Menschen in Deutschland, die wir in den zehn EM-Städten vorab zur Kino-Premiere einladen. Weil wir ihnen viel zu verdanken haben.