Baden-Baden. In Baden-Baden feiert der deutsche Sport seine Besten – und einige ganz besondere Geschichten, die das Jahr gebracht hat.

Natürlich ist dieser Vergleich unfair, Oliver Zeidler kann ihn nur verlieren. Als zu später Stunde im prunkvollen Kurhaus von Baden-Baden der DJ die Lautstärke nach und nach erhöht, findet sich Zeidler bald neben Darja Varfolomeev wieder. Er Ruderer, sie Rhythmische Sportgymnastin – da ist klar, wer sich geschmeidiger über die Tanzfläche bewegt. Die fehlende Anmut aber macht der 2,03-Meter-Hüne mit seinem Enthusiasmus mehr als wett. Feiern kann der 28-Jährige, nachdem er im Sommer bei den Olympischen Spielen in Paris Gold holte, wurde so manches über eine wilde Party im Deutschen Haus erzählt, der auch ein Teil der Beleuchtung zum Opfer fiel.

„Ich hab mich ein bisschen gewundert, dass ihr mich noch eingeladen habt – ins Deutsche Haus durfte ich zwischendurch nicht mehr“, hat Zeidler früher am Abend grinsend gesagt – als er im prachtvoll dekorierten Benazetsaal die Auszeichnung als Sportler des Jahres entgegennimmt. Aber natürlich war das keine Option nach diesem Sportjahr, in denen Zeidlers Geschichte zu den ganz besonderen gehörte.

Es ist ein olympisches Jahr, auf das der deutsche Sport an diesem Abend in Baden-Baden zurückguckte, entsprechend finden sich sehr viele Athletinnen und Athleten, die in Paris dabei waren, unter den jeweils 15 Namen, die die Sportler selbst vorgeschlagen haben als Sportler des Jahres, Sportlerin des Jahres und Mannschaft des Jahres. Fußballer sind zwar auch vertreten, Bayer Leverkusen landet nach seiner Fabelsaison am Ende sogar auf Platz zwei bei den Mannschaften – allerdings mit gewaltigem Abstand.

Ein besonderer Moment: Yemisi Ogunleye, Olympiasiegerin im Kugelstoßen, wird bei der Gala „Sportler des Jahres“ von ihrem Gospelchor überrascht und singt spontan mit.
Ein besonderer Moment: Yemisi Ogunleye, Olympiasiegerin im Kugelstoßen, wird bei der Gala „Sportler des Jahres“ von ihrem Gospelchor überrascht und singt spontan mit. © dpa | Bernd Weißbrod

Zu Beginn des neuen olympischen Zyklus, der mit den Spielen in Los Angeles 2028 enden wird, landen jene ganz oben, deren Geschichten auch der Traumfabrik Hollywood entsprungen sein könnten. Da ist die, die sich als junges Mädchen aufmachte aus Sibirien ins fremde Deutschland, wo sie die Sprache und die Menschen nicht kannte, um sich ihren großen Traum zu erfüllen – und das auf fulminante Weise geschafft hat.

In Tokio erlebte Oliver Zeidler die größtmögliche Enttäuschung

Da sind die, die aus dem Nichts kamen, die sympathischen Underdogs, die dank unerschrockenem Auftreten und großem Zusammenhalt das scheinbar Unmögliche möglich gemacht haben. Und da ist der Held, der durch ein tiefes Tal gegangen ist, der die ultimative Enttäuschung erlebte, daran zu zerbrechen drohte, sich aber wieder aufrappelte, kämpfte, ackerte und den größtmöglichen Triumph einfuhr.

Oliver Zeidler, der 2021 schon zu den Spielen in Tokio als großer Favorit angereist war, der dort aber im Halbfinale ausschied. Gescheitert an schwierigen Bedingungen, vielleicht aber auch ein wenig an sich selbst. In Baden-Baden erzählt er nun von der psychologischen Betreuung, die er brauchte, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen.

Ruderer Oliver Zeidler gelang in Paris eine Machtdemonstration

Um dann in Paris schon in der Qualifikation einen Olympischen Rekord zu rudern und das Finale mit mehreren Bootslängen Vorsprung zu gewinnen. „Das ist das, was ich mir über die letzten drei Jahre mit viel Schweiß und Tränen erarbeiten musste, sagte er nun. Und über seine Gefühle nach der Machtdemonstration im Stade Nautique: „Man fühlt sich eine Tonne leichter, weil man seinen Lebenstraum erfüllt hat.“

Deutlich knapper fällt die Wahl zum Sportler des Jahres aus, nur 47 Punkte trennen Zeidler von Lukas Mertens, der in Paris zu Gold über 400 Meter kraulte – eine Winzigkeit angesichts von rund 3000 stimmberechtigten Sportjournalisten.

Darja Varfolomeev trotzte bei Olympia dem gewaltigen Druck

Ähnlich eng geht es bei den Frauen zu: Darja Varfolomeev hat 79 Punkte mehr als Yemisi Ogunleye, die in Paris völlig überraschend Gold geholt und mit ihrer natürlichen Art begeistert hatte. Doch Varfolomeevs Geschichte überzeugte dann doch einige Journalisten mehr: Erst mit 12 war sie aus Sibirien ins beschauliche Fellbach-Schmiden gekommen. Sie konnte zwar kein Deutsch, hatte aber eine klare Hoffnung: dass sie hier die bestmögliche Förderung erfahren würde, um eine Spitzenathletin in der Rhythmischen Sportgymnastik zu werden.

Ausnahmeathletinnen unter sich: Angelique Kerber (rechts) übergibt die Auszeichnung als Sportlerin des Jahres an Darja Varfolomeev.
Ausnahmeathletinnen unter sich: Angelique Kerber (rechts) übergibt die Auszeichnung als Sportlerin des Jahres an Darja Varfolomeev. © dpa | Bernd Weißbrod

Es gelang auf fulminante Weise: 2023 räumte sie bei den Weltmeisterschaften alle fünf möglichen Goldmedaillen ab und ein Jahr später hielt sie mit gerade einmal 18 Jahren dem gewaltigen Druck stand, turnte als große Favoritin souverän zu Gold in einer Sportart, die selbst kleinste Fehler hart bestraft und in der noch nie eine Deutsche Gold geholt hatte. „Wir hatten so viel Stress in der Vorbereitung, wir wussten, dass die Chance sehr groß für mich war“, sagte sie nun, deshalb spürte sie nach ihrem Triumph „riesige Erleichterung“.

3x3-Basketballerinnen überraschten alle – auch sich selbst

Andere arbeiten auch einige Monate danach noch an der Erkenntnis, dass sie nun Olympiasiegerinnen sind. Die 3x3-Basketballerinnen hatten ja nicht nur das ganze Land, sondern auch sich selbst gehörig überrascht. Erst mit dem letzten Wurf war die Qualifikation für Paris überhaupt gelungen. Dort räumten sie dann einen Favoriten nach dem anderen aus dem Weg – im Finale auch die scheinbar übermächtigen Spanierinnen. Sie waren ohne jede Erwartung nach Paris gereist und als Olympiasiegrinnen zurückgekehrt. „Das war alles ganz weit weg“, sagte Sonja Greinacher, die beste Spielerin des Turniers. „Und jetzt gehöre ich dazu zu diesem kleinen, elitären Kreis. Verrückt!“ Und nun sind sie auch Mannschaft des Jahres, mit gewaltigen 1660 Stimmen Vorsprung vor Bayer Leverkusen.

Eine vergeschworene Truppe: Die 3x3-Basketballerinnen (von links) Elisa Mevius, Svenja Brunckhorst, Sonja Greinacher und Marie Reichert mit ihrem Trainer Samir Suliman (Mitte).
Eine vergeschworene Truppe: Die 3x3-Basketballerinnen (von links) Elisa Mevius, Svenja Brunckhorst, Sonja Greinacher und Marie Reichert mit ihrem Trainer Samir Suliman (Mitte). © dpa | Bernd Weißbrod

Später, auf der Tanzfläche, bewegt sich Greinacher dann schon ganz natürlich im Kreis der Olympioniken – auch und gerade im Vergleich zum Feierbiest Oliver Zeidler.