Hamburg. Hamburg kann mit Olympischen Spielen auf die Weltbühne treten. Eine Bürgerbefragung würde Chancen verspielen, bevor sie entstehen.
Stellen Sie vor, wir hätten Schweizer Verhältnisse. Jedwede halbwegs relevante gesellschaftspolitische Frage würde auch hier auf Basis eines Volksentscheids beantwortet. Der Ausstieg aus der Atomkraft, der durchaus umstrittene Umzug des Bundestags von Bonn nach Berlin, die Maßnahmen in der Corona-Zeit – alles entschieden an der Wahlurne. Und Deutschland wäre vermutlich ein permanenter Schauplatz für Protestgruppen und Populisten.
Ist es aber nicht. Denn Demokratie funktioniert anders. Volksentscheide klingen demokratisch, doch in der Realität führen sie oft zu Beschlüssen, die nicht die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln. Wahlbeteiligungen von unter 50 Prozent sind keine Ausnahme, und die, die abstimmen, sind häufig lautstarke Minderheiten. Partikularinteressen dominieren die der Allgemeinheit.
Bürgerbefragung über Olympia-Bewerbung? Nein Danke
Umso erstaunlicher ist die reflexhafte Forderung nach einer bindenden Bürgerbefragung, wenn es um eine deutsche und folglich auch Hamburger Olympiabewerbung geht. 2015 hatten 51,6 Prozent der Bevölkerung abgelehnt, dass die Hansestadt ins Rennen um die letztlich in Paris ausgetragenen, herausragenden Spiele in diesem Sommer geht. Die Wahlbeteiligung betrug 50,2 Prozent.
Olympische Spiele bieten Chancen, die weit über sportliche Wettbewerbe hinausgeht. Sie schaffen Infrastruktur, von der München (1972) und Barcelona (1992) noch heute massiv profitieren. Sie bringen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung, der in London (2012) die kühnsten Prognosen deutlich übertroffen hat. Sie fördern den internationalen Dialog, stärken die Identität einer Stadt. Wenn der australische Unternehmer eine Europazentrale eröffnen möchte, könnte ihm so Hamburg in den Sinn kommen. Schlicht, weil er die Stadt durch Olympia erst kennt. Von den unschätzbaren gesellschaftlichen, gesundheitlichen, infrastrukturellen Vorzügen, die eine flächendeckende Sportförderung mit sich bringt, ganz zu schweigen.
Wir leben ohnehin in einer Demoskopie-Demokratie
Aber zurück zu den Volksentscheiden. In Hamburg wird alle fünf Jahre gewählt, im Bund alle vier. Die gewählten Vertreter haben das Mandat, Entscheidungen im Sinne der gesamten Bevölkerung zu treffen. Eine bewährte parlamentarische Demokratie wie die deutsche lebt davon, Verantwortung in die Hände von gewählten Institutionen zu legen, nicht jede Frage in eine Abstimmung zu verlagern.
Hinzu kommt: Wir leben ohnehin in einer Zeit der Demoskopie-Demokratie, in der Meinungsforschung einen enormen Einfluss auf politische Entscheidungen hat. Angela Merkel (CDU) regierte oft genug nach Umfragen. Bürger werden gehört – längst bevor eine Wahlkabine aufgebaut ist.
Die Hamburger können auch ohne eine Abstimmung mitbestimmen
Ein weiterer Aspekt, der gegen eine Volksabstimmung spricht: Der Bund trägt den Großteil der Kosten der Bewerbung, nicht nur Hamburg. Wer die Kapelle zahlt, bestimmt auch maßgeblich, welche Musik gespielt wird.
Überdies sind Sorgen der Menschen unbegründet, dass ihre Meinungen bei einer Olympia-Bewerbung ignoriert würden. Symposien, Workshops und Bürgerdialoge sollen feste Bestandteile des Bewerbungsprozesses sein. Diese Form der modernen Mitbestimmung ermöglicht es, konkrete Ideen und Kritikpunkte früh einzubringen.
Das IOC hat sich deutlich zum Positiven verändert
Sicher, Olympia hat – wie jedes Großprojekt – seine Schattenseiten, das Internationale Olympische Komitee (IOC) ist gewiss keine moralische Vorzeigeinstitution. Allerdings ist festzuhalten, was medial häufig durch Generalismuskritik am IOC untergeht: Die Organisation bewegt sich; Olympische Spiele sind nachhaltiger, günstiger und weniger gigantistisch geworden. Protzige, später ungenutzte Neubauten sind deutliche Kontrapunkte im Entscheidungsprozess. Eine urbane Einbindung von Sportstätten sowie ein nachgenutztes olympisches Dorf punkten, siehe Paris.
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Die Frage ist nicht, ob Volksentscheide grundsätzlich falsch sind. Es geht darum, ob sie immer auch zielführend sind. Eine Olympia-Bewerbung braucht keine Blockade durch Protestgruppen oder simplifizierte Argumente, sondern Weitsicht und Vision. Eine Volksabstimmung mag wie der einfache Weg wirken, doch in Wahrheit führt sie zu Stillstand. Hamburg kann sich mit Olympia auf die Weltbühne stellen. Aber nur, wenn die Weichen jetzt mutig gestellt werden – und nicht von denen, die am lautesten schreien. Das wäre sonst ziemlicher Schweizer Käse.