Baku. Bei seinem Formel-1-Sieg in Aserbaidschan überzeugt der 23 Jahre alte Oscar Piastri in erwachsener, beinahe emotionsloser Manier.
Zeitenwende in der Formel 1: Nach 55 Rennen an der Spitze ist Red Bull nicht mehr Erster in der Teamwertung. Und wenn es darum geht, wer der coolste Rennfahrer in der Königsklasse ist, dann hat Max Verstappen gerade auch keine Chance. Oscar Piastri hat mit dem Sieg beim Großen Preis von Aserbaidschan gezeigt, dass er keine geborene Nummer zwei ist, sondern ein Champion der Zukunft. Einmal nur geriet der Australier leicht ins Straucheln, als er nach dem 17. WM-Lauf zur Siegerpose auf sein papayafarbenes Auto kletterte. Aber das er ja noch üben. Gefahren auf den Straßen von Baku jedenfalls ist Piastri bereits weltmeisterlich. Kaum zu glauben, dass es erst sein 39. Grand Prix war.
Formel 1: Spektakuläres Bremsmanöver
Für sein Alter fährt der 23-Jährige beinahe schon zu erwachsen. So scheinbar emotionslos, wie er seinen zweiten Sieg nach der Zieldurchfahrt quittiert, so gnadenlos geht er hinter dem Lenkrad zu Werke. Das entscheidende Manöver in der 20. der 51 Runden, als er Spitzenreiter Charles Leclerc mit einem spektakulären Bremsmanöver hinter sich lassen kann, hätte so gar nicht stattfinden dürfen. Kurz vorher hatte ihn sein Renningenieur Tom Stallard ermahnt: „Fang schonend an mit Deinen frischen Reifen.“
Aber der Fahrer vertraute lieber seinem Instinkt: „Ich dachte, wenn ich diese Chance nicht nutze, dann bekomme ich keine weitere mehr. Das Risiko war groß, aber ich musste es einfach tun.“ Er bremste so spät und hart, dass der monegassische Gegner förmlich übertölpelt wurde. Dennoch ging er bei dem rasanten Manöver, als er scheinbar aus dem Nichts herangeschossen kam, sehr klinisch zur Sache – das ist einfach sein Stil. „Oscar geht sehr methodisch an die Dinge heran“, lobt sein Manager Mark Webber. Danach tobte eine fast einstündige Abwehrschlacht, immerhin das konnte der Aufsteiger des Jahres zugeben: „Es war der stressigste Nachmittag meines Lebens.“
Formel 1: Piastri erinnert an Kimi Räikkönen
Zweieinhalb Jahre nach dem Rücktritt von Kimi Räikkönen hat die Formel 1 ihren neuen Iceman gefunden. Den Spitznamen hatte der Finne einst während seiner McLaren-Zeit bekommen, auch für Sprüche an den Kommandostand wie diesen: „Lasst‘ mich in Ruhe, ich weiß genau, was ich hier tue.“ Piastri scheint noch etwas früher etwas härter zur Sache zu gehen als der Weltmeister von 2007.
McLarens Teamchef Andrea Stella wusste nicht, welchen seiner Fahrer er mehr loben sollte. WM-Kandidat Lando Norris schaffte es schließlich von seinem 15. Startplatz aus noch auf den vierten Rang und demoralisierte mit einem Überholvorgang kurz vor Schluss nebenbei noch Spitzenreiter Max Verstappen. Der Brite liegt jetzt 59 Zähler hinter dem Niederländer, 206 Punkte sind in den letzten sieben WM-Läufen noch maximal zu holen. Der Nacht-Grand-Prix in Singapore an diesem Wochenende ist das Angstrennen Verstappens.
Der Italiener Stella ist verliebt ins Detail, besonnen im Urteil, prinzipientreu. Deshalb hat er sich lange gegen eine offene Stallorder zu Gunsten von Norris gewehrt. Und er tat gut daran, den Haussegen nicht zu gefährden. Denn Piastri liegt nach seinem Husarenritt nur noch 32 Zähler hinter Norris, ist der erfolgreichste Fahrer des Sommers. Ein positives Problem für McLaren.
Formel 1: Piastri fährt Norris bei McLaren den Rang ab
Tatsächlich war es der vorgesehene Nummer-Eins-Fahrer, der einen erheblichen Anteil am Erfolg Piastris hatte. In der Boxenstopp-Phase des Rennens lief ein Fernduell mit Sergio Perez im Red Bull, der früher gewechselt hatte als Piastri und drauf und dran war, den Australier zu überholen. Perez kam mit frischen Pneus hinter Lando Norris raus, und der Brite wehrte so lange alle Angriffe ab, bis Piastri wieder vor dem Mexikaner auf die Strecke zurückkehren und dann zu seinem Angriff auf die Spitze ansetzen konnte. „Ich habe meinen kleinen Teil für das Team beigetragen“, so Norris. „Das wir dadurch den ersten Platz in der Konstrukteurswertung erreicht haben, ist das, was mich am glücklichsten macht.“
Auch interessant
Piastris kühle, aber selbstbewusste Herangehensweise scheint das Gegenteil von Norris zu sein, der nervöser und grüblerischer erscheint, aber auch über den Kampf zurück ins Spiel gerät. Ausgestattet sind beide mit einem überlegenen Rennwagen. Andrea Stella reicht das noch nicht: „Der Wagen ist immer noch nicht schnell genug, damit es langweilig wird an der Spitze.“ Einen Wirkungstreffer hat McLaren mit seinem geschlossenen Auftritt in Baku jedenfalls gelandet. Red-Bull-Berater Helmut Marko gestand, dass er den Mannschaftstitel fast schon abgeschrieben hat und Verstappens Titel in Gefahr sei: „Wir müssen dringend Speed finden.“ Das, was Oscar Piastri gerade vorlebt.