Herzogenaurach. Mit zwölf Jahren Anlauf ist der Barcelona-Kapitän die Nummer eins der Nationalmannschaft. Bekommt er nun die verdiente Anerkennung?

Wer Marc-André ter Stegen in Barcelona besucht, bekommt in der Regel einen Kaffee mit Hafermilch serviert. Eigens zubereitet mit einer Siebträgermaschine. Der Kaffeeliebhaber ist schon vor einiger Zeit eingestiegen in ein neues Business, hat investiert in ein Startup für Hafermilch, das von seinem Torhüterkollegen Kevin Trapp gegründet wurde. Der Torwart des FC Barcelona hat in den vergangenen Jahren viel Zeit aufgebracht, um sich in Spanien ein zweites Leben neben dem Fußball aufzubauen. „Es gibt viele Themen, die mich sehr interessieren. Ich versuche, Firmenstrukturen und Ökosysteme zu verstehen. Investments, Venture Capital, Startups: Mit jedem neuen Projekt lerne ich dazu“, sagte der 32-Jährige mal in einem Interview.

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Was ter Stegen in Barcelona abseits des Fußballs macht, bekommt in Deutschland kaum jemand mit. Was man aber immer wusste: Der gebürtige Mönchengladbacher ist ein sehr guter Torwart. Er ist seit dieser Saison Kapitän eines der größten Klubs der Welt. Er hat in diesem Jahr sein 400. Pflichtspiel für Barca gemacht, ist dort seit acht Jahren Stammtorhüter, gewann fünf Mal die spanische Meisterschaft und ein Mal die Champions League (2015). Er hat einen Vertrag bis 2028 und eine Ausstiegsklausel von angeblich 500 Millionen Euro. Es sind atemberaubende Zahlen, die eigentlich nur einen Rückschluss zulassen: Dieser Torwart muss doch auch die Nummer eins in Deutschland sein.

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Marc-André ter Stegen ist Deutschlands neue Nummer eins. © Getty Images | Alexander Hassenstein

Es dauerte allerdings zwölf Jahre, ehe er seit seinem Debüt in der Nationalmannschaft im Mai 2012 endlich auch die offizielle Nummer eins der DFB-Auswahl werden sollte. Am Montag war es nun so weit: Bundestrainer Julian Nagelsmann ernannte ter Stegen zum neuen deutschen Stammtorwart. „Marc ist verdientermaßen die klare Nummer eins. Er hat über mehrere Jahre in Barcelona herausragende Leistungen gebracht“, sagte Nagelsmann.

Das Problem an diesen herausragenden Leistungen: Es gab da noch diesen Manuel Neuer, den wahrscheinlich besten Torhüter der DFB-Geschichte, der erst vor zwei Wochen im Alter von 38 Jahren seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet hat. Als Neuer im Juni 2009 sein erstes Länderspiel machte, hatte der 17 Jahre junge ter Stegen gerade seinen ersten Profivertrag bei seinem Jugendklub Borussia Mönchengladbach unterschrieben. Zwei Jahre später machte ihn Lucien Favre zur Nummer eins. Ter Stegen war der Shootingstar am deutschen Torwarthimmel und machte sich Hoffnungen, auch in der Nationalmannschaft einen Stammplatz zu erobern. Im Alter von 32 Jahren hat er das nun geschafft.

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Ter Stegen hatte vor der Europameisterschaft Motivationsprobleme

Eigentlich war sich ter Stegen sicher, schon bei der Heim-EM im Sommer im deutschen Tor zu stehen. Doch zu seinem Entsetzen entschied sich Nagelsmann Anfang des Jahres für Rückkehrer Neuer. „Der Tag der Entscheidung war schwierig. Es war schon ein Schlag ins Gesicht für mich“, sagte ter Stegen, als er den Moderator und Podcaster Tommi Schmidt vor wenigen Monaten in seinem Haus in Barcelona zu einer Tasse Cappuccino mit Hafermilch empfing. Ter Stegen gestand anschließende Motivationsprobleme. „Es ist schon so, dass du etwas zusammensackst.“

Trost hat ter Stegen immer in seiner Wahlheimat Barcelona gefunden. Vor seinem Haus mit Blick auf das Mittelmeer liegt im Garten ein kleiner Fußballplatz, auf dem er regelmäßig mit seinem ersten Sohn Ben (4) bolzt. Im Februar kam für ihn und seine Frau Daniela mit dem kleinen Tom ein zweiter Junge dazu, der hier auch irgendwann mitkicken soll. Schließlich will ter Stegen seinen Vertrag in Barcelona erfüllen. 2028 wäre er dann 14 Jahre bei Barca. Für einen Fußballer ist das heutzutage eine unglaublich lange Zeit. „Ich freue mich für ihn, dass jetzt endlich die Tür aufgeht und er Fußball-Deutschland zeigen kann, was er über Jahre in Barcelona geleistet hat. Das wird hier immer unterschätzt“, sagte der neue DFB-Kapitän Joshua Kimmich am Dienstag über die neue Nummer eins.

Kimmich lobt ter Stegen für dessen Einstellung

Kimmich hat ter Stegen in all den Jahren bei der Nationalmannschaft begleitet. „Es war sicher nicht immer einfach, aber Marc hat es immer sportlich genommen und sich immer in den Dienst der Mannschaft gestellt. Er hat immer ausgestrahlt, dass er die Nummer eins sein will“, so Kimmich.

Obwohl ter Stegen immer die Nummer zwei war, hat er es schon auf 40 Länderspiele gebracht. Dabei agierte er aber nicht immer ganz glücklich. Gleich in seinem ersten Länderspiel 2012 gegen die Schweiz gab es ein 3:5. Zwölf Gegentore waren es in den ersten drei Länderspielen. Sein Patzer im dritten Spiel gegen die USA im Juni 2013 (3:4), als er einen Rückpass ins leere Tor rollen ließ, hing ihm lange nach.

Ter Stegen vor Premiere in der Nähe der Heimat

Wird es nun Liebe auf den zweiten Blick zwischen ter Stegen und der Nationalmannschaft? Am Sonnabend zum Auftakt der Nations League gegen Ungarn (20.45 Uhr/ZDF) spielt er in Düsseldorf nur eine halbe Stunde entfernt von seiner Heimat Mönchengladbach erstmals als Nummer eins für Deutschland. Für ter Stegen und die DFB-Auswahl ist es der Beginn einer neuen Torwart-Ära. Nachdem er so viele Jahre auf diesen Moment warten musste, will er nun auch so lange wie möglich die Nummer eins bleiben und auch in Fußball-Deutschland endlich die Anerkennung erfahren, die er in Barcelona bereits seit zehn Jahren bekommt.

Seine Zweitkarriere als Unternehmer kann ter Stegen in den kommenden zwei Jahren bis zur Weltmeisterschaft 2026 jetzt jedenfalls etwas außer Acht lassen. Nur eines wird er sich ganz sicher erhalten: Die Hafermilch zum Kaffee.