Elmshorn. Querschnittsgelähmte Elmshornerin schwimmt am Donnerstag in Paris die 200 Meter Freistil. Das Abendblatt war beim letzten Heimtraining.

  • Die dreifache Mutter Tanja Scholz (40) aus Elmshorn zieht sich 2020 bei einem Reitunfall eine Querschnittlähmung zu.
  • Nur zwei Jahre später brilliert sie bereits bei ihrer ersten paralympischen WM-Teilnahme und holt fünf Medaillen, 2023 sind es sogar sechs Medaillen, darunter drei Titel.
  • In Paris wird es wesentlich härter; die Elmshornerin muss über die 100-Meter- und 150-Meter-Distanzen in für sie schwierigeren Schadensklassen antreten

Jetzt wird’s so richtig ernst für Tanja Scholz (40). Am vergangenen Montag ist die Elmshornerin von zu Hause dem deutschen paralympischen Schwimmteam nach Paris hinterher gereist. Grund: Tags zuvor wollte sie unbedingt noch den Geburtstag ihres Sohnes feiern. Denn bereits vorher hatte sie zwei Wochen mit dem Nationalkader im abschließenden Trainingslager in Belek/Türkei verbracht.

Nach vielen Monaten der Vorbereitung und mit Qualifikationswettbewerben wird aus Übung nun der Ernstfall. Ihr Start bei den Schwimmwettbewerben der Paralympics 2024 in Paris steht unmittelbar bevor. Am Donnerstag, 29. August, beginnen die Spiele für Tanja Scholz kurz vor 12 Uhr mit den 200 Metern Freistil.

Paralympics 2024 in Paris: Tanja Scholz hat sich den letzten Schliff in der Türkei geholt

Sie ist optimal vorbereitet nach Paris gestartet. Immerhin hat doch die dreifache Mutter in der Türkei in Zusammenarbeit mit Bundestrainerin Ute Schinkitz und Coach Michael Pechtl letzten Schliff in ihre Schwimmtechnik gebracht. Endgültiges Fokussieren, Sicherheit erlangen durch das Teamgefüge, Kraftreserven aufbauen – dafür ist doch so ein Trainingslager ideal, oder?

„Einerseits ja“, meinte die 40-Jährige während einer der letzten Trainingseinheiten im heimischen Badepark Elmshorn, wobei sie das Hamburger Abendblatt Anfang August besucht hatte. „Aber wenn man mich gelassen hätte, wäre ich lieber hier geblieben.“

Paralympics Schwimmen: Tanja Scholz hat zu Hause perfekte Trainingsbedingungen

Letztlich weiß Tanja Scholz, die bei einem Reitunfall im Juni 2020 eine teilkomplette Querschnittslähmung erlitt, dass sie nur davon profitieren kann, wenn sie zwei Wochen unter den aufmerksamen Augen von Michael Pechtl trainiert. Aber die Kopfentscheidung fällt ihr nicht leicht. „Hier in Elmshorn habe ich im Badepark wirklich perfekte Trainingsbedingungen.“

Jürgen Gerweler hat im Namen der Stadtwerke Elmshorn in den vergangenen Monaten immer dafür Sorge getragen, dass Tanja Scholz eine Bahn für sich nutzen kann. „Aber letztlich stellen wir doch nur das Wasser zur Verfügung, der Rest ist dann Tanjas tolle Leistung“, sagt der Badebetriebsleiter. „Wir alle sind stolz auf sie und drücken Tanja die Daumen.“

Tanja Scholz
Perfekte Trainingsbedingungen für Tanja Scholz dank der Unterstützung durch die Stadtwerke Elmshorn: Täglich hat sie eine 50-Meter-Bahn im Becken des Badeparks Elmshorn für sich, um ihre Schwimmtechnik für die Paralympischen Spiele 2024 in Paris zu verfeinern.  © Ulrich Stückler | Ulrich Stückler

Minimale Anfahrtswege und täglich für zwei Stunden eine reservierte Schwimmbahn. Eine unschlagbare Kombination, die Tanja Scholz in keiner anderen Stadt des Nordens vorfinden würde. Und die sie seit dem Winter 2023 bestens genutzt hat, nachdem sie zuvor im August bei den Weltmeisterschaften in Manchester einen deutschen Startplatz für die Schwimmwettbewerbe bei den Paralympics in Paris gesichert hatte.

Paris 2024: Tanja Scholz hat zwar einen deutschen Starplatz gesichert, muss sich aber dennoch qualifizieren

Doch um den Regularien Genüge zu tun, musste sie sich auch noch selbst für die Starts in Paris qualifizieren. „Das ist mir dann Ende Mai, Anfang Juni in Berlin bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften gelungen“, berichtet Tanja Scholz. „Nach den Leistungen dort bin ich für die Kadernominierung vorgeschlagen worden, und wenige Tage später war es dann auch offiziell.“

Damit begann aber auch eine kleine Lawine an offiziellen und organisatorischen Erledigungen über der Fachwirtin für Gesundheit und Soziales hereinzubrechen. Aber auch hier wie beim Training und auf Reisen immer an ihrer Seite: Ihr Ehemann. „Björn ist meine große Stütze und deswegen auch offizielles Teammitglied für die Paralympics“, sagt Tanja Scholz dankbar.

Paraschwimmerin Tanja Scholz: Ehemann Björn ist immer dabei und in Paris offizielles Teammitglied

Und so kam dann nicht nur für die Athletin, sondern auch für Björn Scholz ein großes Paket vom Team Deutschland Paralympics in Elmshorn an. Inhalt: die offizielle Mannschaftskleidung und -ausstattung, mit der die deutsche Delegation während der Spiele in Paris auftritt.

Tanja Scholz Team
Im Team ist sie noch stärker: Paralympics-Starterin Tanja Scholz wird zu Training und Wettkampf immer von Ehemann Björn (l.) begleitet, der auch offizielles Teammitglied für den Start bei den Paralympischen Spielen in Paris ist. Jürgen Gerweler, Betriebsleiter im Badepark Elmshorn, ist stolz darauf, dass die Stadtwerke die dreifache Mutter nach ihrer Querschnittslähmung optimal bei ihrer neuen Schwimmkarriere unterstützen. © Ulrich Stückler | Ulrich Stückler

Und da gab es auch erste Eindrücke davon, was es bedeutet, Teil von Olympia zu sein. Ausrüster- und Sponsorenverträge lassen wenig Raum für Individualität. „Wir haben zum Beispiel auch eine Sport-Sonnenbrille von Adidas gestellt bekommen“, berichtet Björn Scholz. „Eine strikte Anweisung ist zum Beispiel, falls wir doch eine eigene Brille nutzen wollen, dass es unbedingt eine von Adidas sein müsse.“

Gelähmte Schwimmsportlerin: Über die Flip-Flops in ihrer Ausstattung muss Tanja Scholz schmunzeln

War denn unter den Ausrüstungsgegenständen auch etwas Überraschendes dabei? „Nun ja“, meint Tanja Scholz mit einem Schmunzeln. „Dass ich auch in meinem Paket Flip-Flops gefunden habe, das kam für mich als Rollifahrerin dann doch ein wenig unerwartet.“

WM-Gold, wie hier am 1. August 2023 nach den 100 Metern Kraul in Manchester, kennt Tanja Scholz schon; siebenmal hat sie 2022 und 2023 zugeschlagen. Nun greift sie nach Edelmetall bei den Paralympics. Doch dort wird es ungleich schwieriger für die querschnittgelähmte dreifache Mutter: Nicht in jeder Disziplin darf sie in ihrer Schadensklasse starten.
WM-Gold, wie hier am 1. August 2023 nach den 100 Metern Kraul in Manchester, kennt Tanja Scholz schon; siebenmal hat sie 2022 und 2023 zugeschlagen. Nun greift sie nach Edelmetall bei den Paralympics. Doch dort wird es ungleich schwieriger für die querschnittgelähmte dreifache Mutter: Nicht in jeder Disziplin darf sie in ihrer Schadensklasse starten. © Getty Images | Alex Livesey

Diesen Humor will und muss sich die 40-Jährige für ihren Karriere-Höhepunkt erhalten, möchte sie nach fünf WM-Medaillen in 2022 auf Madeira und sechsmal Edelmetall ein Jahr später in Manchester nun auch vom 29. August an in Paris mit Gold, Silber oder Bronze die Heimreise antreten. Denn für Tanja Scholz wird es ungleich schwerer werden, sich in die Siegerränge vorzuschwimmen.

Schwere Wettbewerbe: Tanja Scholz startet in den ersten drei Konkurrenzen gegen weniger Geschädigte

„Ich fange in Paris mit den 200 Metern Kraul an“, berichtete die fünffache Weltmeisterin über ihren Wettkampfplan bei den Paralympics, zu denen sie und Ehemann Björn wie vorgesehen am 26. August von Elmshorn aus aufgebrochen sind.

Dieser Plan bringt so manch unerwünschte Erschwernis mit sich: „Über die Strecke schwimme ich in der stärkeren Schadensklasse S5; für meine Klasse S4 gibt es keine Rennen.“ Auch einen Tag später, am 30. August, gegen 9.40 Uhr, muss sich die Elmshornerin über 100 Meter Freistil der vermeintlich stärkeren Konkurrenz stellen.

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Und auch am 1. September, 10.47 Uhr, über 150 Meter Lagen wird sich Tanja Scholz, die hierfür in der S3 eingestuft ist, mit den stärkeren Athletinnen der S4 auseinandersetzen. Scholz: „Das wird schon sehr schwer für mich, die Gegnerinnen aus der höheren Klasse haben eine ganz andere Beweglichkeit, können teilweise sogar Rollwenden.“

Paralympics 2024 in Paris: Vier freie Tage muss Tanja Scholz zum Training für die Sprints nutzen

Es folgen vier wettkampffreie Tage für die Schwimmerin, der nun zugute kommt, dass sie diesen Sport als Jugendliche, lange vor ihrer Lähmung, intensiv betrieben hat. Also dann doch zwischendurch ein wenig Sightseeing mit Ehemann Björn? „Leider nicht, diese vier Tage muss ich intensiv fürs Training nutzen“, sagt Tanja Scholz und liefert den Grund sofort nach. „Am 6. und 7. September folgen die kurzen Strecken; da starte ich zuerst über die 50 Meter Kraul und am Sonnabend dann über 50 Meter Rücken.“

Und diese Rennen darf Tanja Scholz dann endlich auch in ihrer Schadensklasse S4 bestreiten. „Die 50 Meter Kraul sind meine Paradedisziplin. Dafür und für die Rückenstrecke wollen wir im Training Geschwindigkeit aufbauen. Das wird noch einmal sehr hart.“ Aber sollte am Ende dieser Anstrengungen olympisches Gold für Tanja Scholz stehen, dann wären all diese Mühen schnell vergessen.