Hamburg. Wenn Sport plötzlich Spaß macht: In dieser Mannschaft ist jeder willkommen, der Spaß am Kicken und ein bisschen mehr auf den Rippen hat.
Ungeduldig warten acht Freizeitfußballer vor den geschlossenen Toren eines Sportplatzes in Barmbek. Hat Platzwart Harald vergessen, dass schon ab 19 Uhr, also eine halbe Stunde früher, trainiert wird? Die Spieler der XXL-Elbstürmer, eine Hamburger Fußballmannschaft für Übergewichtige, werden nervös. Wenige Minuten später taucht der 58-jährige Harald dann doch noch auf – der Erlöser und Retter des Freitagabends.
Ein Ausfall des Trainings wäre für den 19-jährigen Mika, der mit Sport eigentlich nie viel anfangen konnte, eine große Enttäuschung. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das über Sport mal sagen würde, aber hierauf freue ich mich die ganze Woche.“ Das Training sei für ihn eine Chance, aus seinen vier Wänden rauszukommen und mit Menschen Fußball zu spielen, die das gleiche Problem wie er haben – ein paar Kilo zu viel.
Hamburgs XXL-Elbstürmer wollen durchs Fußballspielen fitter werden
Seit Mitte Juli trainieren die Elbstürmer auf einem Platz des SV Barmbeks. Ihr Ziel sei es, fitter zu werden, abzunehmen und einfach Spaß zu haben, sagt der 34-jährige Pascal, der das Projekt initiierte. Mittlerweile habe sich eine Gruppe von rund zehn Spielern gebildet, die regelmäßig zum Training kommen.
Die Elbstürmer orientieren sich an einem BMI (Body-Mass-Index) von 32. Beim BMI wird das Körpergewicht (kg) ins Verhältnis zur Körpergröße (m) gesetzt und nach der Formel kg/m² berechnet. Je schwerer jemand ist, desto höher ist der Wert. Eine harte Grenze sei das jedoch nicht. Abgesehen von einer angemessenen Körperfülle gebe es nur eine weitere Teilnahmebedingung. „Wir legen keinen Wert darauf, wie jemand aussieht oder wo er herkommt. Für uns ist nur wichtig, dass jemand Spaß am Fußball hat“, sagt Pascal.
Wer aus der Puste ist, macht einfach Pause – ganz ohne hämische Blicke
Eben weil die Elbstürmer eine so bunte Truppe sind, besteht das aktuelle Ziel darin, alle auf ein ähnliches fußballerisches Niveau zu bringen. Denn vom blutigen Anfänger über den Kneipen-Kicker bis zum langjährigen Hobbyfußballer ist alles dabei. „Die meisten Übungen gucke ich mir vorher im Internet an und überlege, was wir am besten umsetzen können“, sagt Quasi-Trainer Pascal.
Das Slalom-Dribbeln soll zu besserem Ballgefühl verhelfen, danach werden Abschlüsse aufs Tor geübt. „Beim Abschlussspiel ist das Problem, dass ich zwei Angriffe hinbekommen und dann aus der Puste bin“, sagt Mika. Bei den Elbstürmern ist das kein Problem, wer eine Pause braucht, nimmt sie sich einfach, ohne doof angeguckt zu werden.
Als Kind und Jugendlicher habe Pascal jedes Wochenende auf dem Bolzplatz verbracht, in seiner Freundesgruppe sei Anwesenheit fast schon „Pflicht“ gewesen. Je älter er wurde, desto weniger Raum habe Fußballspielen in seinem Leben eingenommen. „Man muss arbeiten und nicht jeder hat am Wochenende Zeit.“ Durch zu viel Zeit im Homeoffice sei er kaum noch rausgekommen. Das wollte er ändern.
Nach den Belugas sind die Elbstürmer das zweite Hamburger Team für Übergewichtige
Zunächst klopfte Pascal bei den Victoria Belugas an, Hamburgs bislang einziger Fußballmannschaft für Übergewichtige. Als diese ihn nicht aufnehmen konnten, weil das Team bereits voll war, entschied Pascal sich, eine zweite Mannschaft für korpulente Fußballer aufzubauen. Pascal kontaktierte mehrere Vereine, der SV Barmbek zeigte großes Interesse an seiner Idee und stellt den Hobbyfußballern einen Platz zur Verfügung. Trainiert wird jeden Freitag um 19.30 Uhr für rund 90 Minuten.
Von Anfang an mit dabei ist der 32-jährige Jeremy, der früher in der Bezirksliga spielte. Bei den XXL-Elbstürmern will der Buchhalter das Gewicht loswerden, das er als Vater zugelegt hat und langsam wieder in den Fußball einsteigen.
Pascal: „Wir schnacken gerne über Fußball und haben immer irgendetwas zu lachen“
„In der regulären Herrenmannschaft Fuß zu fassen, ist fast unmöglich“, sagt Jeremy. Nach einer Acht- oder Neun-Stunden-Schicht am Freitagabend Sport zu machen, würde ihm normalerweise schwerer fallen. „Umso leichter ist es, wenn da Leute auf dich zählen und ihr ein gemeinsames Ziel habt“, sagt der gelernte Linksverteidiger.
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Dass beim Kicken auch Freundschaften entstehen können, will Pascal nicht ausschließen, aber auch niemandem aufzwingen. „Jeder, der Interesse daran hat, kann sich auch nach dem Training mit uns treffen. Wir schnacken gerne über Fußball und haben immer irgendetwas zu lachen. Es ist auch in Ordnung, wenn jemand uns über das Fußballspielen hinaus nicht sehen will. Hauptsache, wir verstehen uns beim Training.“ Wer daran teilnehmen möchte, kann sich über Instagram oder reddit mit den XXL-Elbstürmern in Verbindung setzen.
Pascal will mit den Elbstürmern kompetitiv spielen, am besten gegen die Belugas
Der Spaß stehe zwar im Vordergrund, Pascal hat aber auch Ziele mit der Mannschaft. Wir wollen kompetitiv spielen, gerne gegen die Belugas. Es gibt außerdem ein sogenanntes „Heavy Tournament“, bei dem schwergewichtige Mannschaften antreten – auch da wollen wir hin. Perspektivisch soll sogar eine norddeutsche Liga aufgebaut werden, wie es sie in Nordrhein-Westfalen bereits gibt.
Aber eins nach dem anderen. Erst mal müssen die Grundlagen sitzen. Jedenfalls beim Lattenschießen zeigt die Lernkurve schon steil nach oben. Bereits nach einem Durchgang steht mit Jeremy der Sieger fest – beim vorherigen Training wurde das Aluminium erst nach acht Runden getroffen.