Hamburg. Sportsenator Andy Grote verrät, was er in Paris für die deutsche Bewerbung gelernt hat und wie er die Sportförderung verändern will.
Dieser Besuch hat mächtig Eindruck hinterlassen. Gemeinsam mit Staatsrat Christoph Holstein (61) besuchte Hamburgs Sportsenator Andy Grote (56) in der vergangenen Woche die Olympischen Spiele und fühlt sich seitdem bestärkt in seinem Bestreben: Das kann Hamburg auch, das sollte es auch.
Herr Grote, welche Gefühle hatten Sie nach Ihrer Paris-Reise im Gepäck?
Andy Grote: Es waren grandiose Spiele mit einer herausragenden Atmosphäre. Der deutsche Botschafter hat mir gesagt, dass die Pariser selbst von sich überrascht waren, wie freundlich sie sein können, auch die Polizistinnen und Polizisten. (lacht) Trotz der Zerrissenheit unserer Welt, die wir überall erleben, sind die Menschen in Respekt, in Frieden, Offenheit und Begeisterung zusammengekommen. Von diesen Spielen ging eine unglaubliche Kraft aus. Für mich eine tolle Erfahrung und ein Auftrag zugleich.
Grotes Appell zu Olympia in Hamburg: Raus aus der Miesepetrigkeit und Bedenkenträgerei
Können wir es den Franzosen nachmachen?
Für mich geht es nicht darum, ob wir in Deutschland Olympische Spiele wollen. Ich glaube, wir brauchen sie, um unserem Land mal wieder einen kräftigen Schub nach vorne zu geben. Wir müssen raus aus der Miesepetrigkeit und Bedenkenträgerei und uns sagen: Ja, wir sind ein starkes, attraktives Land und trauen uns auch ein positives Zukunftsprojekt zu.
In Hamburg scheiterte bekanntlich 2015 eine Bewerbung, wenn auch knapp, am Votum der Bürgerinnen und Bürger. Würden Sie sich eine erneute Volksabstimmung trauen?
Ja, unbedingt. Ohne Rückendeckung der Bevölkerung geht es auch gar nicht. Anders als bei der letzten Bewerbung würden wir vorhandene und temporäre Sportstätten nutzen, verteilt auf die zwei Städte Berlin und Hamburg, keine aufwendigen Sonderbauprojekte, viel geringere Kosten, klare Unterstützung der Bundesregierung und Paris als Vorbild.
Sportsenator spürt Rückenwind durch die Olympischen Spiele
Wie hoch würden Sie die Zustimmung, so direkt nach den Spielen, einschätzen?
Vielleicht auf 75 Prozent, aber auch vor dieser so perfekten Inszenierung lagen die vom Deutschen Olympischen Sportbund gemessenen Werte bei über 60 Prozent in Hamburg, wie in anderen Städten.
Glauben Sie, dass Paris wirklich nachhaltig etwas bewirken kann?
Die Spiele bringen einen enormen Rückenwind. Ich kenne kaum jemanden, der Olympia nicht verfolgt hat und nicht begeistert war. Wenn das nicht eine Ermutigung ist, sich das hier auch zuzutrauen, dann weiß ich auch nicht. Zumindest sollten wir dann unseren Anspruch, eine Weltstadt zu sein, einmal sehr kritisch hinterfragen. Die Stadt Paris ohne Metropolregion hat nur etwas mehr Einwohner als Hamburg und ist flächenmäßig sogar kleiner.
Unterstützung der Bundesregierung ist wichtig
Ähnlichkeiten gab es vor den Spielen auch bezüglich der Kritik.
Exakt. Es wird alles teurer, die Stadt wird ein Chaos, wir werden überschwemmt mit Menschen, keiner kann die Sicherheit gewährleisten, alles eine Katastrophe – nichts davon ist eingetreten. Paris hat alle Kritiker, Zweifler, Nörgler, Bedenkenträger widerlegt.
Im Raum steht eine Bewerbung für die Spiele 2036 oder 2040. Was sind die nächsten Schritte?
Wichtig war zunächst das Bekenntnis der Bundesregierung, eine deutsche Bewerbung zu unterstützen, das gab es vor neun Jahren bei der Hamburger Bewerbung nicht. Bis Anfang 2025 soll es eine Entscheidung auf nationaler Ebene geben, wer ins Rennen geht.
Grote hält Hamburger Bewerbung mit Berlin für 2040 realistisch
Hamburg möchte die Spiele mit Berlin austragen. Wie steht es um die Chancen dieser Doppelbewerbung? Weitere Optionen sind München, Leipzig und Düsseldorf.
Zunächst einmal halte ich eine Bewerbung für 2040 realistischer, sonst haben wir gleich wieder ein Thema mit den Spielen 100 Jahre nach 1936 in Berlin, das wäre ein zusätzliches Risiko für die öffentliche Diskussion. 2040 wiederum, das heißt 50 Jahre nach der Wiedervereinigung, da bietet es sich an, nicht nur in einer Stadt im Osten oder im Westen die Spiele auszutragen, sondern gemeinsam. Die Sportveranstaltungen auf die zwei größten deutschen Städte mit internationaler Strahlkraft zu verteilen, ergibt auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten Sinn. Alles, was man für Olympia braucht, gibt es hier schon.
Dann werfen Sie bitte Ihr Kopfkino an, welche Sportarten sehen Sie in Hamburg und wo?
Triathlon im Zentrum mit Schwimmen in der Alster, Hockey im Millerntor-Stadion, Schwimmen im Volksparkstadion, Tennis am Rothenbaum, Kampfsportarten oder Tischtennis in den Messehallen, Basketball oder Handball in der Barclays Arena und Beachvolleyball mit einem sich öffnenden temporären Stadion auf der anderen Elbseite, mit Blick auf die Elbphilharmonie als ikonische Kulisse. Und eine Eröffnungsfeier auf der Elbe, das bekämen wir auch hin.
Idee: Olympisches Dorf in der Mitte zwischen Hamburg und Berlin
Und das olympische Dorf? Wo platzieren Sie die Athletinnen und Athleten in unserem Gedankenspiel?
Unsere Idee wäre, Hamburg und Berlin mit der längst überfälligen schnellen Bahnverbindung in nur einer Stunde Fahrzeit zu verbinden. Das olympische Dorf könnte dann in der Mitte liegen, mit nur einer halben Stunde Fahrzeit für die Athleten in jede Richtung. Solch eine Lösung gäbe einen Entwicklungsimpuls für die betreffende Region und auch für das Leben von Menschen, die in Berlin arbeiten und in Hamburg wohnen – und umgekehrt.
Wie haben Sie die Zeit in Paris genutzt?
Wir haben mit etlichen Spitzen der internationalen und deutschen Sportverbände darüber gesprochen, wie sich die jeweilige Sportart entwickelt, verbunden mit der Frage, welche größeren internationalen Events und Wettkampfformate für Hamburg interessant sein könnten. Wir haben uns beim Innenministerium über das Sicherheitskonzept informiert und die Pariser Organisationszentrale besucht und natürlich auch Sportstätten gesehen und Hamburger Athletinnen und Athleten getroffen.
Hamburg ist 2025 Gastgeber der Basketball-EM der Frauen
Was haben Sie aus den Gesprächen vor allem mitgenommen?
Sehr vieles, unter anderem dass wir Deutschen international vernetzter sein könnten. Das dürfte auch ein Thema im laufenden Bewerbungsverfahren werden. Andere Nationen sind da besser.
Eine gute Selbstvermarktung beginnt beim Durchführen von Top-Events. Was planen Sie?
Im kommenden Jahr freuen wir uns auf die Basketball-EM der Frauen in Hamburg. Im Handball stehen 2027 und 2029 die WM der Männer und 2032 die EM der Frauen an, das wäre natürlich alles für Hamburg attraktiv. Nach den Erfahrungen 2019 auch wieder eine WM oder EM im Beachvolleyball auszurichten, ist ein erklärtes Ziel. Hockey ist eine weitere Option, das benötigt aber einige Jahre Vorlauf. Und wir würden gerne Hamburg im Rudern stärker international auf die Landkarte bringen.
Grote: „Wir brauchen den Sport so dringend wie noch nie“
Kritik an dieser Art Großveranstaltung gab und gibt es trotz Paris aus verschiedenen Gründen immer. Womit wollen Sie bei einer erneuten Bewerbung punkten?
Es geht bei Olympia letztlich auch darum, was für ein Land wir sein wollen und welche Bedeutung wir dem Sport geben wollen. Ich glaube, dass wir Sport so dringend brauchen wie noch nie, als diese große Kraft, die uns als Gesellschaft noch zusammenhält, und nicht zuletzt ist Sport auch ein Rettungsring, den wir den Eltern zuwerfen, um zu verhindern, dass ihre Kinder mit acht Jahren ihre Zeit vor allem mit dem Handy verbringen und als Teenager psychische Probleme haben. Es geht also auch um die Frage: Wie sollen unsere Kinder aufwachsen?
Beim Blick auf den Medaillenspiegel scheint es so, dass die Förderung unserer Sportjugend, schaut man auf vergleichbare Länder, nicht wirklich funktioniert.
Das ist so. Wir geben heute mehr Geld aus als früher und kommen mit weniger Medaillen nach Hause.
Sportsenator bemängelt zu viel Bürokratie und Interessenskonflikte
Also liegt es nicht am Geld, 300 Millionen Euro sind es derzeit vom Bund.
Nein, aber an unserem total bürokratischen System ohne klare Steuerung oder Verantwortlichkeiten und unübersehbaren Interessensgeflechten. Zur Wahrheit gehört, dass der große Teil der Goldmedaillen in Sportarten gewonnen wurde, die gar nicht richtig im Fördersystem vertreten waren.
Zum Beispiel?
Im Reiten, im Basketball oder auch im Ruder-Einer wurden die Voraussetzungen für den Gold-Erfolg weitgehend außerhalb unseres Systems geschaffen.
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Bund, Länder und der Deutsche Olympische Sportbund planen die Einführung einer unabhängigen Sportagentur, die über die Förderung entscheiden soll. Wie muss man sich das vorstellen?
Was wir brauchen, ist ein starker, professioneller Steuerer mit hoher fachlicher Expertise, der die Mittel mit eigenem Gestaltungsspielraum und in eigener Verantwortung verteilt, flexibel und zielgerichtet. Wir müssen die Zahl der an einer Entscheidung Beteiligten radikal reduzieren. Die Sportagentur muss schnell kommen und das System auf neue Beine stellen. Ich denke, 2025 können wir anfangen.
Was gibt Hamburg derzeit für Spitzensport aus?
Rund zwei bis drei Millionen Euro jährlich laufende Kosten zuzüglich Investitionen in die Spitzensportinfrastruktur, aktuell in zweistelliger Millionenhöhe. Ich glaube aber, dass der Bund in der Infrastrukturförderung deutlich mehr tun muss. Das ist aktuell zu wenig. Wir als Länder tragen zu viel Kosten für die Infrastruktur.