Paris. Winzar Kakiouea, Shaun Gill, Romano Püntener, Ali Idow Hassan sind alleinige Starter ihrer NOKs und damit besondere Olympia-Geschichten.
Was das ostafrikanische Somalia mit dem mittelamerikanischen Belize, dem europäischen Liechtenstein und dem ozeanischen Nauru zu tun hat? Natürlich weiß Ali Idow Hassan das: „Wir sind Solitäre.“ Sein herzerwärmendes Lächeln könnte man am Eiffelturm neben den fünf olympischen Ringen anbringen, um einen weiterführenden Sinn dieser Sommerspiele zu symbolisieren. „Aber sonst“, sagt der 26 Jahre alte Leichtathlet, der an diesem Mittwoch seinen Vorlauf über 800 Meter absolviert, „könnte ich nicht viel über diese anderen Länder sagen.“
Paris 2024: Für Kakiouea ist Olympia eine Elf-Sekunden-Angelegenheit
Die ganze Welt ist in Paris, 10.500 Athleten vertreten 206 Nationen im Olympischen Dorf, das Team Deutschland ist mit 470 Sportlern am Start, die USA gar mit mehr als 600. Was Ali Idow Hassan wie Shaun Gill (Belize), Romano Püntener (Liechtenstein) und Winzar Kakiouea (Nauru) besonders macht: Sie sind die einzigen Starter ihrer Nationalen Olympischen Komitees. Für sie sind es die Olympischen Solo-Spiele.
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Für Winzar Kakiouea dauern sie gerade mal elf Sekunden. Vor dem Rennen im Stade de France schnürt er sich noch mal die pinkfarbenen Laufschuhe, die 140 Euro teuren Spikes dafür musste er selbst kaufen. Der 23-Jährige hat keine Sponsoren, verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er Telekommunikationskabel repariert. Über die Kopfhörer stimmt sich Kakiouea mit christlicher Gospelmusik auf seinen Wettkampf ein. 11,15 Sekunden zeigt die Uhr am Ende an, Sechster, aber immerhin schneller als die Konkurrenten aus Tonga und Äquatorialguinea. „Es ist okay“, sagt er über seinen Lauf. „Ich werde weiter so schnell wie möglich für Nauru laufen.“
Olympia 2024: In Paris 100-Meter-Sprinter, zu Hause Telekommunikations-Techniker
Das ist in seinem Heimatland – nur noch der Vatikan und Monaco sind kleiner – gar nicht so leicht. Die 13.000-Einwohner-Insel, die der Klimawandel rund 5000 Kilometer im Pazifik vor Australien zu versinken lassen droht, hat nicht einmal eine richtige Laufbahn. Lediglich ein „Drecksoval“, wie Kakiouea sagt, weshalb er häufig auf einem bewaldeten Hügel trainiert. Seit drei Jahren ist er erst Leichtathlet, davor gewann Kakiouea einen nationalen Powerlifting-Wettbewerb, in Nauru ist er auch ein gefeierter Aussie-Football-Spieler. „Es ist nicht so beeindruckend“, sagt er bescheiden. Nach seinem Start bei der Hallen-WM in Glasgow Anfang des Jahres bot sich ein australischer Trainer an, ihn auf dem Weg nach Paris zu unterstützen. Binnen drei Monaten steigerte er seine Bestzeit um mehr als zwei Zehntel auf 10,82 Sekunden. Der Weltrekord von Usain Bolt liegt bei 9,58 Sekunden.
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Als Ein-Mann-NOK trug Winzar Kakiouea natürlich bei der regenreichen Bootsparade zur Eröffnungsfeier die Fahne Naurus. Nicht die einzige Parallele zu Romano Püntener. Sie sind beide Neulinge, und wie der Sprinter aus Nauru startet der Mountainbiker in Paris, weil das IOC unterrepräsentierte Nationen mit Wildcards versorgt. „Das war schon ein spezieller Moment, wenn man die Mitteilung bekommt“, sagt der 20 Jahre alte Liechtensteiner, der in der Weltrangliste an Position 237 geführt wird. Umso erstaunlicher sein 28. Platz im Cross Country am Elancourt Hill. „Ich hätte nicht erwartet, dass alles so aufgeht.“
Olympia 2024: Halb Liechtenstein, halb Schweiz – für Püntener kommt nur ein Land infrage
Püntener repräsentiert das Fürstentum, trainiert aber viel mit den Eidgenossen. „Ich bin Doppelbürger, ein Start für die Schweiz kommt aber nicht infrage“, betont er. Sein Coach Ralph Näf war 2007 Vizeweltmeister, in Paris kümmern sich die benachbarten Mechaniker auch um Pünteners Rad. „Ich bin froh, wenn ich solche Leute um Rat fragen kann. Das hat hier alles viel einfacher gemacht, wenn man als einziger Athlet seines Landes hier ist.“
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Und doch ist Püntener im Olympischen Dorf ein gefragter Mann, wo Pins der 206 Nationen heißbegehrte Sammelobjekte sind. Und ein Liechtensteiner hat eben Seltenheitscharakter. Was Englands Tennis-Star Andy Murray zu einer fieberhaften Suche veranlasste. „Ihn zu treffen, war sehr cool. Er ist zwar ein Megastar, aber er ist der normalste Mensch“, sagt Püntener. Zu gerne tauschte er die Pins mit dem 37-Jährigen, der nun Tennisrentner ist. Murray habe sich dabei so sehr gefreut wie bei seinen Olympiasiegen 2012 und 2016.
Olympia 2024: Aus Belize ans US-College für schnellere Zeiten
Etwas anders ist die Geschichte des Leichtathleten Shaun Gill aus Belize. Der 31-Jährige ist ebenso alleiniger Starter seines NOKs, aber schon wettkampferfahrener von den Sommerspielen 2021 in Tokio und von der WM 2023 in Oregon. Gill trainiert in den USA an der Texas A&M University nördlich von Houston, wo er sein Ingenieurs-Studium erfolgreich abgelegt hat. „Zu Hause sind die Ressourcen für den Sport nicht so gut oder nicht da, wo sie sein sollten. Aber es wird langsam besser“, sagt der 100-Meter-Sprinter. „Zu Hause gibt es nicht so gute Einrichtungen, Finanzierung, Coaching. Ich musste weggehen, um besseres Coaching und bessere Erfahrungen in einer besseren Umgebung zu bekommen.“
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Doch auch für Shaun Gill sind die Olympischen Spiele nur ein Elf-Sekunden-Spaß, die Uhr stopp im Vorlauf bei 11,17 Sekunden. „Alle in Belize sind wach, die Unterstützung ist unglaublich. Es fühlt sich gut an, das Land zu repräsentieren.“ In Paris läuft er das letzte Mal für die zentralamerikanische Nation. „Die Leistung war nicht gut“, sagt Shaun Gill, „aber es ist ein guter Weg, um aufzuhören.“
Olympia: Hassan fühlt sich einsam, wird aber nicht alleine gelassen
Für Ali Idow Hassan gehen die Olympischen Spiele heute über die Mitteldistanz erst richtig los. „Ich fühle mich ein bisschen einsam“, sagt er, „aber ich bin stolz, für Somalia laufen zu können.“ Die Fans im Stade de France werden ihn auf den 800 Metern und danach bestimmt nicht alleine lassen.
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