Paris. Ni Xia Lian ist mit 61 Jahren die älteste Tischtennisspielerin, die je bei Olympia ein Spiel gewonnen hat. Ihre Geschichte begeistert.
Die Halle 4 der Arena Süd war schon am frühen Morgen rappelvoll. Die Zuschauer erlebten gerade eine der größten Sensationen in der 36-jährigen Olympia-Geschichte des Tischtennis. Wang Chuqin, 24, der aktuell stärkste Chinese und damit auch beste Spieler der Welt, ist in Runde zwei überraschend gegen den Schweden Truls Moregard (22) ausgeschieden. Die Halle bebte, der Schwede des 1. TTC Saarbrücken saß ungläubig auf dem Hosenboden. Der Mixed-Olympiasieger Wang dampfte bedient ab.
Das olympische Tischtennis-Turnier in Paris ist reich an Sensationen und Kuriositäten. Auftritt Ni Xia Lian. Die gebürtige Chinesin ist 61 Jahre alt. Für ihre Wahlheimat Luxemburg erlebt sie in Paris ihre sechsten Olympischen Spiele. Nach ihrem Erstrundensieg gegen die 30 Jahre jüngere Türkin Sibel Altinkaya am Samstag ist sie die älteste Tischtennisspielerin, die je bei Olympia ein Spiel gewann. Ihre Freude darüber war so herrlich, ruckzuck avancierte dieser Sonnenschein aus dem Großherzugtum zum Publikumsliebling. Liebevoll taufte man sie Tischtennis-Oma. Mutter der Spiele passt aber besser: Ni Xia Lian hat zwar zwei erwachsene Kinder, Großmutter ist sie aber noch nicht.
In Luxemburg kennt Ni Xia Lian jeder
Nun tritt sie an dem gleichen Tisch zu ihrem Zweitrundenmatch an, an dem zuvor Truls Moregard die Sensation gelang. Ein gutes Omen? Schließlich fordert auch Ni die Nummer eins der Welt heraus. Die heißt bei den Frauen Sun Yingsha, ist 23 und ein ideales Beispiel für das moderne Tischtennis. Stark, schnell, clever – aber auch geradeaus, ernsthaft, schnörkellos. „Alles, was Xia Lian kann, kann sie noch viel besser“, sagt Tommy Danielsson (65). Der Schwede mit deutschem Pass ist größter Fan, Unterstützer und Trainer seiner Frau. Er spielte einst für Essen in der 2. Bundesliga.
Danielsson sitzt am Mittwoch bereits mit stolzem Blick an der Seite der Spielbox, als Ni Xia Lian die Halle betritt. Voll kindlicher Freude winkt diese kleine Frau ins Publikum, ihr Gesicht ein einziges Lächeln. Auf den Rängen werden vereinzelt Luxemburg-Flaggen geschwenkt. In dem kleinen Land ist sie eine gar nicht so kleine Berühmtheit. Zwar spielt Tischtennis dort keine große Rolle, aber Ni kennt jeder. Bei der Eröffnungsfeier war sie Fahnenträgerin.
In Paris genießt sie jeden Augenblick. So auch am Mittwoch. Auf ihrer Seite des Tisches geht die Sonne auf, auf der anderen Seite herrscht Eiszeit. Die Nummer eins der Welt hat kein Interesse daran, ein olympisches Märchen weiterzuschreiben. Die Favoritin will kurzen Prozess machen. Ni kann bei manchen Bällen nur zucken, so schnell sind sie. Doch sie ärgert sich nur kurz, hier ein Hüpfer. Och, nee. Da ein Kopfschütteln. Dann lächelt sie wieder. Alles aufsaugen.
Seit 2000 nur einmal Olympische Spiele verpasst
Dass Ni Xia Lian einmal auf so eine Olympiakarriere schauen kann, war zu Beginn ihrer Laufbahn noch nicht zu erahnen. 1983 holte sie für ihr Geburtsland China zwei WM-Titel – Tischtennis war da noch gar nicht olympisch. Später kam sie nach Europa, weil sie studieren, die Welt sehen wollte. In Luxemburg fand sie ihren heutigen Mann und ihre neue Heimat. Seit 1991 tritt sie international für Luxemburg an, gewann zuletzt 2021 WM-Bronze im Doppel. 2000 qualifizierte sie sich für Olympia in Sydney. Seitdem verpasste sie nur nach der Geburt ihrer Tochter die Spiele 2004 in Athen. Ni, die einst für Bayer Uerdingen gespielt hat, machte einfach immer weiter. „Sie ist eine kleine Perfektionistin“, sagt ihr Mann. „Und ein Glücksfall für China.“ Ihren Nationenwechsel nimmt man ihr dort nicht übel: „Im Gegenteil“, sagt Danielsson. „Sie betreibt beste Werbung für Chinesen im Ausland, sie wird geschätzt, selbst der Präsident redet gut über sie.“
Dass auch ihre chinesische Gegnerin Ni ernst nimmt, zeigt sich in einer Satzpause. Energisch redet ihr Trainer auf sie ein. Dabei hatte sie 11:1 gewonnen. „In China wissen sie, dass sie auch 41 Jahre nach ihrem WM-Titel immer noch gefährlich sein kann“, sagt Danielsson. Linkshänderin Ni hat viel Erfahrung und spielt auf beiden Seiten ihres Schlägers Noppenbeläge, die die Rotation verändern, das Spiel der Gegnerin zerstören können. Kurz: Sie kann einen zur Weißglut treiben. Tischtennis aus einer anderen Zeit.
Wiedersehen bei Olympia in Los Angeles?
Sun Yingsha bleibt aber souverän. Nur in Durchgang drei hat Ni plötzlich die Chance zum Satzgewinn. „In einem anderen Spiel mache ich den Punkt. Aber so ist das, wenn du gegen die Nummer eins spielst.“ Eine Erfahrung, die nicht viele 61-Jährige machen. Am Ende unterliegt sie 0:4. Doch die Zuschauer bereiten ihr einen lautstarken Abschied. „Ich habe jeden Moment genossen“, sagt sie später und hält Geschenke in der Hand. Plüschtiere. Zum Knuddeln.
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Ob es ein Wiedersehen in Los Angeles 2028 gibt? „Das weiß nur Gott“, sagt Ni Xia Lian und grinst. Ihr Mann traut es ihr zu, „wenn sie gesund bleibt“. So lange will sie Spaß haben. Und endlich ein Enkelkind. Dann wäre sie wirklich eine Tischtennis-Oma.
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