Paris. Angelique Kerber wirkt nach der Entscheidung über ihr Karriereende befreit. Bei Olympia in Paris steht sie als einzige Deutsche in Runde zwei.
Wer lange einen schweren Rucksack trägt, der verspannt. In den Schultern, im Nacken, im Rücken. Alles wird beschwerlich. Wer ihn aber absetzt, sich der Last entledigt, der spürt, wie sich alles entspannt, wie alles wieder leichter wird. Angelique Kerber hat einen besonders schweren Rucksack abgesetzt.
Keinen physisch greifbaren, sondern einen mentalen. Deutschlands erfolgreichste Tennisspielerin seit Steffi Graf hat vor dem Beginn der Olympischen Spiele verkündet, ihre Profikarriere nach dem Turnier in Roland Garros zu beenden. Indem sie die Entscheidung laut ausgesprochen hat, hat sie sich von dem Druck befreit, den die Gedanken um diesen Schritt auf sie ausgeübt haben. Und das hat noch einmal Kräfte freigesetzt, mit denen sie sich sogar selbst überrascht hat. „Man geht schon mit dem Gedanken auf den Platz, das kann dein letztes Match sein – es wäre gelogen, was anderes zu behaupten“, gestand sie.
Kerber kam nach Comeback nicht in Schwung
Die Sonne, die sich nach dem ganzen Regen am Samstag endlich wieder zart über Paris zeigte, war schon wieder untergegangen, als Angelique Kerber zu strahlen begann. Unter dem Flutlicht des Court Philippe Chatrier besiegte die 36 Jahre alte Kielerin die frühere Weltranglistenerste Naomi Osaka aus Japan mit 7:5, 6:3 – ein Triumph, der kaum zu erwarten war. Seit mehr als zwei Monaten hatte Kerber, die nach ihrer Rückkehr nach der Geburt ihrer Tochter Liane in diesem Jahr bei allen Grand Slams in der ersten Runde ausgeschieden war, kein Einzel mehr gewonnen. Und jetzt dieser Befreiungsschlag.
Nach einem schwachen Start kämpfte Kerber sich in die Partie und marschierte mit lange vermisster Sicherheit Richtung Sieg; wie berauscht von sich selbst, getragen vom Publikum, das immer wieder ihren Namen skandierte. Sie spielte auf wie zu ihren besten Zeiten, zeigte das Niveau, das sie sich für ihr Comeback erträumt hatte. Doch erst durch das Ablegen des Karriere-Rucksacks schien sie sich selbst entkrampft zu haben.
Kerbers Entscheidung steht trotz Sieg in Paris fest
Als dann in einer Pause das gesamte Publikum das Lied „Aux Champs-Elysées“ sang, saugte die dreimalige Grand-Slam-Siegerin die Atmosphäre noch einmal auf, um sich dann den Sieg zu sichern. Karriereende vertagt. „Genau dafür habe ich mich die letzten Monate zurück gearbeitet, habe trainiert, um diese Momente zu genießen“, sagte sie.
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Abseits des Platzes erlebte man später eine entspannte, völlig losgelöste Angelique Kerber. Sie lächelte, freundlich, zugewandt. Ihre Augen funkelten. „Ich habe das sehr genossen. Der Sieg bedeutet mir sehr viel, ich bin zurückgekommen, um weiter oben mitspielen zu können. Ich habe heute gezeigt, dass ich weiterhin gegen Topspielerinnen gewinnen kann – sogar auf Sand.“ Die French Open, die sonst in Roland Garros stattfinden, sind das einzige Grand-Slam-Turnier, das Kerber nie gewonnen hat.
Trotzdem: Die Entscheidung nach Olympia aufzuhören, steht fest. „Ich bin sehr glücklich damit“, sagte die Silbermedaillengewinnerin von Rio 2016. „Wenn es noch zwei, drei Runden weitergeht: umso besser!“ In Runde zwei trifft Deutschlands Sportlerin der Jahre 2016 und 2018 auf die Rumänin Jacqueline Adina Cristian.
Neun Stunden im Regen für Celine Dion
Die letzten Tage seit der Verkündung waren für Kerber ein Karussell der Emotionen. Gekrönt von dem Moment bei der Eröffnungsfeier, als Celine Dion zur Entzündung des Olympischen Feuer die „Hymne à l’amour“ sang. „Die neun Stunden im Regen zu stehen, war schon sehr kalt, aber auf der anderen Seite habe ich auf den letzten Moment gewartet, auf Celine Dion“, schwärmte Kerber. „Das war sehr emotional für mich, mit all den Gedanken, mit den letzten Tagen.“
Viele Sportgrößen, Kolleginnen, aber auch ihr nahestehende Menschen hatten sie und ihre Karriere gewürdigt. „Extrem verschiedene Gefühlslagen“ habe sie in sich gespürt. Auf der einen Seite fühlte sie eine große Befreiung, auf der anderen Seite auch Druck. Denn natürlich seien alle Augen noch einmal auf sie gerichtet. Jeder Auftritt kann der letzten ihrer großen Karriere sein.
Paris war nie Kebers Lieblings-Grand-Slam
Doch sie hatte sich vorgenommen, noch einmal alles zu geben, jedes Extraprozent rauszuholen, was noch in ihr schlummerte. „Bis zum Ende zu kämpfen, hat mich die letzten Jahre ausgezeichnet, so will weitermachen, bis es vorbei ist,“, sagte sie, „denn genauso möchte ich auch in Erinnerung bleiben.“
Paris, das gibt sie offen zu, war nie ihr Lieblings-Grand-Slam, „nie mein Lieblingsbelag“. Nun ist sie die einzige im Turnier verbliebene Deutsche. Versöhnung liegt in der Luft: „Ich glaube am Ende werden Paris und ich doch noch Freunde.“ Ein gelöstes Lachen, dann verschwand sie in die Nacht.
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