Hamburg. Die Buxtehuderin spricht über die WM-Ziele der deutschen Handballfrauen, ihre eigene Rolle und die Folgen ihrer Corona-Erkrankung.

Mit der Partie gegen Tschechien starten die deutschen Handball-Frauen an diesem Donnerstag (18 Uhr) in Lliria nahe Valencia in die größte WM der Geschichte. 32 Teams kämpfen in Spanien zunächst in acht Vorrundengruppen um den Titel. Weitere Gegner der Auswahl von Bundestrainer Henk Groener (61/Niederlande) sind die Slowakei (Sa, 18 Uhr) und Ungarn (Mo, 20.30 Uhr/alle sportdeutschland.tv).

Im Gespräch mit dem Abendblatt schätzt Rückraumspielerin Emily Bölk (23), die vom Buxtehuder SV stammt und seit Sommer 2020 für Ferencvaros Budapest spielt, die Chancen ein, spricht über ihre eigene Rolle und das Duell mit ihrer Wahlheimat.

Hamburger Abendblatt: Frau Bölk, das leidige Thema Corona hat Sie auch in der Vorbereitung auf die WM beschäftigt, als Kontaktperson einer positiv getesteten Vereinskollegin standen Sie unter Beobachtung. Wie sehr bringt Sie so etwas noch aus der Ruhe?

Emily Bölk: In einer Vorbereitung auf ein Großereignis ist so etwas natürlich unglücklich, denn man will ja nichts verpassen. Aber aus dem Konzept bringt mich das nicht mehr, weil wir das mittlerweile gewohnt sind. Bei einer WM treffen wir auf Spielerinnen aus der ganzen Welt, da will man sichergehen, dass alle gesund bleiben. Wir machen deshalb regelmäßig Schnell- und PCR-Tests.

Sie sind doppelt geimpft und zusätzlich genesen. Wie groß sind Ihre persönlichen Sorgen vor einer erneuten Infektion, und welche Folgen sind von der Erkrankung geblieben?

Bölk: Angst um meine Person habe ich nicht. Ich war im September 2020 infiziert, Unterschiede zu vor der Erkrankung kann ich heute nicht feststellen. Zwar wurde bei mir kein Lungentest gemacht, aber das Herz wurde umfangreich untersucht. Einmal im Jahr steht ein großer Gesundheitscheck an, auch der verlief ohne Auffälligkeiten. Ich bin sehr dankbar, dass ich so gut versorgt wurde und die nötige Zeit zur Genesung bekommen habe. Ich hatte aber auch einen relativ leichten Verlauf, eineinhalb Tage ungewöhnlich starke Kopfschmerzen, danach Erkältungssymptome, aber kein Fieber und auch keinen Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns.

Dann lassen Sie uns über Sport sprechen. Sie spielen erstmals eine WM mit 32 Teams. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Qualität des Turniers dadurch verwässert wird?

Bölk: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Wenn wir die WM einmal mit 32 Teams durchgespielt haben, kann ich mir dazu eine Meinung bilden. Aber da die stärksten Teams sowieso aus Europa kommen und wir nur europäische Gegner in unserer Vorrundengruppe haben, wissen wir, dass die Qualität, die wir bringen müssen, hoch sein muss.

Angesichts dessen, dass Sie in der Vorrunde nur drei statt wie bislang fünf Spiele haben, kommen trotz der Aufstockung nicht mehr Spiele auf Sie zu als bei früheren Weltmeisterschaften. Ist die Belastungsgrenze, über die die Männer stets klagen, dennoch auch bei Ihnen überschritten?

Bölk: Ich habe schon ein sehr anstrengendes Programm, denn wenn die Liga pausiert und auch keine Champions League ansteht, sind meistens Lehrgänge mit der Nationalmannschaft eingeplant. Aber die Intensität wird sehr gut gesteuert, insofern fühle ich mich nicht überlastet. Regeneration ist allerdings extrem wichtig, denn die ständigen englischen Wochen schlauchen den Körper sehr. Ich denke aber, dass es bei den Männern noch extremer ist.

Auch interessant

Auch interessant

Extrem groß war beim Nationalteam die Enttäuschung, sich nicht für Olympia qualifiziert zu haben. Wie haben Sie die Spiele von Tokio erlebt? Tat es noch sehr weh?

Bölk: Als ich zu Hause saß und die deutsche Olympiamannschaft ins Stadion einlaufen sah, tat es tatsächlich sehr weh, denn wir alle haben den Traum, so etwas selbst zu erleben. Da denkt man schon: „Da hätte ich jetzt stehen können!“ Umso mehr werden wir alles dafür geben, 2024 in Paris live vor Ort zu sein.

Nehmen Sie diese Motivation mit in die WM, die nicht nur erstes Großevent nach Olympia, sondern auch Saisonhöhepunkt ist?

Bölk: Wir nehmen das als positiven Ansporn, aber nicht als etwas, das uns noch im Kopf steckt und uns hemmt. Die Vergangenheit ist abgehakt.

Einen Blick zurück müssen Sie uns dennoch gewähren. Die beste Platzierung mit der Nationalmannschaft haben Sie bei der EM 2016 in Schweden mit Platz sechs geschafft. Das war Ihr erstes Turnier im A-Team. Warum hat es nie zu mehr gereicht?

Bölk: Wir hatten seitdem mehrere Umbrüche, viele erfahrene Spielerinnen haben aufgehört. Aber unter unserem Trainer Henk Groener ist seit 2018 ein klarer Aufwärtstrend zu sehen. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass die Bilanz bald besser wird.

Was macht Sie für diese WM zuversichtlich? Mit welchem Ziel gehen Sie in das Turnier?

Bölk: Wir wollen uns bewusst davon freimachen, eine Platzierung als Ziel vorzugeben. Wir haben einige neue Spielerinnen dabei, zwei von ihnen haben bis zum Vorbereitungsturnier am vergangenen Wochenende nur ein Länderspiel absolviert. Da sind die Erfahrenen gefordert, ihre Routine einzubringen und die Jungen zu pushen, damit wir als Team frei aufspielen können.

Obwohl Sie erst 23 Jahre alt sind, zählen Sie zu den Erfahrenen, sind seit fünf Jahren im Team und jetzt eine von zwei Kapitäninnen. Wie beurteilen Sie Ihre Entwicklung und wo sehen Sie sich im Vergleich zu 2016?

Bölk: Bei meinen ersten Turnieren war ich noch wie ein Baby, habe einfach versucht, auf dem Spielfeld mein Bestes zu geben, war aber deutlich nervöser, als ich es jetzt bin. Natürlich ist die Aufregung vor einer WM da, aber ich habe das besser im Griff. Wir können als Mannschaft mittlerweile auch auf die Erfahrung zurückgreifen, Topnationen wie Norwegen oder die Niederlande bei großen Turnieren geschlagen zu haben. Deshalb kann auch ich mit breiter Brust und viel Selbstbewusstsein auflaufen.

Welche Rolle hat in dieser Entwicklung Ihre Entscheidung gespielt, 2020 vom Thüringer HC ins Ausland zu Ferencvaros Budapest zu wechseln?

Bölk: Ich bin absolut happy mit dem sportlichen Input, den ich durch diesen Wechsel bekommen habe. In Budapest haben wir beste Bedingungen, wir trainieren in einer eigenen Halle mit eigenem Gym und Wellnessbereich. Trainingsintensität und -qualität sind extrem hoch. Dazu kommt, dass es mir sehr guttut, im Team mittlerweile eine wichtige Rolle zu spielen und mich in der Champions League regelmäßig mit den Besten zu messen. Das verlangt mir zwar einiges ab, aber ich merke, dass ich mich enorm entwickle und lerne, mit jeder Art von Druck umzugehen. Das macht mir Spaß.

Im letzten Spiel der Vorrunde treffen Sie auf Ungarn, Ihre Wahlheimat. Wie sehen Sie dem entgegen?

Bölk: Ich freue mich riesig drauf. Bei der EM im vergangenen Jahr hatten wir in der Hauptrunde schon einmal diese Konstellation, damals haben wir 32:25 gewonnen. Ich kenne alle Spielerinnen sehr gut, die halbe Nationalmannschaft kommt von Ferencvaros. Daher werde ich mein Insiderwissen einbringen, damit wir uns bestmöglich vorbereiten können. Keine Frage, das wird ein besonderes Spiel für mich.

Werden Sie auf dem Spielfeld alles verstehen, was die Ungarinnen sagen?

Bölk: Die Handball-Terminologie habe ich drauf, aber Ungarisch ist wirklich eine extrem schwierige Sprache. Ich hatte Unterricht, bevor ich nach Budapest gegangen bin, denn das Training findet ausschließlich auf Ungarisch statt. Interviews kann ich auch schon geben, aber wenn mich in der Stadt jemand anspricht, sitzt noch nicht jedes Wort.

Umso schöner, dass Sie in Ihrem Team Heimatgefühle erleben können. Mit Torhüterin Katharina Filter und Kreisläuferin Lisa Antl sind zwei Spielerinnen von Ihrem Heimatverein Buxtehuder SV im WM-Kader. Was bedeutet Ihnen das?

Bölk: Das freut mich sehr, weil es zeigt, dass sich beim BSV einiges entwickelt. Ich bin immer froh, wenn ich aus erster Hand erfahren kann, wie es in Buxtehude so läuft. Auch wenn sich das Team mittlerweile stark verändert hat, seit ich weg bin, kann ich noch mitreden und frage nach, was läuft. Buxtehude wird schließlich immer meine Heimat bleiben.