Hamburg. Tennisprofi spricht über ihre Rolle als Turnierbotschafterin am Rothenbaum – und warum sie für die Frauenquote ist.
Ihren ersten offiziellen Auftritt als neue Turnierbotschafterin am Rothenbaum hatte Andrea Petkovic am Montag. Um 14 Uhr unterstützte die 33 Jahre alte Weltranglisten-130. aus Darmstadt Turnierdirektorin Sandra Reichel bei der Auslosung der Hauptfeldmatches für die Damenkonkurrenz, die von diesem Dienstag an erstmals seit 2002 wieder an der Hallerstraße stattfindet. Vor 19 Jahren trat die in Tuzla (Bosnien) geborene Tennisspielerin dank einer Wildcard in Hamburg in der Qualifikation an – und verlor in Runde eins. Diesmal steht sie im Hauptfeld. Und Runde eins soll nicht Endstation sein.
Hamburger Abendblatt: Frau Petkovic, darf man als Turnierbotschafterin das Turnier gewinnen, oder gilt es, den Gästen den Vortritt zu lassen?
Andrea Petkovic: Angelique Kerber hat vor Wimbledon in Bad Homburg gewonnen, wo sie selbst Turnierbotschafterin ist. Vielleicht ist das für mich ein gutes Omen! Erlaubt ist es auf jeden Fall, und ich habe mit Sandra Reichel besprochen, dass ich die beste Botschafterin sein kann, wenn ich möglichst weit komme. Wir machen es so: In der ersten Woche beim Damenturnier bin ich Sportlerin, in der zweiten Woche, wenn die Herren hier spielen, werde ich mich aufs Botschaften konzentrieren. Und auch ein bisschen darauf, Hamburg zu genießen.
Tennis hat bei Ihnen noch höchste Priorität?
Petkovic: Ja, auf jeden Fall. Auch wenn ich in diesem Jahr einige bittere Erstrundenniederlagen erleben musste, spüre ich körperlich und mental eine Frische, die mich glücklich macht und mir zeigt, dass ich noch nicht bereit bin, mit dem Tennis aufzuhören.
Sie haben sehr früh in Ihrer Karriere damit begonnen, sich Gedanken um Alternativen zu machen. 2008 hatten Sie Ihren ersten Kreuzbandriss und haben die Zeit genutzt, um in Hamburg Praktika im PR-Bereich zu machen und während des Herrenturniers eine Kolumne fürs Abendblatt zu schreiben. Wussten Sie damals schon, dass sich daraus ein zweites Standbein ergeben könnte?
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Petkovic: Überhaupt nicht. Damals wollte ich die Zeit einfach nutzen, um während der Reha-Phase etwas für mein Hirn zu tun. Schreiben hat mir schon immer viel Spaß gemacht. Die Arbeit in der Pressestelle war aber nicht meins, ich wollte nichts schreiben, was mir vorgegeben wird. Die Kolumne fürs Abendblatt erschien damals online und wurde vielleicht von fünf Leuten gelesen, aber das hat mir großen Spaß gemacht.
Viele im Leistungssport sind überzeugt, dass man sein Optimum nur ausschöpft, wenn man sich komplett auf eine Sache konzentriert. Hätten Sie mehr erreichen können als Platz neun in der Weltrangliste, wenn Sie sich nur auf Tennis fokussiert hätten?
Petkovic: Im Gegenteil. Wenn ich früher verstanden hätte, wie wichtig es ist, sein Hirn auch anders zu beanspruchen und für Ablenkung zu sorgen, wäre ich gesünder geblieben. Tennis ist durch die Art, wie es konzipiert ist, ein ständiger Abnutzungskampf. Du kannst jede Woche ein Turnier spielen, musst immer deine Weltranglistenpunkte verteidigen. Das kann mental schnell zur Ermüdung führen. Jeder Mensch braucht etwas, das ihn in die Balance bringt. Ich habe mich zu Beginn meiner Karriere mental und intellektuell zu wenig gefordert. Jetzt habe ich gelernt, mir Ausgleiche zu schaffen.
Sie finden diesen Ausgleich vor allem in kreativen Prozessen, Sie moderieren für das ZDF die „Sportreportage“ und haben im vergangenen Herbst den Bestseller „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ veröffentlicht. Ist das Schreiben Therapie?
Petkovic: Das habe ich anfangs geglaubt, aber tatsächlich war es eher andersherum. Ich musste das Erlebte erst verarbeiten, bevor ich es aufschreiben konnte, weil ich in der Emotion nicht die passenden Worte fand. Später allerdings haben mir die geschriebenen Zeilen geholfen, Situationen wiederzuerkennen, die ich so oder ähnlich bereits erlebt hatte.
Was auffällt in Ihrem Buch, das ist die Fähigkeit, sich auf der einen Seite mit vollkommener Offenheit in den Mittelpunkt zu stellen, aber andererseits nie zu wichtig zu nehmen. Ist Ihnen der Spagat schwergefallen?
Petkovic: Es ist schön zu hören, dass das Buch derart auf Sie wirkt, denn ich glaube, dass mir die Beschäftigung mit meinem Leben geholfen hat, mich mit mir selber besser abzufinden und mich nicht so wichtig zu nehmen. Egozentrik ist in einem Einzelsport wie Tennis ja eine Berufskrankheit. Ich habe mich früher viel zu wichtig genommen, konnte nie verstehen, wenn andere Menschen nicht einsahen, dass ich der Mittelpunkt der Welt war, denn so habe ich mich und meine Dramen betrachtet. Erst mit der Erfahrung, länger verletzt zu sein und sehen zu müssen, wie das Leben trotzdem weitergehen kann, habe ich es nach und nach geschafft, auch eine Außenansicht auf mein Leben zu entwickeln.
Sie haben Ihr Buch nicht als Autobiografie bezeichnet, weil Sie manche Erlebnisse frei schildern und nicht genauso, wie sie abgelaufen sind. Warum war Ihnen das wichtig?
Petkovic: Die Beschäftigung mit Literatur hat mich gelehrt, dass Literaten es schaffen, ihre Erfahrungen zu universalisieren, damit sich möglichst viele Leserinnen und Leser damit identifizieren können. Ich fand es absurd, mich über 300 Seiten lang nur mit meinem Leben zu befassen, deshalb habe ich Kapitel eingebaut, in denen ich vom Tennis und seinen Protagonisten erzähle. Das habe ich mir nicht ausgedacht, aber manches ist in den Erinnerungen etwas verschüttet und hat sich nicht zu 100 Prozent so zugetragen. Deshalb haben wir es Autofiktion genannt.
In Zeiten, in denen viele Sportstars Bücher herausbringen, fragen sich die Leserinnen und Leser: Schreiben die das wirklich selbst?
Petkovic: Ja, alles, aber ich hatte eine sehr gute Lektorin, die mir geholfen, aber vor allem auch freie Hand gelassen hat. Für manche Kapitel habe ich Kolumnen oder Artikel, die ich für Publikationen wie das „Racquet Magazine“ geschrieben habe, als Grundlage benutzt, für andere habe ich in meinen Tagebüchern aus der Schulzeit gekramt, wieder andere waren in meinem Kopf. Ich hatte vor dem Schreiben mit Sibylle Berg (deutsch-schweizerische Dramatikerin, d. Red.) gesprochen, und sie hat mir drei wichtige Tipps gegeben: Achte auf die Zahlen. Lass dir nicht vom Lektorat reinpfuschen. Und: Lies keine Kritiken!
Und, haben Sie sich an Letzteres gehalten?
Petkovic: Ich habe tatsächlich nur eine einzige Kritik gelesen, die von Ijoma Mangold in der „Zeit“, weil ich aus dem Verlag fünf Anrufe hatte, die seinen Text gefeiert haben. Sibylle Berg hat zu mir gesagt, dass man selbst ein Gefühl dafür entwickeln muss, ob ein Buch gelungen ist oder nicht, und das geht nicht so gut, wenn man sich von Kritiken beeinflussen lässt. Das habe ich versucht, und ich kann heute sagen, dass ich das beste Buch geschrieben habe, das ich zu der Zeit schreiben konnte. Würde ich rückblickend Dinge anders machen? Natürlich, aber so ist es ja meist im Leben.
Dabei sind Sie Kritiken doch gewohnt, auch über Sie als Tennisspielerin wird viel geschrieben. Denken Sie oft, wenn Sie Sporttexte über sich lesen: Das könnte ich besser?
Petkovic: Nein, denn ich beschäftige mich lieber damit, an mir selbst zu arbeiten. Das betrifft vor allem meinen Job beim ZDF. Ich weiß mittlerweile, wie ein Narrativ funktioniert, aber ich vergesse oft, Dinge zu simplifizieren. Dann sagen die in der Redaktion: Andrea, du hast 25 Sekunden, wie sollen die Leute in der Zeit kapieren, was du ihnen mit deinem Geschwurbel sagen willst? Ich versuche, mich herauszufordern, indem ich nicht die Geschichte erzähle, die auf der Hand liegt, sondern zu nutzen, dass ich schon da war, wo die, über die ich berichte, sind.
Sie haben früh damit begonnen, sich über das Leben nach dem Leistungssport Gedanken zu machen. Glauben Sie, dass das schwarze Loch, in das viele nach dem Rücktritt fallen, für Sie deshalb nicht ganz so dunkel sein wird?
Petkovic: Das weiß ich nicht, aber ich hoffe es. Ich habe jedenfalls keine Angst mehr davor. Spätestens in der Corona-Zeit habe ich gemerkt, dass ich mir ein Fangnetz geknüpft habe, denn während die meisten Tennisprofis gar nichts machen konnten, hatte ich mein Schreiben und meine Moderation. Das tat gut.
Viele Leistungssportler fürchten, dass sie nie wieder etwas so gut können werden wie den Sport, den sie aufgeben. Sie auch?
Petkovic: Ich war die Nummer neun der Weltrangliste, da wäre es vermessen, wenn ich glauben würde, dass ich irgendetwas im Leben noch einmal so gut können werde, dass ich die Neuntbeste der Welt darin bin. Aber es gibt definitiv Dinge, die mir leichter fallen werden als Tennis. Schreiben zum Beispiel ist etwas, das sehr natürlich für mich ist. Und ich habe auch keine Scheu vor der Kamera, ich kann Stillen sinnvoll füllen. Tennis war dagegen immer harte Arbeit, besonders der Konkurrenzkampf hat mich aufgefressen. Ich weiß aber auch, dass ich niemals mehr im Leben diese emotionalen Höhen und Tiefen haben werde, die mir das Tennis gegeben hat.
Wie kann man die kompensieren? Oder glauben Sie, dass Sie das vielleicht gar nicht vermissen werden?
Petkovic: Das Training an sich werde ich nicht vermissen, die Routinen, die notwendig sind, um vor allem jetzt im Alter präventiv zu arbeiten, sind schon recht langweilig. Aber die Wettkämpfe werden mir fehlen, denn sobald ich auf den Platz gehe, ist alles, was hart war, vergessen. Kompensieren lässt sich das nicht, wobei ich auch vor jeder Livesendung sehr viel Adrenalin in mir habe. Nur, dass da keine Gegnerin ist, die mir das Leben schwer macht. Wenn es Probleme mit einem Film gibt, kann ich das auffangen, indem ich einfach rede und mich auf mich verlasse. Auf dem Tennisplatz hat man immer Angst, dass man verlieren könnte. Das ist der große Unterschied.
Noch ist es ja auch nicht so weit, Sie sagten nach Ihrem Zweitrundenaus vergangene Woche in Wimbledon, dass Sie möglicherweise auch 2022 noch spielen. Wie ist denn Ihr Plan für den Abgang?
Petkovic: So lange mein Körper mitmacht und ich Spaß empfinde, werde ich spielen. Für die Zeit danach kann ich mir gut vorstellen, in Deutschland auch als Turnierdirektorin zu arbeiten. Ich möchte gern dazu beitragen, die Turnierlandschaft, die wir jetzt in Deutschland haben, zu pflegen und eine neue Generation aufzubauen. Das hätten wir schon vor drei, vier Jahren tun sollen, aber jetzt ist es höchste Zeit, das zu nutzen.
Als Turnierbotschafterin in Hamburg fangen Sie damit nun an. Was ist Ihnen wichtig in dieser Rolle?
Petkovic: Zweierlei. Zum einen möchte ich daran arbeiten, dass Tennis nicht mehr als Elitensport wahrgenommen wird, sondern als Sport für die ganze Gesellschaft, für alle Generationen. Zum anderen möchte ich dabei helfen, dass es mehr Turniere gibt, bei denen Damen und Herren gemeinsam antreten, weil ich überzeugt davon bin, dass Tennis universell und geschlechterübergreifend funktioniert.
Mit Ihrer Art, sich ein- und durchzusetzen, wäre für Sie eine Frauenquote wahrscheinlich unnötig. Dennoch: Wie denken Sie über diese Diskussion?
Petkovic: Meine Cousine ist studierte Politikwissenschaftlerin und der schlaueste Mensch, den ich kenne. Ich habe früher gedacht, dass es keine Quote braucht, denn wer gut ist, setzt sich durch. Aber sie hat mir gesagt: Es gibt genug Frauen, die vom Temperament her ruhiger sind als Du, und die haben in den Abnutzungskämpfen keine Chance. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Deshalb sage ich heute: Wenn bei gleicher Qualifikation die Frau eher eingestellt wird, bin ich dafür.
Bevor Sie also Turnierdirektorin werden: Welches Abschiedsgeschenk wünschen Sie sich von Ihrem Sport?
Petkovic: Es gibt einen Makel auf meiner Karriere: Dass ich in Wimbledon nie die zweite Woche erreicht habe. In meiner schönsten Fantasiewelt male ich mir also aus, dass mir das im nächsten Jahr noch gelingt. Das wäre wirklich ein schönes Ende für die Geschichte.