Hamburg. Hamburgs Turnierbotschafterin verliert denkbar knapp im Finale gegen eine 23 Jahre alte Qualifikantin aus Rumänien.

Sollte es wider Erwarten doch nichts werden mit ihrer professionellen Tenniskarriere, dann kann Elena-Gabriela Ruse es mit Hellsehen versuchen. Nach ihrem 7:6 (8:6), 6:4-Finaltriumph über Andrea Petkovic am Sonntagnachmittag auf dem Center-Court am Rothenbaum erinnerte sich die 23 Jahre alte Rumänin an das, was sie am vergangenen Montag an ihre Freundinnen in der Heimat schrieb. „Ich fühlte mich hier von der ersten Minute an wohl und wusste, dass ich in dieser Woche mein bestes Tennis spielen würde“, sagte sie, „dass es jetzt tatsächlich so gut geklappt hat, macht mich sehr glücklich. Glauben kann ich es noch nicht, ich stehe noch ein wenig unter Schock.“

Nun muss man mit Blick auf die Historie des Herrenturniers am Rothenbaum sagen, dass es keiner hellseherischen Fähigkeiten bedurft hätte, um Ruse als Siegerin vorherzusagen. Hamburg hat ein Herz für Qualifikanten, und als solche hatte sich die Weltranglisten-198. bis zu ihrem ersten Titel auf der WTA-Tour durchgeschlagen. Sieben Siege innerhalb von sieben Tagen, darunter im Halbfinale am Sonnabend ein schwer erkämpftes 2:6, 6:1, 6:4 gegen die topgesetzte Ukrainerin Dajana Jastremska (21/Nr. 38), hatten zwar sichtbare Zeichen der Erschöpfung hinterlassen, wie sich bei einem „Medical Timeout“ Ende des ersten Satzes zeigte, als Ruse die aus dem Rücken in die Oberschenkel ausstrahlenden Schmerzen behandeln ließ.

Aber all die Pein konnte sie nicht davon abhalten, bis zum letzten Punkt ihren eisernen Siegeswillen unter Beweis zu stellen. „Ich bin eine Kämpferin, und ich wollte diesen Titel unbedingt“, sagte sie. 280 Weltranglistenpunkte und ein Preisgeld von 23.548 Euro brachte dieser ein. Viel mehr aber freute sich die glückliche Gewinnerin darüber, „dass nun mein Name in der Siegerliste dieses Turniers steht. Als erste Spielerin nach 19 Jahren hier gewonnen zu haben, das bedeutet mir unheimlich viel“, sagte sie in ihrer Dankesrede auf dem Court.

1050 Zuschauer beim Finale am Rothenbaum

2002 hatten letztmals die besten Tennisdamen der Welt in Hamburg aufgeschlagen, Ruse ist dementsprechend die Nachfolgerin der Belgierin Kim Clijsters (38), immerhin eine ehemalige Weltranglistenerste. Turnierdirektorin Sandra Reichel zeigte sich ob des historischen Anstrichs denn auch vollauf zufrieden mit dem Comeback. „Der erste Aufschlag ist geglückt. Wir haben gezeigt, dass es ein Gewinn ist, die Frauen in Hamburg zu haben“, sagte die Österreicherin.

Ihre Freude konnte auch die ernüchternde Zuschauerresonanz nicht trüben. 1050 zahlende Besucher erlebten das Finale, insgesamt kamen an den fünf Turniertagen 3800 Menschen – und damit nur 300 mehr, als pro Tag erlaubt gewesen wären.

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Petkovic von Rothenbaum-Siegerin Ruse überrascht

Andrea Petkovic stand, während Ruse sprach, etwas abseits, spendete höflich Applaus – und erkannte ihre sportliche Unterlegenheit ohne Umschweife an. „Es schmerzt mich, dass ich nicht mehr die Energie hatte, meine Beinarbeit zu nutzen und sie unter Druck zu setzen. Elena hat eine großartige Woche gespielt und verdient gewonnen“, sagte sie.

Auch Petkovic erinnerte sich an eine Begebenheit vom Turnierstart. „Ich kannte sie vorher nicht, habe zwei Tage vor meinem ersten Match mit ihr trainiert und zu meinem Coach gesagt: Wer ist dieses Mädel, die spielt richtig gut! Ich hätte mir gewünscht, dass sie heute nicht gezeigt hätte, wie gut sie ist“, sagte sie.

Rothenbaum: Petkovic-Ärger mit Schiedsrichter

Es gab nur einen Moment in der Partie, in dem das Momentum in Richtung der Weltranglisten-130. hätte kippen können. Das war, als Petkovic den ersten Satz nach einer unglücklichen Entscheidung des australischen Schiedsrichters Tom Sweeney – er hatte einen vom Linienrichter Aus gegebenen Ball als gut erklärt und den Punkt nicht wiederholen lassen, sondern Ruse zugeschrieben – abgab, nach lautstarken Diskussionen mit ihrem Trainerteam zur Toilettenpause abdampfte und anschließend die ersten drei Spiele des zweiten Satzes gewann. „Leider konnte ich diesen Druck nicht aufrechterhalten“, sagte sie.

Auch wenn die Darmstädterin, die im Halbfinale das deutsche Generationenduell mit Jule Niemeier (21/Dortmund/Nr. 167) 7:6 (7:4), 4:6, 7:5 gewann, bei ihrer ersten Finalteilnahme seit ihrem letzten Titelgewinn 2015 in Antwerpen (Belgien) den letzten Schritt zur Krönung nicht gehen konnte: Den ersten Teil ihres Jobs als Turnierbotschafterin hat die ehemalige Weltranglistenneunte mit Bravour erfüllt. Sie wolle sich in der ersten Woche auf den Sport konzentrieren und während des nun anstehenden Herrenturniers alles aufsaugen, was im organisatorischen Bereich zu lernen ist, hatte sie vorab gesagt.

Aber dann beließ sie es natürlich nicht bei Aufschlag und Return, sondern verstand es, in den Interviews auf dem Platz die Zuschauer mit ihrer Eloquenz in den Bann zu ziehen. Nach der Finalniederlage zog sie kurzerhand eine Parallele zu Schottlands Tennisidol Andy Murray, der sie mit seiner Stehaufmännchen-Attitüde inspiriere. „Diese Leidenschaft fürs Tennis trage ich auch in mir. Ich will mir von niemandem vorschreiben lassen, wann ich aufzuhören habe, sondern spiele, so lange ich es will“, sagte sie. Und wer sie spielen sah in dieser Woche, der würde ihr auch kaum nahelegen, damit bald aufzuhören.

Petkovic-Bezwingerin liefert großen Kampf am Rothenbaum

Für Elena Ruse dagegen soll die Karriere, die sie aus Frust wegen ständiger Blessuren schon fast aufgegeben hatte, nun erst richtig beginnen. „Ich hoffe, dass das heute der Start von etwas Großem war“, sagte die Rumänin, die in dieser Woche bereits in Prag das nächste Turnier spielt. Die Top 100 sollte sie schnell erreichen können, sofern ihr nicht wieder Verletzungen den Weg verbauen. „Viele kennen mich noch nicht“, sagte sie, „aber ich weiß, wie gut ich bin.“ Hamburg weiß es jetzt auch.