Hamburg. Wolfgang Krause, Cemil Yavas und Timo Oehlenschläger diskutieren über die Pandemie, nervige Konkurrenten und Ablösesummen.

Ex-Profi Wolfgang Krause (67, vier Einsätze für den HSV Barmbek-Uhlenhorst) ist Landesligist SC V/W Billstedt seit 2002 in verschiedenen Funktionen treu, aktuell als Teammanager. Cemil Yavas (36) führte den TuS Osdorf in seiner zehnjährigen Amtszeit als Manager ohne große finanzielle Mittel von der Bezirksliga in die Oberliga. Timo Oehlenschläger (31) ist Präsident von Bezirksligist HFC Falke. Von jenem Club also, der 2014 von HSV-Fans, die von der Ausgliederung enttäuscht waren, gegründet wurde. Oehlenschläger kickt selbst noch in der zweiten Mannschaft.

Hamburger Abendblatt: Wie haben Ihre Vereine die Pandemie bislang überstanden?
 

Wolfgang Krause: Eines unserer Ziele ist es, die Kinder und Jugendlichen durch Fußball von der Straße zu holen. Deshalb waren die Lockdowns grausam. 26 Jugendteams hatten in dieser Zeit auf unserer Anlage keine Bleibe mehr. Finanzielle Einbußen, zum Beispiel in der Vereinswirtschaft und bei den Sponsoren, blieben nicht aus.

Cemil Yavas: Unsere Mitgliederzahl sank von 650 auf knapp unter 500. Darauf mussten wir leider mit Einsparungen reagieren.

Timo Oehlenschläger: Wir sind mit nur zwei Herrenteams anders strukturiert. Mehr als 200 Mitglieder kommen alleine aus der Fanszene. Mitgliederschwund verzeichneten wir keinen. Klar fehlten uns wie allen anderen Vereinen die Einnahmen aus den Spieltagen und vom Catering. Bei uns macht dieser Posten 90 Prozent des erweiterten Etats aus.

Konnten die finanziellen Hilfen aus der Politik die Löcher komplett stopfen?

Krause: Ich glaube, ich spreche für alle hier, wenn ich sage: Das war nicht möglich. Wir haben uns darüber gefreut, aber es konnte nicht das Ziel der Hilfen sein, die Verluste der Amateurfußballvereine komplett auszugleichen.

Jugendfußball während Corona vernachlässigt

Sie sprachen den Jugendfußball an. Erhielt dieses Thema in der Pandemie den ihm zustehenden Stellenwert?

Krause: Das finde ich nicht. Es wurde bundesweit vernachlässigt. Nicht nur der Jugendfußball, sondern der Jugendsport insgesamt. Wie erkläre ich denn einem Siebenjährigen, dass er nun seine Freunde nicht mehr im Verein treffen darf? Und welche Folgen hat das für das Kind? Kinder brauchen dieses soziale Umfeld, nicht nur aus sportlichen Gründen, sondern auch für ihre persönliche Entwicklung. Darauf wurde mir in der Diskussion zu wenig geschaut.

Oehlenschläger: Wenn wir mal den Fußball nehmen, sollten wir uns bitte nichts vormachen. Wo steckt das Geld? Im Profifußball! Sehr schnell waren Bundesligaspiele vor leeren Rängen kein Thema mehr. Diskutiert wurde, wie es da weiterläuft, wo viel Kohle im Spiel ist. Das Wegbrechen vieler Jugendmannschaften wird bei solchen Prioritäten leider weniger beachtet. Nur finde ich: Wenn der Profifußball so auftritt, dann sollten die Clubs dort nicht als Vereine, sondern als Unternehmen bezeichnet werden. Das ist Business. Punkt, Aus, Ende!

Krause: So vermischen würde ich die Themen nicht. Ich habe die Aufnahme des Spielbetriebs bei den Proficlubs, die ja mit finanziellen Einbußen zu kämpfen hatten, begrüßt. So gab es wenigstens Fußball im TV als Ersatz für den Stadionbesuch. Was ich teile: Es sollte bei der Diskussion nicht immer nur um die finanzielle Seite gehen.

Oehlenschläger: Aber genau das meine ich doch. Ein Beispiel: Die horrenden Ablösesummen im Profifußball strahlen weit runter bis in den Amateurbereich. Unser Amateurfußball krankt doch schon im Ablösemodus.

An Richtlinien orientiert sich kaum jemand

Wieso denn das? In der Spielordnung des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) findet sich eine Liste mit Richtwerten für fällige Transfersummen bei Vereinswechseln. Wechselt ein Spieler innerhalb der Oberliga, werden 2500 Euro fällig.

Yavas: An diese Liste hält sich kaum ein Mensch. Die Realität sieht völlig anders aus. Die frechste Forderung, die mir gestellt wurde, waren 6000 Euro für einen Spieler, der im Club nicht mal einen Stammplatz hatte. Mir geht dieser ganze Ablösequatsch gewaltig auf die Nerven. Und ich kenne das, seit ich in der Bezirksliga bei Osdorf angefangen habe.

Oehlenschläger: Ich sehe das auch so. Klar, wenn ein 21 Jahre alter Spieler gehen will, der seit der F-Jugend bei mir ausgebildet wurde, dann möchte ich eine Entschädigung sehen. Aber bei stinknormalen Wechseln ist mir das alles zu überdreht mittlerweile.

Krause: Entschädigungsforderungen dürfen halt nicht ins Uferlose wachsen, da muss man wirklich aufpassen. Und man muss ganz klar sagen: Es gibt da einige Vereine im Hamburger Süden, die drehen durch.

HFV kann nicht jeden Wechsel überwachen

Kann man beim HFV nicht auf die Einhaltung der Richtwerte pochen?

Krause: Nein, der HFV kann auch gar nicht jeden Wechsel überwachen. Will der gegnerische Verein den Spieler sperren, kann er das bei einem Wechsel im Sommer bis zum 1. November, bei einem Wechsel im Winter für die komplette Rückrunde. Für den Winter steht sogar ausdrücklich in den DFB-Regularien, dass die Zustimmung des abgebenden Vereins notwendig ist.

Yavas: Das bedeutet: Der andere Verein kann den Spieler immer sperren. Ohne Begründung.

Oehlenschläger: Was mich daran stört, ist: Du bist ja fast gezwungen, diesen Zirkus mitzumachen, wenn du sportlich etwas ambitioniert bist. Wir bei Falke wollen aber weiterhin versuchen, keine Ablösesummen zu zahlen, und das über Freundschaftsspiele regeln.

Ablöse kann auch anders funktionieren

Welche Lösungen gibt es noch?

Yavas: Ich habe längst angefangen, mir ein Netzwerk aufzubauen mit befreundeten Vereinen. Will ein solcher Club einen Spieler von mir, kriegt er ihn ohne Ablösesumme. Will ich irgendwann einen Spieler von diesem Club, bekomme ich ihn ohne Ablöse.

Krause: Man sollte aber auch betonen: Es gibt nach wie vor die vernünftigen Vereine, mit denen du nicht oder höchstens um 50 Euro feilschen musst. Wir haben übrigens ebenfalls schriftliche Vereinbarungen mit Vorständen zur gegenseitigen Ablösefreiheit bei Wechseln zwischen unseren Clubs.

Oehlenschläger: Worauf ich gespannt bin, ist die Entwicklung. Ich hoffe, viele Menschen verstehen: Amateurfußball ist mehr als der sportliche Erfolg in den 90 Minuten auf dem Platz. Es sollte ein Festtag des sozialen Miteinanders sein. Wer in die Oberliga will, muss ja heute schon ein Preisschild mitbringen.

Die Schätzungen der Oberligaetats belaufen sich auf 80.000 bis 150.000 Euro…

Oehlenschläger: Da reden wir bei so manchem Club aber nicht vom Gesamtetat, nur vom Etat für die Spieler.

Auch Geld ist ein Thema

Stichwort Spieler. Wie hat sich deren Mentalität verändert?

Krause: Die Vereinsbindung nimmt seit Jahren ab. Früher haben wir mit dem Gegner nach dem Spiel ein paar Bier getrunken. Das gibt es in der Form leider immer weniger. Wir haben das ja in Billstedt erlebt. Wir konnten uns in der Oberliga nicht halten, weil wir nicht bereit waren, jede Summe zu zahlen. Nun gehen wir den Weg mit A-Jugendlichen. Das macht irre Spaß. Wir wissen nur nicht, wie lange wir sie halten können, wenn für sie die ersten guten Angebote eintrudeln. Die Verführung ist dann da.

Oehlenschläger: Bei uns gibt es nur fünf Euro pro Training als kleine Aufwandsentschädigung. Mehr als 40 Euro im Monat sind nicht drin. Ich sage den Jungs immer: Wer darauf seine Familienplanung aufbaut, macht etwas falsch. Wir wurden von Fans gegründet, und die Spieler leben die Verbundenheit mit unserem Club und seinen Anhängern. Generell ist es für manche Spieler schwierig, klar im Kopf zu bleiben, wenn ihnen ambitionierte Vereine 500 bis 1000 Euro als festen monatlichen Lohn bieten. Prämien kommen da ja noch obendrauf. Da wünsche ich mir manchmal, dass jemand die Jungs beiseite nimmt und sagt: Mach einen Schritt nach dem nächsten – und spiele lieber für 200 Euro weniger.

Yavas: Für uns kann ich sagen, wir haben da in Osdorf so etwas wie ein kleines gallisches Dorf geschaffen mit einer sehr hohen Identifikation der Spieler. Bei uns gibt es nicht mal Aufwandsentschädigungen. Dafür kleine Prämien bei Erfolgen. Unsere Jungs sitzen oft nach dem Training und den Spielen noch lange zusammen. Viele Jugendspieler haben sich zu gestandenen Oberligaspielern entwickelt. Das ist ein Ass im Ärmel für mich bei Verhandlungen. Generell finde ich, dass es verschiedene Kategorien von Spielern gibt. Die einen halten nur die Hand auf. Die anderen möchten sich vor allem weiterentwickeln und ein wenig was dafür kriegen. Einige Jugendspieler sind finanziell noch ganz unverdorben. Nur schätzen sie sich, gerade in der U 19 kurz vor dem Sprung in den Herrenbereich, oft sportlich viel zu gut ein. Sie unterschätzen das, was im Herrenfußball auf sie zukommt, ganz gehörig.

Gute Jugendarbeit zahlt sich aus

Wie stehen Sie zu Investoren im Amateurfußball?

Oehlenschläger (lacht): Da muss ich für den HFC Falke ja nicht drauf antworten!

Krause: Ich habe nichts dagegen. Wenn die Strukturen gesund sind, das Ganze also nachhaltig abläuft. Leider ist das oft nicht so. Ich habe das ja als Spieler selbst erlebt, und seitdem gibt es zig Beispiele: Sponsor weg, Geld weg, Spieler weg, Verein ist ganz weg oder stürzt erst mal ab. In der Oberliga fällt mir da Lurup in den vergangenen Jahren als Beispiel ein.

Oehlenschläger: Wenn wir alle Vereine auf einen Zettel schreiben, die das in den vergangenen 20 Jahren erlebt haben, wird der sehr voll. Mir ist da der Niendorfer TSV viel sympathischer. Die haben eine Oberliga-, eine Landesliga- und eine Bezirksligatruppe. Dazu eine gute Jugendarbeit mit vielen Talenten. Du kannst denen wegkaufen, was du willst. Es kommt immer was nach. Das ist nachhaltig.

Yavas: Ich möchte lieber von einem Partner sprechen. Für einen Partner wäre ich offen, wenn er nicht in unsere Strukturen eingreift. Aber jemanden, der mir sagt, wer hier Trainer wird, wer hier spielt und wo ich in zwei Jahren zu landen habe, den will ich nicht. Wenn einer mir den einen oder anderen Euro gibt und sagt, ‘Ich finde euren Verein geil, mach was draus’, dann gerne.

Yavas: "Concordia nervt mich"

Sehen Sie bestimmte Oberligavereine bezüglich des Themas Geld besonders kritisch?

Yavas: Ich gebe zu: Concordia nervt mich. Sie kaufen jeden, der einen Namen hat. Haben einen Riesenkader. Dann kommen sie mit ihrer App mit der Schwarmintelligenz, wo der Trainer nicht mal mehr alleine über die Aufstellung entscheiden kann. Cordi kann natürlich tun, was sie möchten, aber für mich geht es da nur noch um Macht und um Kohle. Das ist einfach nicht der Amateurfußball, den ich kenne und liebe.

Optimismus trotz steigender Corona-Zahlen

Fürchten Sie einen neuen Lockdown oder mindestens geschlossene Sportplätze?

Yavas: Nein. Mein Gefühl sagt mir, wir schaffen das.

Krause: Ich glaube auch nicht daran. Freiluftaktivitäten sind weitgehend unbedenklich. Wir werden die Saison durchspielen können.

Oehlenschläger: Das sehe ich ähnlich. Einen neuen Lockdown wird die Politik den Leuten nicht verkaufen können.

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Christian Okun wurde gerade zum neuen HFV-Präsidenten gewählt. Was erwarten Sie von ihm?

Krause: Ich habe keine speziellen Erwartungen. Der Verband wurde mir in der Pandemie viel zu scharf kritisiert. Es ging um unser aller Gesundheit in einer völlig neuen Situation. Da hat der Verband viel richtig gemacht. Und sicher nun auch gelernt, mehr über die Ideen Dritter nachzudenken.

Oehlenschläger: Ich hoffe, er wird mutig, mit viel Weitblick agieren. Ich blicke anders auf einen Spielplan, wenn ich eine Mannschaft habe oder eben 26. Die Interessen der Clubs sind sehr verschieden. Er sollte sich mit möglichst vielen Meinungsmachern austauschen, gerade auch mit unabhängigen Dritten.

Yavas: Vor einigen Jahren war ich als sein Linienrichter mit ihm unterwegs. Er ist genau der Richtige, jung, frisch und engagiert, konnte sich bei seinem Vater Volker Okun einiges abgucken und kennt unheimlich viele Leute im Amateurfußball. Er wird die Vereine einbeziehen, seine Ziele erreichen und ein guter HFV-Präsident sein.