Hamburg. Der 53-Jährige ist seit Januar im Vorstand und spricht über Walter und Boldt, seine eigene Zukunft und das Ziel Schwarze Null.

Thomas Wüstefeld entschuldigt sich für seine Verspätung. Der kommissarische HSV-Vorstand eilt von einem Termin zum nächsten. Für das Gespräch mit dem Abendblatt schaufelt sich der 53-Jährige aber noch Zeit frei. Wüstefeld hat im Volkspark viele Veränderungen vor und nimmt sich 50 Minuten Zeit, über seine Pläne zu sprechen.

Herr Wüstefeld, Ihr jüngster Sohn hat einen deutlichen Sieg gegen Ingolstadt und einen Sieg mit zwei Toren Abstand gegen Regensburg vorausgesagt. Was sagt das HSV-Orakel für den kommenden Sonnabend voraus?

Thomas Wüstefeld: Er hat sich noch nicht final festgelegt, weil er noch die Aufstellung des Trainers abwarten will. Aber seine erste Prognose liegt bei 3:1. Ich hoffe, dass er sich nicht verrechnet hat. Zumal wir in seiner Rechnung noch Zweiter werden können.

Ist denn Papa Wüstefeld ähnlich optimistisch wie der Junior?

Das ist er. Wobei der Papa sagt, dass wir zunächst einmal unsere eigenen Spiele gewinnen sollten.

Der HSV hat diese Saison im Halbfinale des DFB-Pokal gespielt und ist nun – zwei Spieltage vor dem Saisonende – auf Kurs, die bislang beste Zweitligasaison zu spielen. Würden Sie sich bereits unabhängig vom Ausgang des Aufstiegsrennens ein Saisonfazit zutrauen?

Ich würde gerne noch die letzten zwei Spiele abwarten. Dann muss man kaufmännisch betrachtet ein Gesamtfazit ziehen. Sportlich gesehen ist es bislang eine gute Saison mit dem Halbfinale, auch wenn wir gerne ins Finale gekommen wären. Das wäre das Sahnehäubchen gewesen. Wir hoffen natürlich, in der Liga am Ende auf Platz zwei oder drei zu stehen, um sagen zu können, dass es die beste Saison der vergangenen vier Jahre war.

Aufsichtsratschef Marcell Jansen hat eine ganz genaue Analyse nach der Saison angekündigt. Was erwarten Sie für Erkenntnisse Ihrer früheren Kontrolleurskollegen?

Die Analyse wird sicher in zwei Verantwortungsbereiche geteilt werden. Der Bereich Sport von Jonas Boldt wird analytisch und strategisch bewertet. Ich verantworte den gesamten operativen Bereich, dazu zählen neben den Finanzen auch das Marketing und der Verkauf. Auch da wird es eine Analyse geben.

Hintergrund der Frage ist, dass in den vergangenen Tagen immer wieder Ihr Vorstandskollege Jonas Boldt und auch Trainer Tim Walter infrage gestellt worden sein sollen. Würden Sie denn gerne mit Ihren beiden Kollegen weitermachen?

Ich wünsche mir, dass wir sportlich gesehen das bestmögliche Ergebnis herausholen. Bei mir geht es nicht um Namen, sondern um Funktionen und Strategien.

Damit haben Sie die Frage aber nicht beantwortet. Noch einmal: Möchten Sie in der aktuellen Konstellation im Sport weitermachen, wofür ja auch Jonas Boldt schon geworben hat?

Ich kann es mir sehr gut vorstellen, mit Jonas Boldt als Sportvorstand, Tim Walter als Trainer und Michael Mutzel als Sportdirektor weiter sehr eng zusammenzuarbeiten. Und das auch unabhängig von der Liga.

Jonas Boldt sagte nach dem Sieg gegen Ingolstadt, dass „der eine oder andere nicht richtig mit Drucksituation umgehen“ könne. Wen meint er?

Das müssen Sie ihn selbst fragen. Ich bin mit Jonas im direkten Dialog, wir sprechen jeden Tag. Daher kann ich nur sagen, dass er mich nicht meinen kann.

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Sie haben sich in den vergangenen Wochen viele Gedanken um eine neue Struktur beim HSV gemacht, die Direktorenebene beispielsweise soll abgeschafft werden. Können Sie uns schon ein bisschen mehr verraten?

Ich kann so viel verraten, dass ich seit Januar viel gelernt habe über die Unterschiede zwischen klassisch wirtschaftlichen und sportwirtschaftlichen Unternehmen. Das hat mir unheimlich viel Input gegeben. Aus diesem Input habe ich mit meinem Team ein Konzept entwickelt, wie wir uns strukturell auf der Geschäftsstelle aufstellen könnten. Das werde ich dem Aufsichtsrat nach der Saison vorstellen.

So stellt sich Wüstefeld die neue Struktur des HSV vor

Sie haben Ihre Ideen kürzlich allen Mitarbeitern vorgestellt. Wie soll Ihre neue Struktur aussehen?

Es geht um ein Transformationsmodell und nicht um den Big Bang. Die Rollen stehen. Es geht um flache Hierarchien, damit wir viel agiler werden in den Bereichen Marketing, Hospitality und in der Unternehmenskultur. Eines hat sich abgezeichnet: Wir müssen die Menschen wieder dazu bewegen, in den Volkspark zu kommen. Wir müssen wieder auf die Menschen zugehen und nicht darauf warten, dass die Menschen zu uns kommen. Das betrifft alle, die mit dem HSV in Verbindung stehen.

Besonders der Marketingbereich wurde in den vergangenen Jahren oft umstrukturiert und neu aufgestellt. Haben Sie für diesen Bereich konkrete Pläne?

Ja. Es gab im Marketing viele Wechsel. In der Vergangenheit wurden immer Personen geholt, an die Erwartungen geknüpft wurden. Wir drehen das jetzt um und definieren ein klares Kursbuch. Erst dann holen wir eine Person, die den Kurs umsetzt und mit ihren eigenen Ideen ergänzt.

Und dieses Kursbuch ist schon geschrieben?

Zu großen Teilen ja. Es wird gerade noch justiert und modifiziert und dann dem Aufsichtsrat und auch den Anteilseignern vorgestellt. Es geht um ein ganz neues Modell mit strategischen Partnern, mit denen wir den HSV und unsere Marke entwickeln wollen.

Erst kürzlich konnten Sie einige neue Partnerschaften verkünden: HanseMerkur als Hauptsponsor, Klaus-Michael Kühne hat für ein Jahr die Namensrechte am Stadion gekauft, und auch die letzten HSV-Anteile sind mittlerweile verkauft. Gibt es jetzt überhaupt noch Potenziale?

Es gibt keinen Bereich, an den ich nicht denke. Auch das ist Bestandteil des neuen, vielgreifenden Konzepts. Wir haben in der Analyse der Vermarktung nicht nur in die Bundesliga geguckt, sondern nach Italien und zu zwei Clubs in England. Die Premier League ist der Vermarktungskönig. Es ist unglaublich, wie man dort den Fußball als Vermarktungsobjekt installiert hat. Für uns bleibt die Fankultur aber das Wichtigste, damit der Fußball immer im Vordergrund steht und nicht die Investoren.

Gehört zu Ihren Überlegungen auch, den Vertrag mit Ihrem Catering-Partner Aramark zu modifizieren?

Der Aramark-Vertrag läuft noch einige Jahre. Das heißt aber nicht, dass man während der Vertragslaufzeit nicht die Inhalte justieren und die Partnerschaften neu aufstellen kann. Wir müssen in allen Bereichen aktiver und präsenter werden. Wir brauchen ein noch besseres Stadionerlebnis. Wir brauchen mehr Technologien und Digitalisierung. Da spielt natürlich auch das Catering eine Rolle bei der Frage, wie unsere Fans zum Beispiel schnellstmöglich ihre Bratwurst und ihr Bier bekommen. Wir haben Business-Modelle erarbeitet, die wir mit unseren Partnern umsetzen wollen. Da sind neue Konzepte dabei, die es bis heute im Volkspark so noch nicht gibt.

Wie sieht es denn beispielsweise bei der Bier-Partnerschaft aus? Die „Bild“-Zeitung hatte von einer neuen Partnerschaft mit Holsten berichtet, unseren Informationen nach soll König Pilsener der Bier-Partner bleiben?

Ich kann sagen, dass wir in der nächsten Saison noch einen Vertrag mit König Pilsener haben. Ab 2023 könnten wir einen neuen Bierpartner haben. Im Moment sind wir noch in der Sondierungsphase. Ich war daher verwundert, dass schon eine Vereinbarung mit Holsten kommuniziert wurde.

So steht der HSV nach zwei Jahren Pandemie wirtschaftlich da

Während der Corona-Pandemie war immer die größte Sorge, dass der eine oder andere Fußballclub insolvent gehen könnte. Wie ist der Status quo in Sachen Finanzen nach zwei Jahren Pandemie?

Wir haben uns gut aufgestellt und stehen solide da. Wir haben in den vergangenen Monaten gut gewirtschaftet. In unserem Transformationsmodell haben wir einen klaren Wirtschaftsplan. Es gibt hinreichend Möglichkeiten, wo wir Anpassungen vornehmen können und meiner Meinung nach auch müssen.

Können Sie das konkretisieren?

Es gibt zwei Wirtschaftspläne. Zum einen für die Bundesliga und zum anderen für die Zweite Liga. Das beinhaltet auch den Mannschaftsetat. Beide Pläne sind ausgerichtet mit dem Ziel, eine Schwarze Null zu schreiben. Das ist das Ziel eines jeden Unternehmens.

Ist die schwarze Null bereits im laufenden Geschäftsjahr bis zum 30. Juni zu erwarten?

Für das laufende Jahr kann ich sie auch aufgrund der Corona-Nachwirkungen ausschließen. Wir werden aber voraussichtlich besser dastehen als in der Hochrechnung im Winter. So viel kann ich schon sagen. Der Plan, den wir haben, sieht vor, kurz- bis mittelfristig die Schwarze Null zu erreichen.

Der HSV muss ab diesem Jahr sein Stadion für die Euro 2024 modernisieren. Ursprünglich wurde mal mit Kosten von rund 30 Millionen Euro kalkuliert. Mussten Sie wegen Corona neu kalkulieren?

Die Umbauarbeiten sind in Planung. Wir bewerten die Erlöse und die Erlösschmälerungen. Wir rechnen die Investitionen nach, weil wir Auswirkungen auf die Materialien und die Baunebenkosten haben. Wir erwarten, dass es nicht günstiger wird. Einige Investitionen im Volkspark sind notwendig, auch für den Fall, dass wir in die Bundesliga aufsteigen.

Dafür haben Sie vor zwei Jahren Geld von der Stadt bekommen. Ist das Geld noch da?

Die Stadt hat das Grundstück unter dem Stadion gekauft und hat dafür Mittel überwiesen. Diese Mittel sind in unserem Etat berücksichtigt, wir bewerten aktuell die damit in Verbindung stehende wirtschaftliche Situation.

Sie sind in den vergangenen Wochen mit dem Rotstift durch alle Abteilungen gegangen, auch die Profis müssen nun selbst aus Bayern mit dem Bus zurückfahren. Gibt es aus Ihrer Sicht noch Einsparpotenzial?

Ja, entscheidend ist aber, dass der sportliche Spielbetrieb nicht leidet oder der Fahrstuhl hier nicht mehr fährt. Das Unternehmen muss für sich so gut funktionieren, dass es den Sport in allen Bereichen stärkt. Wir wollen unsere sportlichen Ziele erreichen. Das zeigen die Verpflichtungen von Mario Vuskovic und Miro Muheim. Der Sport ist und bleibt das Aushängeschild unseres Clubs.

So plant Wüstefeld seine Zukunft beim HSV

Muss der HSV nach Amadou Onana erneut ein Top-Talent wie Josha Vagnoman verkaufen, um die Finanzen zu stabilisieren?

Wir müssen am Ende der Saison schauen, wo die Reise hingeht. Daraus wird abgeleitet, wie wir uns ab Juli aufstellen und welche Aktivitäten nötig sind.

Sie betonen immer wieder, dass Ihr Mandat als Vorstand „nur“ bis Ende des Jahres läuft. Wir würden Ihnen eine Wette anbieten, dass Sie auch danach noch Vorstand bleiben. Würden Sie dagegen halten?

Ich habe mir angewöhnt, nicht mehr zu wetten, weil ich eine Vielzahl meiner Wetten verloren habe. Ich habe im Moment eine Mission und versuche viel zu machen und weniger zu reden. Ich sehe ganz viele Notwendigkeiten und ganz viele Potenziale. Ich definiere genau das, was der HSV aus meiner Sicht benötigt. Und das ist eine Kontinuität und eine Langfristigkeit und ein bestehendes Management, das eine klare Agenda hat. Ob ich das als eine Option auch sein kann, muss der Aufsichtsrat entscheiden. Aber er wird sich sicher auch mit meiner Person auseinandersetzen, wenn die Entscheidungen getroffen werden.

Würden Sie denn zur Verfügung stehen, wenn der Aufsichtsrat Sie fragt?

Das ist ein Gemeinschaftsdialog, den man führen muss, und der hängt auch davon ab, ob der Aufsichtsrat mein Konzept mitträgt.

Noch einmal anders gefragt: Ist HSV-Vorstand ein Traumjob für Sie?

Er ist in jedem Fall ein sehr abwechslungsreicher und interessanter Job. Man braucht viel Zeit, viel Energie und viel Power. Es gibt viele Gespräche, die herausfordernd sind. Aber als HSV-Fan fühlt man sich immer dann am wohlsten, wenn man ordentlich mitmachen kann.

Wir haben zu Beginn des Gesprächs über die Orakelfähigkeiten Ihres Sohnes gesprochen. Ist Ihre Familie noch immer Feuer und Flamme, dass Sie nun von früh morgens bis spät abends im Volkspark sind – und dafür noch nicht einmal ein Gehalt bekommen?

Meine drei Söhne sind bereits alle begeisterte Fußballfans. Mittlerweile konnten wir auch meine Frau auf die Seite der Raute ziehen. Sie steht jetzt auch hinter dem ganzen Projekt, so dass ich aus der Familie auf jeden Fall den Rückhalt habe.