Norderstedt. Beim öffentlichen Training ist der Andrang am EM-Eröffnungstag groß. Schnell wird klar: Portugal hat Ronaldo, aber Norderstedt hat Patrik.
Hannah und Michelle müssen kichern. Nein, sie mussten an diesem Freitag gar nicht die Schule ausfallen lassen, um vormittags beim ersten und einzigen öffentlichen Training der tschechischen Nationalmannschaft in Norderstedt dabei zu sein, versichert Michelle. „Aber wenn wir Schule gehabt hätten“, sagt Abiturientin Hannah, „dann hätten wir auf jeden Fall geschwänzt.“
Der Grund (fürs Kichern und fürs Fast-Schwänzen) hat einen Namen: Patrik Schick. Am Donnerstag landetet der Stürmerstar mit seinen Kollegen in Fuhlsbüttel, am Freitag stand der 28-Jährige bereits erstmals im Norderstedter Edmund-Plambeck-Stadion auf dem Platz. „Schick ist schick“, sagt die 18 Jahre alte Hannah – und muss erneut kichern.
EM 2024 in Hamburg: 1000 Fans kommen zum ersten Training der Tschechen
Dabei hat die Langenhornerin ihre Begeisterung für Patrik Schick gar nicht exklusiv. Ein Großteil der mehr als 1000 Trainingsbesucher, die am Freitag zum öffentlichen Training gekommen waren, wollten vor allem ihn sehen: Den Bayer-Beau, der mit Leverkusen gerade Deutscher Meister wurde und der nun die personifizierte EM-Hoffnung der Tschechen ist.
1,91 Meter groß, ein breites Kreuz, die Haare oben kurz und an den Seiten noch kürzer. So betrat der Stürmerstar bereits um kurz vor 11 Uhr den herrlichen Rasenplatz im Edmund-Plambeck-Stadion. „Er ist wirklich toll“, schwärmt Hannah, die für ihren Lieblingsspieler sogar extra im roten Tschechientrikot gekommen ist.
Ein paar Semester älter, aber ähnlich begeistert, sind Viola und Ellen. Die beiden Schulbegleiterinnen der Grundschule Harksheide-Nord waren mit insgesamt vier vierten Klassen gekommen – und hatten trotz der Aufsicht über mehr als 100 Kinder auch immer mal wieder die Zeit, Schick und Co. beim Torschusstraining zuzuschauen.
„Wir drücken Tschechien für die ganze EM neben Deutschland die Daumen“, sagt Viola (57), die sich sogar eine kleine Tschechienflagge auf die Wange gemalt hat. Und auch ihre Schüler waren nicht weniger kreativ. Die Hausaufgabe, ein blau-weiß-rotes Schild zum Anfeuern zu malen, hatten alle Kinder mit Bravour bestanden.
Vor allem viele Kinder sind nach Norderstedt gekommen
Tom hat zwar kein Schild dabei, ist aber auch wegen Schick gekommen. „Den finde ich am besten“, sagt der Siebenjährige, der zwar ebenfalls nicht die Schule schwänzte, aber krankgeschrieben ist. Tom, der eigentlich gar nicht Tom heißt, zieht den Trikotärmel hoch und zeigt seinen Gipsarm. „Beim Fußballspielen passiert“, sagt er. „Aber ist gar nicht so schlimm.“
Alles andere als schlimm ist es auch, dass die tschechische Mannschaft nach ihrer 70-Minuten-Einheit noch einmal eine ähnlich lange Einheit für Autogramme und Selfies hinter sich bringen muss. „Mit so einem Empfang hatte keiner gerechnet“, sagt Ondrej Novacek.
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Der TV-Journalist von Ceska Televiza war bereits am Mittwoch in Hamburg angekommen – und hätte nie gedacht, dass Norderstedt die Mannschaft von Trainer Ivan Hašek derart frenetisch feiert. „Ich bleibe in Hamburg, solange die tschechische Mannschaft hier bleibt“, sagt Novacek. „Und ich hoffe sehr, dass ich lange bleiben kann.“
Wie lange genau, das dürfte vor allem an Schick und Hašek liegen. Der eine (Schick) muss die Tore schießen, der andere (Hašek) muss einen genauen Plan dafür ausarbeiten, wie genau das funktionieren kann.
Trainer Hašek bereitet Team auf Portugal vor
Zumindest während des Trainings hat Hašek kein größeres Mitteilungsbedürfnis. Der 60 Jahre alte Trainer steht wahlweise mit verschränkten Armen vor der Brust oder den Armen hinter dem Rücken am Mittelkreis. Mal ein kurzes Kopfnicken, ein noch kürzeres „Hey“ oder ein kräftiges Pusten in seine Trillerpfeife – viel mehr ist von Hašek in Norderstedt nicht zu sehen oder zu hören.
Dabei hat der Grandseigneur des tschechischen Fußballs, der schon 2009 Nationaltrainer war, direkt eine der schwierigsten Aufgaben des Turniers unmittelbar vor der Brust: Am kommenden Dienstag (21 Uhr) muss Tschechien im Topspiel der Gruppe F in Leipzig gegen Portugal und Cristiano Ronaldo ran.
Doch in Tschechien ist man sich sicher: Portugal hat vielleicht Ronaldo, aber Tschechien hat Schick. „Patrik hat eine fantastische Saison gespielt“, sagte Ivan Hašek im Gespräch mit dem Abendblatt schon lange vor der Reise nach Hamburg.
Training der Tschechen in Norderstedt fast so gut wie im Stadion
Und in Norderstedt würde im Hier und Jetzt niemand auf die Idee kommen, Hašek zu widersprechen. Einziger Wermutstropfen: Ein Spiel der Tschechen können sich nur die wenigsten der Norderstedt-Zuschauer ansehen. „Ich habe alles versucht, eine Karte zu bekommen“, sagt Philipp, der Papa von Tom. „Aber das schien mir leider komplett unmöglich.“
Doch die Alternative Trainingschauen ist ja auch nicht viel schlechter. „Und hier bekomme ich sogar ein Autogramm“, sagt Tom. Der Nicht-Schulschwänzer. Und auch Hannah, die Fast-Schulschwänzerin, hätte es nicht besser formulieren können.