Herzogenaurach. Nach dem 0:0 gegen die Ukraine wird rund um die Nationalmannschaft diskutiert, ob Nagelsmann seine Startelf noch verändern muss.

Die Plätze um den Tisch von Ilkay Gündogan waren am Dienstagnachmittag schnell besetzt. Der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft war beim Mediaday im Team-Quartier in Herzogenaurach einer der begehrtesten Ansprechpartner. Nach dem Prinzip des Speeddatings gaben die Nationalspieler den TV- und Printmedien jeweils 30 Minuten lang Kurzinterviews.

Zehn Tage vor dem Start der Heim-Europameisterschaft war Gündogan froh, dass er sich am Tag nach dem 0:0 gegen die Ukraine im vorletzten Test ein wenig entspannen konnte. „Es war eine der härtesten Saisons meines Lebens. Ich musste viele Spiele bestreiten, habe viele Minuten in den Knochen, das habe ich auch gespürt und merke es immer noch“, sagte der Mittelfeldstar des FC Barcelona, der in der abgelaufenen Saison für seinen Verein und die Nationalmannschaft 60 Pflichtspiele bestritten hat.

Ilkay Gündogan spricht über Schwäche in Nationalmannschaft

Auch gegen die Ukraine war das zu merken, als dem Techniker in der ersten Halbzeit ungewohnte Fehlpässe unterliefen. Es dauerte nicht lange, ehe im Netz wieder erste Diskussionen aufkamen über den DFB-Kapitän, der in Nürnberg zum wiederholten Mal einen eher unglücklichen Abend in der Nationalmannschaft. Warum das so ist? „Das ist eine schwere Frage, mit der ich mich auch schon mehrfach auseinandergesetzt habe“, sagte Gündogan. „Seit 2018 hatten wir drei Turniere, bei denen wir als Mannschaft schlecht waren. Das galt auch für mich persönlich. Ich hinterfrage mich natürlich auch kritisch.“

In der deutschen Offensive um Kai Havertz (v.l.), Chris Führich, Jamal Musiala und Ilkay Gündogan bleiben nach dem 0:0 gegen die Ukraine noch Fragezeichen.
In der deutschen Offensive um Kai Havertz (v.l.), Chris Führich, Jamal Musiala und Ilkay Gündogan bleiben nach dem 0:0 gegen die Ukraine noch Fragezeichen. © DPA Images | Daniel Karmann

Nagelsmann aber versuchte, die Gündogan-Debatte, die auch durch Lothar Matthäus befeuert wurde („Ich glaube, dass Nagelsmann ihn auf die Bank setzt“), klein zu halten. „Es mutmaßen viele Leute viele Dinge“, sagte Nagelsmann Richtung Matthäus und stellte klar: „Ilkay hat gut gespielt. Wir brauchen ihn für das Turnier, er gibt uns Rhythmus, Ruhe und Struktur. Er ist ein komplett anderer Spielertyp als Leroy, Jamal oder Flo.“

DFB-Team zeigt sich konteranfällig

Der Jamal (Musiala) und der Flo (Wirtz) zeigten in der ersten Halbzeit auf den offensiven Halbpositionen, dass sie mit ihrer Spielfreude und ihrer Kombinationsfreudigkeit den Deutschen bei der EM viel Freude bereiten werden. Geichzeitig wurde in Halbzeit eins deutlich, dass der Nationalmannschaft die schnellen Flügelspieler fehlen, wenn Musiala und Wirtz auf dem Platz stehen. Dann sind es die Außenverteidiger Joshua Kimmich und Maximilian Mittelstädt, die nach vorne schieben. Diese Taktik bringt aber immer auch eine Konteranfälligkeit mit, die von der Ukraine durchaus hätte ausgenutzt werden können.

Florian Wirtz (links) im Duell mit dem Ukrainer Mychajlo Mudryk. Robert Andrich schaut zu.
Florian Wirtz (links) im Duell mit dem Ukrainer Mychajlo Mudryk. Robert Andrich schaut zu. © dpa | Tom Weller

Umso wichtiger wird es sein, dass die DFB-Elf ihre eigenen Chancen nutzt. Und davon gab es am Montag einige. Die eingewechselten Offensivspieler vergaben zwar mehrere Hochkaräter, nutzten aber zumindest ihre persönliche Chance bei Nagelsmanns Speedcasting. In Abwesenheit der Champions-League-Finalisten konnten in der potenziellen Schottland-Startelf vor allem die Spieler überzeugen, die beim Auftaktspiel nicht für die erste Elf vorgesehen sind und Nagelsmann nun noch einmal ins Grübeln bringen dürften. Allen voran Pascal Groß als Vertreter von Toni Kroos. Aber auch die eingewechselten Chris Führich, Maximilian Beier und Deniz Undav zeigten, dass sie bei der EM gerne viel Spielzeit bekommen wollen.

Gleichzeitig muss Beier weiterhin um sein EM-Ticket zittern. Es dürfte auf ein Rennen hinauslaufen mit Eintracht Frankfurts Robin Koch, der als fünfter Innenverteidiger kaum Aussicht hat auf Spielzeit. Beier dagegen zeigte gegen die Ukraine, dass er mit seinem Tempo in die Tiefe ein Element mitbringt, dass der deutschen Mannschaft vor allem in der ersten Halbzeit gegen die Ukraine gefehlt hat und bei der EM noch wichtig werden könnte.

Nagelsmann setzt Sané unter Druck

Diesen Speed bringt im Kader sonst nur Leroy Sané mit, der sich weiterhin mit Schambeinproblemen herumplagt. „Leroy muss trainieren und gegen die Griechen am Freitag spielen. Er hat gar keinen Rhythmus. Er wird nicht jedes Spiel über 90 Minuten machen können“, sagte Nagelsmann, der aber nur ungern auf Sané verzichten will.

Der Kampf um die EM-Plätze ist am Montagabend in jedem Fall noch einmal durch die Offensivjoker durcheinandergewirbelt worden. Gündogan, so viel dürfte kurz vor dem Turnierstart sicher sein, bleibt als Kapitän weiterhin gesetzt. Nun hofft der oft kritisierte Gündogan auch auf den Rückhalt der deutschen Fans. „Ich wünsche mir einen Vertrauensvorschuss und hoffe, dass auch mal ein Fehler akzeptiert wird“, sagte Gündogan. „Nur so können wir erfolgreich sein.“

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