Hamburg. Die Hamburger Golferin hat in Arizona eine neue Heimat, privates Glück und eine lukrative Einnahmequelle gefunden. Ihr Ziel: Olympia.
Die vierwöchige Asientour ist geschafft. Golfturniere in China, Thailand, Singapur. Jetzt ist eine kleine Pause bis zum nächsten Turnier ab dem 28. März. Zeit zum Durchschnaufen – oder auch nicht. „Mein Ziel ist es, zu versuchen, jeden Tag etwas dazuzulernen und besser zu werden“, sagt Esther Henseleit. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sie in ihrer US-Heimat in Scottsdale in Arizona täglich an ihrem Golfspiel arbeitet.
Die 25-Jährige startet bei den internationalen Turnieren auf allen Kontinenten zwar immer noch für den Hamburger Golf-Club Falkenstein (HGC), tatsächlich aber haben sich die Verbindungen in die Hansestadt deutlich gelockert, seit sie 2019 auszog, als Profi die Golfwelt zu erobern.
Sie ist nur noch sehr selten Gast bei dem Club, der ihr den Weg an die Spitze geebnet hatte. „Ich genieße es immer total, im Sommer für eine Runde vorbeizukommen und mich mit den Mitgliedern, Teams und Mitarbeitern zu treffen“, schreibt sie per E-Mail dem Abendblatt.
Golf: Talent Henseleit kam mit 14 Jahren nach Hamburg
2013 war sie aus ihrem Heimatort Varel in Niedersachsen zum HGC gewechselt, um ihr Golftalent zu veredeln. Unter Trainer Christian Lanfermann entwickelte sie sich zu einer absoluten Spitzenspielerin. 2018 gewann sie die Deutschen Einzelmeisterschaften sowie mit der Mannschaft des HGC die Deutschen Mannschaftsmeisterschaften und die European Ladies’ Club Trophy.
Mit dem Übertritt ins Profilager war aber klar, dass die Zeit beim HGC endet. Die Bedingungen in Arizona sind einfach andere. Der Troon Country Club ist die Trainingsbasis, in der Nähe ist der Lebensmittelpunkt. Und es ist ja auch ganz praktisch, wenn man den Trainer und Caddie ebenfalls ständig zur Hand hat.
Verlobung mit Trainer Reece Phillips im Winter
In der Weihnachtspause hat Esther Henseleit über soziale Netzwerke ihre Verlobung mit dem Engländer Reece Phillips bekannt gegeben, der seit 2020 ihr Freund ist und mit dem sie seit 2021 zusammenarbeitet. Der trägt nun also nicht nur ihre Tasche oder feilt an ihrem Schwung, er muss auch beim Abwasch helfen und den Müll rausbringen – oder so.
Und die Strategie für das nächste Turnier wird am Frühstückstisch entwickelt? Die Fehler der letzten Runde beim Dinner analysiert? Wie hält man das denn aus? „Wir genießen es sehr, zusammen zu reisen und es ist großartig, dass Reece bei den Turnieren mit dabei ist“, sagt Esther Henseleit dazu: „Wir sind beide sehr locker und versuchen, die Zeit zu genießen und gemeinsam Spaß zu haben, das hilft auf jeden Fall.“
Aktuell bester Weltranglistenplatz der Karriere
Echtes Teamwork also, rund um die Uhr, rund um das Jahr. Und wenn man so will, auch ein echter Akt der Emanzipation. Denn der Trainer und Verlobte ist ja doch finanziell abhängig davon, was seine Partnerin so einspielt bei den Turnieren. Und das war nicht so schlecht zuletzt. Rund 450.000 US-Dollar hat sie in diesem Jahr bereits eingenommen, vor allem durch Platz zwei bei einer Veranstaltung der Ladies European Tour in Saudi-Arabien Mitte Februar.
Dieser Erfolg katapultierte sie auch auf Platz 76 der offiziellen Weltrangliste. Das ist die höchste Platzierung ihrer Karriere, gleichzeitig ist sie damit die beste deutsche Spielerin. Olivia Cowan aus Homburg (27/Platz 85) und die Berliner Newcomerin Alexandra Försterling (24/107) sitzen ihr jedoch im Nacken.
Der Traum von Olympia in Paris lebt
Warum das wichtig ist? Weil in diesem Sommer die Olympischen Spiele in Paris anstehen. Nur die besten zwei Spielerinnen der Weltrangliste zum Stichtag 24. Juni sind dafür qualifiziert. Dass Olympia ein großer Traum von ihr ist, ist bekannt – „Ich versuche jedoch, nicht zu viel darüber nachzudenken, da ich jede Woche nur meine eigene Leistung kontrollieren kann“, sagt sie.
Das ist eine Konsequenz aus einer bitteren Erfahrung: Vor den Spielen 2021 in Tokio hatte sie ihr Ticket praktisch schon in der Tasche, doch 2020 gewann Sophia Popov (31) komplett sensationell die British Open und sammelte damit so viele Punkte, dass Henseleit Olympia verpasste. Golf ist einfach nicht kalkulierbar, es kann Triumphe geben aus dem Nichts und dauerhafte Abstürze. „Ich hoffe, dass es am Ende ausreicht, um mich für das Team Deutschland zu qualifizieren“, sagt Hamburgs Sportlerin des Jahres 2019.
Scottsdale ein „zweites Zuhause“
Das wäre natürlich auch für Hamburg schön, so viele Topsportler und Topsportlerinnen werden Vereine aus der Stadt in Paris nicht vertreten. Da ist es auch egal, dass ihr Job gar keine Alternative zum Leben in den USA gibt. Und Alexander Zverev wohnt ja auch längst in Monaco. Beide sind als Profis auch nicht mehr Mitglied im Team Hamburg, haben die Förderung auch nicht nötig. Henseleit dürfte rund zwei Millionen Dollar in ihrer Karriere verdient haben.
Wer als Profigolferin etwas erreichen will, sportlich und finanziell, muss auf der US-amerikanischen Ladies PGA-Tour spielen (LPGA). Die Startberechtigung dafür zu erlangen, ist deshalb das große Ziel aller talentierten Golferinnen. Esther Henseleit hat das ab der Saison 2020 geschafft und die Tourkarte seitdem behauptet.
„Wir reisen viel auf der LPGA Tour und da viele Turniere in Amerika stattfinden, war es an der Zeit, dort eine Basis für mich zu finden“, erklärt sie das Logische: „Arizona erfüllt dafür viele Kriterien und ist mittlerweile zu einem zweiten Zuhause für mich geworden.“
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Vor allem ist dort das Wetter immer schön. Während in und um Hamburg viele Golfplätze nach dem Dauerregen des Winters kaum bespielbar sind, die Kaderspieler des Hamburger Golfverbandes mit Heizstrahlern trainieren müssen, steht sie bei angenehmen 22 Grad auf der Range.
„Ich habe das große Glück, dass der Troon Country Club eine erstklassige Anlage ist und ich dort super trainieren kann“, teilt Esther Henseleit mit, „auch wenn keine Turniere stattfinden oder eben in den Wintermonaten, in denen es in Europa zu kalt und zu nass ist.“ Verstehen kann man das, auch wenn es für Hamburg schade ist.