Melbourne. US-Ikone Megan Rapinoe verlässt die WM-Bühne kurios. Die Machtverhältnisse im Weltfußball verschieben sich.

Da stand Megan Rapinoe nun mit ihren geröteten Augen und ihrem hellblauen Haar vor einem Pulk von Mikrofonen und lachte schon wieder. So wie es der amerikanische Superstar unmittelbar nach einem kruden Fehlschuss im Rectangular Stadium von Melbourne getan hatte. Kurz danach war die USA bei dieser WM gegen Schweden im Elfmeterschießen (4:5) ausgeschieden. Ein surrealer Schlussakkord für die prominente Vorkämpferin, die sich doch eigentlich vor nichts und niemandem fürchtet. „Ich habe noch nie einen Elfmeter verschossen“, behauptete sie. Zumindest habe sie noch nie so weit daneben gezielt. „Das hat einfach diese dunkle, dunkle Komik“, sagte die 38-Jährige: „Ich meine, das ist einfach nur ein kranker Scherz.“

Streit mit Trump nicht gescheut

Aber diese Frau ist nicht so gestrickt, in Selbstmitleid zu zerfließen. So viel ihr der Fußball bedeutet, so wenig definiert sie sich nur darüber. Ihre inneren Werte sind viel größer als der Sport. Und so verzichtete sie auch darauf, gegen den von ihr nie akzeptierten Nationaltrainer Vlatko Andonovski nachzutreten, der keine Zukunft in seinem Job hat. Erst die ideenlosen Auftritte beim Olympischen Fußballturnier 2021 in Japan, jetzt die irritierenden WM-Darbietungen in Neuseeland und Australien fallen dem Coach ohne Charisma auf die Füße.

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Schon gegen Portugal (0:0) hätten sich die US-Girls beinahe blamiert. Stets ohne ihre Anführerin Rapinoe in der Startelf, die über ihre wenigen Einsatzminuten öffentlich einmal Beschwerde führte. Klar, hätte sie gewünscht, „dass wir weiterkommen und dass ich den Titel hätte garantieren können, aber es nimmt nichts von meiner Karriere im Allgemeinen“, versicherte die erst wieder nach 99 Minuten eingewechselte zweimalige Weltmeisterin und Weltfußballerin. Sie habe jeden Moment geliebt, daher könne sie sagen: „Ich werde es zu Tode vermissen, aber es fühlt sich an wie der richtige Zeitpunkt.“ Ganz aufhören will sie im Herbst.

Wie ein schlechter Scherz: Megan Rapinoe verschießt ihren Elfmeter gegen Schweden.  Da hilft nur Galgenhumor: Trotz WM-Aus kann sie noch lachen.
Wie ein schlechter Scherz: Megan Rapinoe verschießt ihren Elfmeter gegen Schweden. Da hilft nur Galgenhumor: Trotz WM-Aus kann sie noch lachen. © Getty Images | Quinn Rooney

Ihr Vermächtnis wird bleiben. Ihr unerschütterlicher Einsatz für Gleichberechtigung und Menschenrechte. Sie ging als erste weiße Sportlerin während der Nationalhymne auf die Knie, um ein Zeichen gegen Rassismus zu senden. Sie scheute sich nicht, eine Klage gegen den eigenen Verband anzustrengen, Frauen und Männer die gleichen Prämien zu zahlen. Und sie führte während der WM 2019 fast einen offenen Feldzug gegen den US-Präsidenten Donald Trump. Damals in Frankreich prägte sie ein ganzes Turnier vom linken Flügel. Als Antreiberin für etwas ganz Großes.

Rapinoes Toleranz zeigte sich auch darin, über Jahre eine heimliche Allianz mit dem zweiten Idol Alex Morgan (34) zu bilden, die ihre Popularität durchaus auch dem Ausstellen weiblicher Reize verdankt und mit dem Fußballspieler Servando Carrasco liiert ist. Rapinoe machte hingegen vor elf Jahren als eine der ersten Spielerinnen ihre Homosexualität öffentlich. Alle aus dem US-Team haben sie irgendwie bewundert. „Es war eine lange Reise mit ihr“, sagte Verteidigerin Julie Ertz, 31, die nach Schlusspfiff ihr weinendes Vorbild tröstete und ihren eigenen Rücktritt erklärte.

Eine historische Zäsur

Das bittere Achtelfinal-Aus des viermaligen Weltmeisters markiert nebenbei eine historische Zäsur. Das Land mit der größten Unterstützung, der stärksten Basis und dem höchsten Aufwand wurde seit der WM-Premiere 1991 mindestens immer Dritter. Aber in der Verschiebung der Machtverhältnisse fand die streitbare Frau irgendwie auch Trost, um ihr 202. Länderspiel nicht nur als Negativerlebnis einzustufen: „Das Turnier ist ein Beweis für den Fortschritt, den so viele andere Teams auf der ganzen Welt gemacht haben. Deshalb habe ich das Gefühl, dass der Fußball gut aufgehoben ist, um in Würde abzutreten.“ Starke Worte einer Ikone.

Ihre These ist belegt: Die 2003 und 2007 jubelnden Deutschen und die 1995 siegreichen Norwegerinnen sind ebenfalls raus. Als letzter Weltmeister ist nur noch Japan im Turnier. In Olympiasieger Kanada und Brasilien blieben weitere Favoriten in der Vorrunde hängen. Die einen reihten sich hinter Nigeria ein, die anderen hinter Jamaika. Erstmals hat mindestens ein Vertreter aller sechs Fifa-Konföderationen ein Spiel gewonnen, Teams aus fünf Kontinenten erreichten die K.o.-Runde. Eine solche Vielfalt gab es im Fußball der Frauen noch nie.

Rückschlag für US-Verband

„Die Tage der Vorhersehbarkeit sind vorbei“, sagt Jill Ellis, die für den Weltverband Fifa die Technische Studiengruppe leitet. „Wir sehen eine unglaubliche Parität, wir sehen umkämpfte Spiele, wir sehen Debütanten, die von sich reden machen. Bis jetzt war es wahrscheinlich das am wenigsten vorhersehbare Turnier.“ Unter ihrer Regie belohnte sich Rapinoe bei der WM 2015 und 2019 für eine fast erdrückende Dominanz mit der Trophäe. Nun fehlt diesem Turnier das Team, das global das größte Interesse generiert. Es ist auch ein Rückschlag für den US-Soccer, der gemeinsam mit Mexiko auch seinen Hut für die Ausrichtung der Frauen-WM 2027 in den Ring geworfen hat.

Doch der Fifa ist es gerade ganz recht, dass die Vormachtstellung aus Nordamerika und Europa bröckelt. Bei der Erschließung neuer Märkte spielt auch dieser Turnierverlauf dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino wieder in die Karten.

Immerhin kann auch Megan Rapinoe den veränderten Kräfteverhältnisse so viel abgewinnen, um mit ihrem absurden letzten WM-Schuss ihren Frieden zu machen.