Hamburg. Günther Gudert ist in Horn als Geschäftsführer zurück an alter Wirkungsstätte. Im Interview spricht er über die Krise des Sports – und Auswege.
Wenn an diesem Sonntagmorgen gegen 10.45 Uhr die Vollblüter für das erste Rennen des Horner Derbymeetings in die Startboxen rücken, werden sich altgediente Rennbahnbesucher über ein vertrautes Gesicht wundern: Günther Gudert, in der Glanzzeit des Galopps einer der Strategen des Erfolgs, ist zurück an früherer Wirkungsstätte. Erst mal vorübergehend, seit und für ein paar Wochen. Als Organisationschef hat der Veranstaltungsprofi die Zügel in der Hand.
Zwischen 1990 und 2004 war der gebürtige Essener, der ursprünglich aus dem Journalismus stammt, als Geschäftsführer und Generalsekretär des Hamburger Renn-Clubs (HRC) aktiv. Anschließend managte er den Betrieb auf renommierten Rennbahnen wie Berlin-Hoppegarten, Bremen, Frankfurt, Mülheim und Düsseldorf. Fragen an einen routinierten Tausendsassa, der weiß, was im Turf läuft.
Rennbahnen locken wieder mehr Zuschauer an
Hamburger Abendblatt: Herr Gudert, Sie sind völlig überraschend an Ihre frühere Wirkungsstätte zurückgekehrt. Wie kam es jetzt dazu?
Günther Gudert: Ich war selbst verblüfft. Es ging alles schnell und unbürokratisch. Offensichtlich meinte man, dass ich in Horn praktisch jeden Stein und jeden Grashalm kenne. Stimmt ja auch im Prinzip. Ich habe mich auf der Bahn 14 Jahre sehr wohl gefühlt. Es ist jetzt wie ein Heimspiel.
Für sechs Wochen sind Sie der Mann für alle Fälle, quasi die rechte Hand des Rennclub-Präsidenten und Manager in Personalunion. Was genau machen Sie?
Der Titel interessiert mich nicht. Ich möchte helfen, das Derby aufzupeppen, mein Netzwerk mit Kontakten zu Aktiven, Besitzern und Sponsoren einbringen.
Ist es eine Heimkehr mit Schrecken? Zuschauerzuspruch und Wettumsätze sind dramatisch eingebrochen.
Tatsächlich sind die Zahlen besorgniserregend. Überall hierzulande, nicht nur in Hamburg-Horn. Einige Veranstaltungen jedoch machen neuen Mut. In Köln, Düsseldorf und neuerdings Hoppegarten geht es aufwärts. Mitte Mai kamen 18.000 Besucher auf die Dortmunder Rennbahn. Das wollen wir am Derbytag ebenfalls schaffen. Zielmarke: 20.000 Zuschauer. Wir legen uns enorm ins Zeug, dem Publikum ein starkes Programm zu bieten. Wir haben keine große Fußballkonkurrenz und keine Schulferien.
Fußballwetten sind ein großer Konkurrent für die Galopper
Dennoch sind im Galopprennsport die fetten Jahre passé. In Ihrer Hamburger Zeit bestand das Derbymeeting aus bis zu acht Renntagen. Sie sind seit mehr als drei Jahrzehnten im Geschäft: Wie ist der Schwund zu erklären?
Einst gab es beim Glücksspiel ein Monopol für Lotto und Pferderennen. Von 2005 an wurden Sportwetten populär, besonders auf Fußballspiele. Dann kam das Internet. Die Konkurrenz ist gewaltig. Leider wurden die Zeichen der Zeit im Rennsport zu spät erkannt. Andererseits sitzen in der Zentrale in Köln keine Hellseher.
Die Renntage beginnen in Horn teilweise schon um 10.15 Uhr. Das Derby wird um 14.15 Uhr gestartet. Wird zu viel Rücksicht auf Übertragungen und Wetter im Ausland genommen? Sehr zuschauerfreundlich ist das nicht.
Einnahmen aus diesem Bereich sind unverzichtbar. Und wenn das Derby in Hongkong live übertragen wird, ist der Hamburger Renn-Club gut beraten, diese Provisionen mitzunehmen. Und speziell aus Frankreich fließt viel Geld in den Hamburger Totalisator. Es gilt, den Topereignissen dort aus dem Weg zu gehen und zeitlich variabel zu sein. Alles andere wäre fahrlässig.
In der Boomzeit des Turfs saßen Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Minister reihenweise auf der Tribüne. Helmut Schmidt war Stammgast. Auch das ist Geschichte.
Alles eine Frage der Lobby. Als mit Walter Scheel ein ehemaliger Bundespräsident und einer der bekanntesten deutschen Politiker im Direktorium das Sagen hatte, war es für unseren Sport ein Glücksfall. Er öffnete die Türen erstklassig. Genauso wie der ehemalige HRC-Präsident Franz-Günther von Gaertner als Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates.
In Deutschland geht die Zahl der Galopper dramatisch zurück
Es ist kein Geheimnis, dass der Hamburger Renn-Club wirtschaftlich angeschlagen ist. Probleme wie diese gibt es überall in Deutschland. Hand aufs Herz: Ist der Galopprennsport am Ende?
Ganz im Gegenteil. Ich bin überzeugt: Die Talsohle ist durchschritten. Die Faszination des Turfs ist einmalig. Es handelt sich um einen interaktiven Sport in attraktivem, grünem Ambiente. Der Besucher ist direkt eingebunden und unmittelbar dabei. Sorgen bereitet uns aktuell die Zahl der trainierten Pferde. Mit 1838 Vollblütern sind es momentan deutschlandweit 160 weniger als im Vorjahr. Wir brauchen aber starke Felder für große Rennen, um Publikum anzuziehen und Wetterträge zu erzielen. Der Besitz eines Vollblüters ist ein kostspieliges Hobby, doch muss es zumindest teilweise refinanzierbar sein.
Der Hamburger Renn-Club hat mit dem langjährigen Vizepräsidenten Albert Darboven einen der einflussreichsten Freunde und Förderer aus dem Vorstand vergrault. Rächt sich das nun?
Ob das so stimmt, kann ich nicht beurteilen. Ich war zu der Zeit ja nicht in Hamburg, sondern an meinem aktuellen Wohnort in Essen. Ich stehe zurzeit beim Dortmunder Rennverein unter Vertrag. Vielleicht bringt eine Doppelrennbahn für Galopper und Traber unterschiedliche Interessen auf einen Nenner. Ein großartiger Verlauf des Derbymeetings könnte helfen, alle an einen Tisch zu bringen.
Guderts weiteres Engagement hängt vom Verlauf des Meetings ab
Zurück zu Ihnen persönlich. Bleiben Sie in Hamburg an Bord?
Ich freue mich, dass meine Kenntnisse im Alter von 74 Jahren noch so gefragt sind. Für mich ist es eine Herausforderung, die Spaß macht. Ob ich weitermache, hängt vom Verlauf der Rennwoche und vom Vorstand des Renn-Clubs ab. Ich bin guter Dinge.
Schlussfrage: Wo sind Sie während der Wochen in Hamburg untergebracht? Und was machen Ihre Drillinge?
Ich wohne bei meinen Freunden Inge und Rainer Hupe in Maschen. Er ist Rennstallbesitzer und hatte früher sogar Derbystarter. Meinen Drillingen geht es ausgezeichnet. Sie sind in Börnsen aufgewachsen und jetzt 34 Jahre alt. Zwei leben in Hamburg, einer in Chicago in den USA. Letzterer hat gerade das Kentucky Derby in Louisville besucht. Die Begeisterung für den Turf liegt offensichtlich in der Familie.
Erster Renntag am Sonntag in Horn mit einem Stutenrennen
Der erste sportliche Hochkaräter des Horner Derbymeetings am Sonntag lockt mit stattlichen Quoten. Bewährte Turfweisheit: große Felder, große Gelder. Im Sparkasse Holstein Cup, als sechstes Rennen um 13.45 Uhr, rücken 14 Stuten in die Startmaschine. Die Prüfung für vierjährige und ältere Vollblüterinnen über 2200 Meter ist mit 25.000 Euro dotiert. Der Rennausgang ist derart offen, dass die Favoritinnen Greym mit Lukas Delozier im Sattel und Alpenblume unter Cristian Demuro auf Sieg etwa fünffachen Einsatz bescheren werden.
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Fachleute meinen, dass die aus Skandinavien angereisten Go On Carlras und Titannia den Auslandseinsatz auf dem Horner Hippodrom nicht grundlos antreten. Championjockey Andrasch Starke (49), ein gebürtiger Stader, reitet mit der Fuchsstute Ability die nach aktuellen Formen krasseste Außenseiterin. Doch wissen die Profis: Der gebürtige Stader ist immer für einen Coup gut.
Der Familienrenntag mit Kinderland, Minitrabern und einem Hutwettbewerb für den Nachwuchs klingt gegen 16 Uhr mit einem ähnlich spannenden Ausgleich II aus. Unter dem Patronat des SOS Kinderdorfs Harksheide galoppieren elf Pferde um 13.000 Euro. In der Viererwette, bei der das siegreiche Quartett in korrekter Reihenfolge auf dem Wettschein vorhergesagt werden muss, beträgt die garantierte Auszahlung 10.000 Euro.