Hamburg. Hamburgs Hockeyidol analysiert für das Abendblatt den deutschen Kader, die Gruppengegner und die Favoriten.
Er hat es alles schon selbst erlebt. 2006 war Moritz Fürste Feldhockey-Weltmeister, vier Jahre später gewann er in Indien mit dem deutschen Herrenteam WM-Silber. An diesem Sonnabend (14.30 Uhr/DAZN) nun starten die Nachfolger des Welthockeyspielers von 2012, der seine Karriere im Sommer 2018 beendete, erneut in eine Feld-WM in Indien.
Die erste Gruppenpartie gegen Japan soll der Auftakt zu einem erfolgreichen Turnier werden. Wie erfolgreich es werden kann, das analysiert der 38-Jährige für das Hamburger Abendblatt.
Der deutsche Kader bei der Hockey-WM
Das Prunkstück des Aufgebots von Bundestrainer André Henning ist die Offensive. Mit Niklas Wellen, Christopher Rühr und Thies Prinz haben wir herausragende Außenstürmer, die mit ihrer Schnelligkeit und starken Technik viele gefährliche Situationen kreieren können. Niklas ist für mich aktuell einer der besten Stürmer der Welt. Dazu kommen mit Marco Miltkau und Justus Weigand zwei klassische Kreisstürmer mit Torriecher.
Das Mittelfeld ist sehr athletisch, ich erwarte ein sehr dynamisches Kurzpassspiel mit viel Tempo. Kapitän Mats Grambusch ist der Dreh- und Angelpunkt, er hat mit Hannes Müller, Timur Oruz, Moritz Trompertz und Martin Zwicker viele Anspielstationen, die ein schnelles Give-and-Go-Aufbauspiel pflegen. Einziges Manko ist, dass es im Mittelfeld keinen klassischen Passspieler gibt, der lange Schlenzbälle spielt.
Die haben wir dafür in der Defensive, und zwar mit Gonzalo Peillat, Lukas Windfeder und Tom Grambusch gleich dreifach. Sie können von hinten heraus mit langen Pässen gefährliche Konter eröffnen. Die Abwehr ist allerdings angesichts ihrer mangelhaften Grundschnelligkeit auch der wunde Punkt des Teams, für sie wird es anspruchsvoll, sich gegen die Weltspitze zu behaupten. Gespannt bin ich, ob die Außenverteidigung mit Moritz Ludwig und Teo Hinrichs absolutes Topniveau erreichen kann.
Keine Sorge bereitet mir die Torhüterposition. Alexander Stadler ist zwar erst 23, hat aber schon bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio nachgewiesen, dass man auf ihn bauen kann. Er ist sicher in der Schusskreisbeherrschung, hat starke Reflexe und ist ein mitspielender Keeper, der unserer Defensive die notwendige Stabilität verleiht.
Hockey-WM: Die deutsche Taktik
Das Team sollte seine offensiven Qualitäten zur Geltung bringen. Das könnte vorrangig über kurze Pässe durchs Mittelfeld geschehen, die Jungs sind am Stock alle sehr geschickt. Außerdem sollte es das Ziel sein, über die schnellen Außenstürmer möglichst viele Strafecken herauszuholen, denn mit Peillat, Windfeder und Tom Grambusch müssten wir das gefährlichste Eckentrio der Welt haben. Alle drei können von überall schießen und sind deshalb kaum auszurechnen. Das kann ein wichtiger Faktor werden.
Ich persönlich würde es gern sehen, wenn Deutschland wieder mehr Manndeckung spielen würde. Aber da der Trend aktuell ganz eindeutig zur Raumdeckung und hohem Pressing geht, werden wir das vorrangig sehen. Weil das deutsche Team aber auch konterstark ist, kommt uns diese Ausrichtung nicht ungelegen. Außerdem hat sich auch die Raumdeckung zuletzt deutlich verbessert.
Die Vorrundengruppe
Ein Ausscheiden halte ich für unmöglich, da ja der Zweite und Dritte der vier Vierergruppen die Viertelfinal-Qualifikation erreichen. Nur die vier Gruppenersten stehen direkt in der Runde der letzten acht. Japan ist ein unangenehmer Auftaktgegner, sehr athletisch, technisch stark ausgebildet, mit guten Eckenschützen. Das ist kein Spiel, das man im Vorbeigehen gewinnt, dennoch ist Deutschland Favorit. Südkorea, letzter Gegner am 20. Januar (14.30 Uhr), ist schwächer als Japan, das ist schon eher die Kategorie Pflichtsieg.
Der Gruppensieg entscheidet sich am 17. Januar (14.30 Uhr) gegen Titelverteidiger und Olympiasieger Belgien. Auch wenn einige sagen, das Team sei seit dem Olympiasieg satt und etwas über den Zenit – die Belgier haben enorm viel Klasse und Erfahrung, außerdem eine Siegermentalität, die mich an die besten Zeiten der deutschen Nationalmannschaft zwischen 2002 und 2013 erinnert. Trotzdem sind sie schlagbar.
Die Titelfavoriten der Hockey-WM
Für mich stehen Belgien und Australien klar oben auf der Liste. Die Australier sind zwar coronabedingt seit dem Olympiasilber 2021 international kaum in Erscheinung getreten, aber sie werden extrem fit sein und haben weitgehend den Tokio-Kader zur Verfügung. Dahinter kommt eine Gruppe mit vier Nationen, die sich zumindest Medaillenhoffnungen machen können. Dazu zählen neben England auch die Deutschen.
Besonders gespannt bin ich auf Indien, die nach Olympiabronze besonders heiß darauf sein werden, bei der Heim-WM nach Gold zu streben. Die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit und Fans können zwar lähmen, aber es ist nach 2010 und 2018 die dritte WM im eigenen Land für die Inder, deshalb glaube ich, dass sie mit dem Druck gut umgehen werden.
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Die Niederlande, die traditionell immer als Medaillenkandidat gelten, sehe ich in diesem Jahr nicht ganz so stark. Individuell haben sie eine hohe Klasse, aber der Umbruch nach Olympia war doch sehr groß. Sie werden – wie meiner Erwartung nach auch Australien, Belgien und Indien – zwar ihre Vorrundengruppe gewinnen, aber dann kommt für „Oranje“ das Aus.
Die besondere Atmosphäre in Indien
Ich hatte ja das Glück, nicht nur eine WM in Indien zu erleben, sondern auch mehrere Saisons in der dortigen Profiliga zu spielen. Deshalb kann ich sagen: Es gibt nichts Besseres als eine WM in Indien! Die Fans dort tragen alle Spieler auf Händen, die Zeitungen machen Sonderseiten, alle Spiele werden live im Fernsehen übertragen.
Als Hockey spielender Europäer fühlt man sich nirgendwo mehr wie ein Profi als in Indien. Deshalb kann ich den Jungs nur raten, die Stimmung zu genießen und aufzusaugen. Und vielleicht können sie sich davon ganz weit tragen lassen ...