Hamburg/Alicante. Das neue Boot hatte auf einmal einen schweren Schaden. Was das für sein Team bedeutete und wie es nun mit der Ocean Race weitergeht.
Der Countdown läuft. In diesem Jahr startet erstmals die IMOCA-Klasse beim Ocean Race. Auf jeder der fünf teilnehmenden Yachten wird es vier Segler geben und einen Reporter. Ein Crewmitglied muss weiblich sein. Die Regatta wird in verschiedenen Etappen gesegelt und dauert etwa ein halbes Jahr. Start ist am 15. Januar in Alicante in Spanien.
Danach geht es auf die Kapverdischen Inseln, weiter nach Kapstadt, durch das Südpolarmeer nach Itajaí in Brasilien, weiter nach Newport in den USA und zurück nach Europa mit Halt im dänischen Aarhus und niederländischen Den Haag. Ziel der Wettfahrt ist das italienische Genua. Spannend für die deutschen Beobachter: Für den 9. Juni ist ein sogenanntes „Fly-By“ der Flotte vor Kiel geplant. Mit dabei ist auch Boris Herrmann (41).
Hamburger Abendblatt: Herr Herrmann, Sie und Ihr Team stehen kurz vor dem Start des Ocean Race, dem Rennen einmal um die Welt. Wie ist der Stand bei Ihnen?
Boris Herrmann: Jetzt am Montag bin ich zu meinem Team nach Alicante für die letzten Vorbereitungen gereist. Am 8. Januar gibt es ein Vorrennen, und am 15. Januar geht es dann endlich richtig los. Bis dahin gibt es noch viel zu tun, das Schiff ist schon im Wasser und wird am 4. Januar voll einsatzbereit sein.
Einsatzbereit? Gab es Probleme?
Ja, leider. Wir hatten beim Check-in in Alicante festgestellt, dass die Foils, die Tragflächen des Bootes, beschädigt sind. Wir untersuchen noch, wie das genau passiert ist, aber es ist wirklich ungewöhnlich bei so neuen Foils. Glück im Unglück für uns, dass es jetzt aufgetreten ist und nicht während des Ocean Race.
Und nun? Was passiert jetzt?
Diese Foils müssen komplett ausgewechselt werden. Wir haben die Möglichkeit, auf ein weiteres Paar neuer Foils zurückgreifen zu können, normalerweise dauert die Fertigung ein halbes Jahr. Insgesamt bedeutete das aber unglaublich viel Aufwand, das Team hat eine tolle Arbeit geleistet und musste sogar über Weihnachten arbeiten. Die neuen Foils müssen nun in den nächsten Tagen eingesetzt und angepasst werden. Das war ein echter Schlag für uns, ein Rückschlag für unsere Vorbereitungen. Aber das Team hat an einem Strang gezogen, und ich denke, dass wir gestärkt daraus hervorgehen werden.
Das reizt Boris Herrmann am Ocean Race
Warum nehmen Sie mit Ihrem Team erstmals am Ocean Race teil? Was macht den Reiz dieses Rennens aus?
Das Ocean Race ist eines der größten Hochseerennen in unserem Sport. Bislang konnte die IMOCA-Klasse, in der wir segeln, nur nicht teilnehmen. Ich habe mich schon seit vielen Jahren dafür eingesetzt, dass das geändert wird. Denn es ist doch der absolute Wahnsinn, dass man alle vier Jahre an der Vendée Globe und den Vorbereitungsrennen teilnimmt, aber mehr nicht. Diese Schiffe sind doch dazu da, damit sie um die Welt segeln, warum also nicht auch in einem Teamwettbewerb wie dem Ocean Race. Mein Team und ich wollten immer schon mehr machen, als nur alle vier Jahre an der Vendée Globe teilzunehmen.
Bereits 2011 habe ich deshalb versucht, die Veranstalter davon zu überzeugen, habe viel Lobbyarbeit für die Klasse gemacht. Nun, mehr als zehn Jahre später, ist es endlich so weit. Das ist für all diejenigen, die dafür gekämpft haben, eine persönliche Genugtuung. Da ist es klar, dass wir als Team dabei sind und das Rennen so unterstützen. Ich hatte den Veranstaltern übrigens gesagt: Wenn ihr das nicht macht, dann fahren wir als Team alleine um die Welt, als Malizia Ocean Challenge oder so. Umso größer ist nun die Freude, dass nun vier weitere Boote beim Ocean Race dabei sind.
Sie sprechen es an: Es gehen nur fünf Teams in dieser Klasse an den Start, bei der Vendée Globe sind es 40. Spricht das für ein mangelndes Interesse der anderen Segler?
Viele Segler haben bisher nur die französisch geprägten Rennen im Blick. Und das sind vor allem die Vorbereitungsrennen für die Vendée Globe. Ich glaube, dass das Rennen Anfang des Jahres viel Aufmerksamkeit bekommen wird. Dann wird sich beim nächsten Mal, im Jahr 2026, auch an der Teilnehmerzahl etwas tun. Ich denke, zehn bis 15 Schiffe, das wäre ein passender Rahmen. Und damit wäre es dann das Pendant zur Vendée, nur eben im Team. Zweimal um die Welt segeln in vier Jahren, das ist meines Erachtens das Konzept für die Zukunft.
Was sind Ihre Ziele für das Rennen?
Auch wenn es langweilig klingt: so gut wie möglich segeln. Wir werden versuchen, in den sportlichen Wettkampf zu gehen, aber wir sind noch im Prozess des Lernens. Deshalb denke ich, dass die erste und zweite Etappe noch unter dem Motto „zusammenfinden“ laufen werden und wir danach als Team erst so richtig angreifen können. Dazu ist es mir immer wichtig, mit einem möglichst heilen Schiff anzukommen. Ich würde die Malizia-Seaexplorer nie so hart pushen und dabei ernsthafte Schäden riskieren. Das ist nicht meine Philosophie. Also um jeden Preis gewinnen, das werden wir nicht versuchen.
So beurteilt Boris Herrmann die Konkurrenz beim Ocean Race
Wie beurteilen Sie die Konkurrenz?
Ich sehe vor allem zwei Schiffe, die um den ersten Platz kämpfen werden. Das ist zum einen das 11th Hour Racing Team. Die Crew hat sich fünf Jahre vorbereitet. Erst mit einem Trainingsschiff. Aus den Erkenntnissen dieses Trainingsschiffes hat das Team eine neue Yacht gebaut. Ich würde sagen, sie sind optimal vorbereitet. Mit um den Sieg kämpfen wird sicherlich auch das Team Europe. Diese Crew hat das Trainingsschiff des Teams 11th Hour Racing, die alte Hugo Boss von Alex Thomson. Das Schiff ist hat sich am längsten von allen bewährt und ist damit extrem gut vorbereitet. Aber insgesamt wird es ein enges Rennen werden. Beim vergangenen Ocean Race hat es sich in den letzten fünf Minuten zwischen drei Teams entschieden. Es kann also um Minuten gehen, und wer weiß, vielleicht haben wir ja auch das Glück und spielen vorne mit.
Bei Ihrem ersten Rennen mit dem neuen Boot, bei der Route du Rhum im November in die Karibik, haben Sie nur Platz 24 erreicht. Enttäuscht?
Um ehrlich zu sein, war es einfach nicht mein Rennen, es lief nicht rund. Ich hatte nicht so viel Spaß, muss ich sagen. Andererseits haben wir viele Probleme gefunden, die wir sonst erst beim Ocean Race entdeckt hätten. Also war es absolut hilfreich und notwendig. Und da ich es über die Ziellinie geschafft habe, bin ich dem Start bei der Vendée Globe 2024 auch einen Schritt nähergekommen, das ist ebenfalls wichtig.
Wie ist denn Ihr Fazit von dem neuen Boot nach diesem ersten längeren Rennen?
Bei Welle und Wind von vorn ist das Schiff extrem schnell. Geradezu phänomenal schnell, das hat die Crew jetzt auch bei der Rücküberführung nach Alicante festgestellt. Es wird sich aber beim Ocean Race erst zeigen, ob unsere Rechnung aufgeht, die wir in der Planung der Yacht gemacht haben. Denn die neue Malizia-Seaexplorer wurde mit einem kurzen bulligen Bug ja für den Southern Ocean und seine Wellen konzipiert. Bei wenig Wind und Welle ist sie dafür langsamer. Es wird also extrem spannend für uns.
Nach welchen Kriterien haben Sie die vierköpfige Crew zusammengestellt?
Es wird an Bord eine gewisse Aufgabenverteilung geben. So ist Nicolas Lunven Experte für Wetter und Navigation. Rosalin Kuiper wird sich um verschiedene Systeme an Bord kümmern. Will Harris und ich sind sicherlich die beiden Erfahrensten an Bord, was das Hochseesegeln angeht. In einer Wache werden immer zwei von uns sein, nur bei großen Manövern wie Segelwechseln kommen die anderen dazu. Ansonsten wollen wir flache Hierarchien, Funktionen wie Skipper oder Wachführer gibt es bei uns nicht.
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Gerade im November haben Sie noch zwei weitere Segler zu Teammitgliedern gemacht. Wie kam es dazu?
Yann Eliès ist ein extrem erfahrener Segler. Er hat seine eigene Solokarriere eigentlich beendet und wird jetzt nur noch im Team segeln. Außerdem hat er eine Trainerkarriere im Blick. Im Trainingszentrum von Port-La-Forêt arbeitet er schon als Coach. Auch wir wollten seine Ratschläge schon in Anspruch nehmen. Umso schöner ist es, dass er nun auch noch aktiv bei uns mitsegelt. Er ist extrem erfahren und weise. Axelle Pillain wiederum gehört schon länger zu unserem Team. Mir ist es wichtig, dass alle Teammitglieder für längere Zeit zu uns gehören, also bis zur Vendée Globe 2024. Axelle wird bei Bedarf Crewmitglieder auf einzelnen Etappen ersetzen. Pro Etappe muss eine Frau zum Team gehören, wir werden teilweise sogar zwei haben.
Ehefrau und Tochter werden nach Alicante mitkommen
Werden Sie alle Etappen mitsegeln?
Nein. Ich werde bei der Etappe von Itajaí in Brasilien bis nach Newport nicht an Bord sein. Eventuell pausiere ich auch noch bei einer weiteren Etappe, aber das ist im Moment noch nicht klar.
Das heißt aber ja, dass Sie von Anfang Januar bis Juli Ihre Familie kaum sehen werden.
Genau das heißt es. Meine Frau und meine Tochter begleiten mich zum Glück nach Alicante. Und sie wird auch in Kapstadt sein, wenn wir dort einen Stopover im Februar haben. Außerdem plane ich, von etwa Mitte April bis Mitte Mai in Hamburg zu sein. Und dann sehen wir uns, wenn ich in Europa zurück bin. Es ist eine echt lange harte Zeit, in der ich meine kleine zweieinhalbjährige Tochter dann nur so wenig sehen kann. Das wird für beide Seiten schwierig. Aber mit diesem Rhythmus hoffe ich, dass wir das als Familie einigermaßen hinkriegen.