München. Der Vorstandsvorsitzende des DOSB über die Euphorie für München 2022 und die Chance einer neuen deutschen Olympiabewerbung.

Es ist das erste Sport-Großereignis im neuen Amt, das er live erlebt, und Torsten Burmester, der seit 1. Februar den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Vorstandsvorsitzender anführt, genießt es. „Ich hatte das Glück, am Dienstagabend beim Goldlauf von Gina Lückenkemper im Olympiastadion zu sein. Die Stimmung war unglaublich, da flogen einem die Ohren weg“, sagt der 59-Jährige über sein persönliches Highlight der European Championships in München. Im Interview mit dem Abendblatt spricht der Wahl-Kölner über die Lehren aus der Multisport-EM für eine mögliche neue Olympiabewerbung.

Hamburger Abendblatt: Herr Burmester, die allgemeine Begeisterung über die European Championships ist groß. Wie ordnen Sie das in den vergangenen Tagen Erlebte ein?

Torsten Burmester: Nach zweieinhalb Jahren Krise ist es eine großartige Sportveranstaltung. Die Symbiose von Sport und Kultur strahlt über die gesamte Stadt. Deutschland – und in erster Linie natürlich München – zeigen auf, was für ein tolles, faires und begeisterungsfähiges Sportpublikum es in unserem Land gibt.

Es scheint eine neue Euphorie für Leistungssport in Deutschland zu entstehen. Ist es richtig, bereits eine neue deutsche Olympiabewerbung zu fordern, wie es viele tun?

Burmester: Gegenfrage: Warum sollten wir jetzt unseren kühlen Kopf verlieren? Wir haben schon mehrfach betont, dass vor einer erneuten deutschen Bewerbung ein langer Prozess steht, in dem es uns gelingen muss, die Mehrheit der Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit eines solchen Großevents zu überzeugen. Deshalb müssen wir jetzt analysieren, was die Begeisterung für diese European Championships ausgelöst hat und was wir daraus lernen können. Was wir nicht brauchen, sind leichtfertig vom Zaun gebrochene Debatten.

Das heißt, Sie teilen nicht die Forderungen derer, die jetzt aufs Tempo drücken wollen?

Burmester: Ich nehme mit Verwunderung wahr, wie schnell sich Stimmungen drehen können, was man am Beispiel Leichtathletik sieht. Vor wenigen Wochen war nach der WM in Eugene noch alles schlecht, jetzt ist die Euphorie riesig. Die neu entstandene Begeisterung freut mich, sie ist greifbar. Aber sie sollte keine Auswirkungen auf unseren Fahrplan zu einer möglichen neuen Olympiabewerbung haben. Wir gehen sie systematisch und langfristig an.

Wagen wir eine Kurzanalyse. Es gibt viele Menschen, die sagen, der Erfolg dieser European Championships hänge damit zusammen, dass das Internationale Olympische Komitee nicht beteiligt ist. Stimmen Sie zu?

Burmester: Nein. Ich finde, man sollte beides nicht miteinander vergleichen. Das hier ist nicht Mini-Olympia, sondern eine Multi-EM mit neun Sportarten. Den Menschen gefällt das Konzept. Aber Olympia ist letztlich nichts anderes als die größte Multisport-Veranstaltung der Welt.

Die ein Vielfaches kostet und mit ihren zig Vorschriften und dem noch immer vorherrschenden Gigantismus viele abschreckt.

Burmester: Deshalb haben wir als DOSB ja auch immer wieder betont, dass wir für eine erneute Bewerbung einen von der Bevölkerung getragenen Willen zur Ausrichtung brauchen. Der Kern unseres Fahrplans ist, das zu erreichen. Aber wir müssen definieren, was für uns in Deutschland die Anforderungen an Olympische Spiele sein sollen, was im Kern dieser Bewerbung stehen soll. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass Veranstaltungen wie diese viel dazu beitragen, die Begeisterung zu steigern.

Unterstützen Sie die Forderung, dass die Politik ein klareres Bekenntnis zum Leistungssport liefern muss?

Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).
Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Burmester: Wir hatten am Dienstag in der Sportministerkonferenz eine sehr interessante Diskussion dazu, in der ein Konsens deutlich geworden ist: Dass wir einen Pakt für den Sport brauchen, wie ihn unser Präsident Thomas Weikert kürzlich gefordert hat, damit Hochleistungssport in der Mitte der Gesellschaft seinen Platz findet. Eine Studie des Landessportbunds Bayern hat ergeben, dass 75 Prozent der dortigen Vereine keinen Leistungssport anbieten wollen, weil viele dessen Rahmenbedingungen ablehnen. Da müssen wir ansetzen, um die Attraktivität eines solchen Lebenswegs zu erhöhen.

Der Verein Athleten Deutschland hat Anfang der Woche mit einem Positionspapier zur Leistungssportförderung Vorschläge dazu gemacht. Wie bewerten Sie diese?

Burmester: Ich halte das Papier für einen wichtigen Vorstoß. Es konzentriert sich stark auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Leistungssports, und da gibt es eine große Schnittmenge mit den DOSB-Positionen dazu. Meine Wahrnehmung ist, dass der Veränderungswille im deutschen Leistungssport derzeit sehr groß ist. Das Zeitfenster, in dem wir grundlegende und weitreichende Veränderungen anstoßen können, ist jetzt geöffnet. Es kommt nun darauf an, die richtigen Entscheidungen zu treffen, die wir aus unserer Sicht im Pakt für den Sport skizziert haben.

Zwei Problemfelder sind auch in München wieder deutlich geworden. Zum einen die Klage von Athletinnen und Athleten, die mangelnde Wertschätzung und Missachtung ihrer Bedürfnisse anprangern. Zum anderen das Problem, dass in Deutschland der Trainerberuf finanziell und von den Rahmenbedingungen her deutlich zu unattraktiv ist. Wie ist dort Abhilfe zu schaffen?

Burmester: Zu Punkt eins haben wir die klare Maßgabe, dass im organisierten Sport die Interessen der Aktiven im Mittelpunkt stehen. Zu Punkt zwei müssen wir eingestehen, dass die Umsetzung der Leistungssportreform insbesondere im Trainerbereich bisher nicht erfolgt ist. In den olympischen Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen beispielsweise können wir mit den Gehältern, die anderswo gezahlt werden, schlicht nicht mithalten. Es geht aber nicht nur um Bezahlung, sondern auch um Wertschätzung. Den Trainer des Jahres zu ehren ist gut, aber es reicht nicht. Das müssen wir besser machen.

Ist die Lehre aus München auch, sich noch häufiger für Europa- und Weltmeisterschaften zu bewerben?

Burmester: Wir wollen diese internationalen Großveranstaltungen, weil sie die weltweite Anerkennung Sportdeutschlands erhöhen. Mit der Basketball-EM im September, den Special Olympics World Games 2023, der Fußball-EM 2024 und den Rhine-Ruhr 2025 World University Games stehen künftig auch schon einige Highlights an.

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  • Auf welches sportliche Großereignis in Deutschland freuen Sie sich besonders, und wenn Sie heute eins wählen dürften, das in der Zukunft hier stattfinden soll, welches würden Sie nehmen?

    Burmester: Ich freue mich ganz besonders auf die Special Olympics World Games der geistig und mehrfach behinderten Menschen, die 2023 in Berlin stattfinden. Wenn ich für die Zukunft wählen dürfte, dann hätte ich als langjähriger Handballer die Männer-Weltmeisterschaft 2027 genommen, die ja zum Glück schon nach Deutschland vergeben wurde. Ich war 2007 beim Finale gegen Polen live dabei. 20 Jahre danach das noch einmal zu erleben, das wäre mein Traum.