Hamburg. Vier deutsche Topreiter stellen vor dem 91. Deutschen Springderby am Sonntag die Hindernisse des berüchtigtsten Flottbeker Parcours vor.
Erklingt bei der Siegerehrung des 91. Deutschen Springderbys erneut die deutsche Nationalhymne? Geben Iren oder Briten mal wieder den Ton an? Selten war der Wettstreit um das Blaue Band so spannend wie am Sonntag (14.30 Uhr/NDR und ZDF). Nach den Vorstellungen in beiden Qualifikationen wird Benjamin Wulschner, in Mecklenburg aufgewachsener Profi mit Hof in Sachsen, als Favorit in die Arena reiten. Seine Fuchsstute Bangkok Girl hinterließ in der Generalprobe am Freitag einen formidablen, fehlerfreien Eindruck. Ohne ernsthaft gefordert zu werden, meisterte das Gespann den Parcours bravourös.
Als bis dahin Zeitschnellster unter 52 Teilnehmern verfolgte der 33-Jährige im Einritt die Darbietungen der Konkurrenz. Doch keiner der anderen zehn Kandidaten ohne Patzer brachte sein Pferd in besserer Zeit über den Parcours. Zweiter wurde der Brite Harry Charles (22) im Sattel von Controe vor dem Iren Shane Breen (47) auf Can Ya Makan. Trotz einiger Regengüsse erwies sich das Grasgeläuf in gutem Zustand. Nur der obere Rand des Walls war von den Hufen „angeknabbert“.
Springderby: Weltweit berüchtigtster Kurs in Flottbek
„Bangkok Girl liebt den Flottbeker Platz“, sagte Wulschner, dessen Vater Holger 2000 mit Capriol im Derby triumphierte. „Sie hat ein Herz wie eine Löwin.“ Entgegen ersten Überlegungen bot er die 15-Jährige nach ihrem 23. Platz in Qualifikation eins mit einem Abwurf im zweiten Durchgang doch auf: „Das hat uns noch sicherer gemacht.“ Letztlich traut er Bangkok Girl ob der Derbyerfahrung mit Finalplätzen vier und fünf in den Jahren 2018 und 2019 mehr zu als seiner Stute Crystall, die am Mittwoch Zweite war. Ein Luxusproblem. Zumal eine Springreitweisheit besagt: „Im Derby kommt immer alles anders.“
Warum der 1230 Meter lange Parcours mit seinen 17 Hindernissen und 24 Sprüngen als der weltweit berüchtigtste Kurs im Springreiten gilt, ist jedes Jahr aufs Neue zu besichtigen. Jedes Hindernis für sich hat seine Tücken, die Länge und Intensität des Parcours sorgen dafür, dass auch an unscheinbar wirkenden Sprüngen entscheidende Fehler passieren. Dennoch gibt es vier Hindernisse, die durch ihre Einzigartigkeit besonders bestechen, und das Abendblatt bat vier deutsche Topreiter, ihre individuelle Sicht auf diese besonderen Hürden zu schildern.
Irische Wälle und Buschoxer
André Thieme gehört zu denen, die genau wissen, wie der Derbyparcours zu bezwingen ist. Der amtierende Europameister aus Plau am See gewann den Wettstreit um das Blaue Band 2007, 2008 und 2011 jeweils auf Nacorde. „Der Buschoxer ist von jeher mein Angsthindernis“, sagt der 47-Jährige. Das Problem mit dem 11. Hindernis beginne bereits bei Hindernis drei, den Irischen Wällen.
„Dort springt man auf eine Grünfläche auf. Der Buschoxer wirkt mit seinem geschlossenen Grün auch wie eine Fläche, deswegen denken manche Pferde, dass sie dort ebenfalls aufsetzen müssen. Bis sie merken, dass es nur eine Hecke ist, kann es sehr problematisch werden“, sagt er. Tatsächlich wurde der Buschoxer in den vergangenen Jahren entschärft, so dass die oberste Stange nun rund 20 Zentimeter über dem Grün hervorsticht. „Dadurch ist es für die Pferde deutlich besser sichtbar. Trotzdem ist diese Kombination weiterhin eine Fehlerquelle“, sagt Thieme.
Großer Wall
Zweifelsohne ist dieses Hindernis das bekannteste – und für viele Pferde Endstation. Drei Meter hoch, mit einem 1,15 Meter hohen Sprung obenauf und mit dem berüchtigten Abstieg und anschließendem Sprung ist es die ultimative Herausforderung für Ross und Reiter. Toni Haßmann hat sie bereits dreimal im Stile eines Champions gemeistert, der 46-Jährige aus Lienen triumphierte 2004, 2005 und 2006 jeweils mit Collin in Klein Flottbek.
„Man bekommt schnell ein Gefühl dafür, wie das Pferd die Herausforderung annimmt. Wenn es die ersten Schritte abwärts nimmt, weiß man, dass man die Distanz danach erwischen wird. Aber wenn es scheut, wird es sehr schwer“, sagt er. Collin habe bei seiner ersten Derbyqualifikation einen Schritt zurück gemacht, als das Paar oben an der Wallkante stand. „Pferde nehmen die Höhe schon wahr, deshalb ist es immens wichtig, dass man dieses Hindernis im Training immer wieder übt, um Sicherheit zu bekommen“, sagt er. Ein vergleichbares Hindernis sei ihm noch nirgends untergekommen, und auch als dreimaliger Derbysieger sei der Respekt vor dem Wall jedes Mal groß.
Pulvermanns Grab
Benannt nach dem 1944 verstorbenen Parcours-Erfinder Eduard F. Pulvermann, ist das Hindernis Nummer 14 neben dem Wall das bekannteste. Und für Gilbert Tillmann tatsächlich auch das schwierigste. „Es sind mehrere Faktoren, die Pulvermanns Grab so kompliziert machen“, sagt der 40-Jährige aus Grevenbroich, der 2013 im Sattel von Hello Max das Blaue Band gewann.
„Nach dem Einsprung geht es abwärts, dann schauen die Pferde direkt auf den Wassergraben, was sie unruhig macht und ihnen Probleme beim Taxieren des Sprungs bereitet. Danach geht es wieder bergauf und am Ende über ein 1,55 Meter hohes Hindernis hinaus. Da der Absprung aber tiefer liegt, ist es noch etwas höher, was eine echte Herausforderung ist. Dazu kommt die Distanz innerhalb des Hindernisses, die sehr viel Kraft kostet.“
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Das alles in Addition mache Pulvermanns Grab zu einem Hindernis, an dem viele Titelträume beerdigt werden müssen. „Wer dieses Hindernis nicht im Training übt, wird Probleme bekommen“, sagt Gilbert Tillmann, der mit Hello Max 2007 bei seiner ersten Derbyteilnahme just an Pulvermanns Grab den entscheidenden Fehler machte – und daraus lernte.
Holsteiner Wegesprünge
Kurz vor dem Ende des Parcours ist dieser Doppelsprung mit seinen 13,20 Metern Abstand zwischen den beiden Hürden extrem herausfordernd. „Das liegt vor allem daran, dass die Pferde schon sehr erschöpft sind und sich dann noch einmal stark konzentrieren müssen“, sagt Sandra Auffarth. Die 35-Jährige aus Ganderkesee hat diverse WM- und Olympiamedaillen in der Vielseitigkeit gewonnen und seit einigen Jahren Gefallen am Springderby gefunden.
„Besonders tückisch sind die beiden Gräben, der erste hinter dem ersten Hindernis, der zweite vor dem zweiten. Außerdem haben kleinere Pferde mit der langen Distanz zwischen den beiden Sprüngen Probleme. Es ist ein sehr intensives Hindernis, das zum Abschluss noch einmal alles von Pferd und Reiter abfordert.“
Zumindest eine Überraschung scheint sicher: Vor der Siegeszeremonie will Hamburgs Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD) hoch zu Ross vor die Haupttribüne traben. Der frühere Hobbyreiter übte emsig, um einen sportlichen Eindruck zu hinterlassen.