Hamburg/Les Sables-d'Olonne. Nach dramatischen Szenen erreicht der Hamburger Segler das Ziel der härtesten Regatta der Welt – und gewinnt Millionen Herzen.
Die deutsche in der einen, die riesige Hamburger Flagge in der anderen Hand. Dazu laute „Boris, Boris, Boris“-Rufe und der Mann der Stunde Champagner sprühend auf den Schultern der Mitglieder seiner Landmannschaft: Boris Herrmann hat am gestrigen Donnerstag im französischen Les Sables-d’Olonne ein neues Kapitel deutscher Segelsportgeschichte erfolgreich zu Ende geschrieben. Er hat die Welt als erster deutscher Regattasegler auf Höchstniveau einhand und nonstop gerundet und hat sie trotz Dramas im Schlussakt als voraussichtlich Fünfter beendet.
„Am Ende war es ein bisschen Rock ’n’ Roll“, sagte der 39-Jährige kurz nach dem Zieldurchgang am Donnerstagmittag im traditionellen roten Licht der Bengalo-Feuer der Heimkehrer. Da hatte er den Planeten einmal umrundet, gerockt und konnte schon wieder lachen.
Sein „schlimmster Albtraum“ lag zu diesem Zeitpunkt keine 24 Stunden hinter ihm: Eine nächtliche Kollision mit einem Fischkutter hatte ihn bei seiner Vendée-Globe-Premiere um einen verdienten Podiumsplatz, womöglich sogar mehr gebracht. Ein Segel-GAU, den Herrmann ausgerechnet am Tag vor dem Finale erlebte, mit Siegchancen auf Platz drei liegend und einer Zeitgutschrift von über sechs Stunden in der Tasche.
Boris Herrmanns Yacht rammt Fischerboot
Es ist Mittwochabend, schon spät. Herrmanns Yacht, die „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“, ist – wie üblich unter Autopilot – in dunkler Nacht mit teilweise über 20 Knoten Speed zügig unterwegs in Richtung Ziel. Zu Hause fiebern alleine bei der Live-Fernsehübertragung des NDR 650.000 Zuschauer mit, wollen ihn am liebsten siegen sehen. Gut 2000 Kilometer entfernt ruht Skipper Herrmann sich in seiner Koje von den Strapazen des Finalsprints aus.
Lesen Sie hier die wichtigsten Momente der härtesten Solo-Regatta der Welt im Abendblatt-Blog nach.
Plötzlich reißt ihn lautes Hämmern aus dem traumlosen Tiefschlaf. Die Geräuschkulisse sagt ihm alles: Seine 18 Meter lange Hightech-Yacht ist seitlich mit einem Fischtrawler kollidiert. Ein Foil (Tragfläche) knackt durch, der Ausleger knallt immer wieder in die Bordwand des Unfallgegners, ein großes Vorsegel hat sich im Kran des Ungetüms verfangen, das sich wie eine riesige dunkle Wand vor ihm aufbaut.
"Für mich war die Einsamkeit das mit Abstand Schwierigste“
Herrmann denkt schon an das Schlimmste, doch wie durch ein Wunder kann sich die Segelyacht am Fischerboot vorbeischieben. Noch mehr wundert und freut sich der Skipper, dass der Mast dabei stehen bleibt. Die Beinahekatastrophe hätte für Boris Herrmann leicht das Ende seines großen Traums bedeuten können. Tatsächlich waren die Alarmsysteme an Bord wie Radar und AIS, die Herrmann bei allen Kontrollen zuvor nie im Stich gelassen hatten, nicht angesprungen. Und auch wenn sich Herrmann einen Podiumsplatz zu Beginn der Reise nicht einmal erhofft hatte, so war er gegen Ende nach starker Leistung trotzdem in Sicht gekommen.
„Der kleine Schluckauf ist schon fast vergessen“, sagte der Segelprofi einen Tag später im Ziel. 28.650 Seemeilen über Grund hat er in 1941 Stunden absolviert. Herrmann ist ein kommunikativer Mensch – am schwersten hat er sich mit dem Alleinsein getan. „Für mich war die Einsamkeit das mit Abstand Schwierigste.“ Dass er sich noch nicht zu einem Vendée-Globe-Comeback äußern wollte, mag auch daran liegen, dass er eigentlich ein Teamplayer ist.
„Er ist ein Glücksfall für den Segelsport"
Zweieinhalb Monate musste er mit sich selbst auskommen. Die Menschen in den vielen von ihm gegründeten Chat-Gruppen, für die er in der Segelszene bekannt ist, hat er in dieser Zeit zu seinen Gefährten gemacht: „Ich betrachte sie als Freunde und spreche mit ihnen. Das tut mir gut“, erklärte er einmal seine nie versiegende Kommunikationsfreude, die dem gebürtigen Oldenburger in die Herzen Millionen neuer Fans segeln ließ.
„Er ist ein Glücksfall für den Segelsport, Sinnbild und Vorbild für eine neue Generation“, sagt DSV-Präsidentin Mona Küppers. Auch sie ist Herrmann-Fan und hat gesehen, was dem mit Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann, der siebeneinhalb Monate alten Tochter Marie-Louise und Familienhund Lilli in der Hamburger HafenCity lebenden Wirtschaftswissenschaftler neben seinen sportlichen Zielen am Herzen liegt.
Es steht in riesigen Lettern auf dem Großsegel geschrieben, das vor Kap Hoorn beinahe zerfetzt wäre: Mit dem Slogan „A Race We Must Win“ (zu Deutsch: Ein Rennen, das wir gewinnen müssen) motiviert und inspiriert Herrmann Menschen zum Engagement im Kampf gegen den Klimawandel. Mit einem bordeigenen Labor lieferte er Instituten wie Geomar oder dem Max-Planck-Institut wertvolle Daten. In Zusammenarbeit mit seiner Frau hat er die Umwelt- und Lerninitiative „My Ocean Challenge“ entwickelt und begeistert Kinder für Meeresthemen. Herrmann ist nicht nur Segelprofi, nur Umweltschützer oder nur Bildungsförderer. Bei ihm greift alles ineinander.
Greta Thunberg gratuliert Boris Herrmann
Dazu gratulierte Greta Thunberg dem Skipper, der sie 2019 über den Atlantik gesegelt hatte, am Ende seiner Reise um die Welt. Die schwedische Klimaaktivistin sagte: „Wir könnten nicht stolzer auf dich sein.“ Der Hamburger Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagte: „Boris Herrmann ist nicht nur ein Ausnahmeathlet. Seine Verantwortung und Vorbildfunktion insbesondere der jüngeren Generation gegenüber nimmt er auch jenseits des Sports sehr ernst.“ Annen hat bei der Hamburger Staatskanzlei angeregt, Boris Herrmann für den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland vorzuschlagen.
Sieger der Herzen ist Boris Herrmann schon jetzt. So wie Yannick Bestaven, sein Konkurrent, guter Freund und strahlender Überraschungsgewinner der Vendée Globe. Auch der 48 Jahre alte Franzose aus La Rochelle ist Herrmann-Fan und sagte dem Deutschen im Ziel: „Es wäre noch schöner, wenn wir beide auf dem Podium stehen könnten.“ Ein schönes Stück deutsch-französischer Freundschaft, die Herrmann über seine Leidenschaft zum Seesegelsport seit zwei Jahrzehnten mit Segel- und Trainingsengagements in Frankreich lebt.
Seine Reise hat er in jeder Weise zum miterlebbaren Abenteuer gemacht
Nur wenig kann den durchweg besonnenen Betriebswissenschaftler mit der nie versiegenden Liebe zum Meer aus der Ruhe bringen. Seine Reise hat er in jeder Weise zum miterlebbaren Abenteuer gemacht. „Es ist medial das Beste, was dem deutschen Segeln seit langer Zeit passiert ist“, sagte der dreimalige Olympiasieger und zweimalige America’s-Cup-Gewinner Jochen Schümann.
Herrmann ließ den Strom packender Bilder, Videos und Interviews von Bord auch in dunklen Stunden – wie beim Großsegelriss im Sturm vor Kap Hoorn – nie abreißen. Nur von seiner Kollision mit dem Fischtrawler in der Biskaya in dunkelster Nacht gibt es keine Bilder.