Hamburg. Die Hamburgerin Hannelore Ratzeburg hat den Frauenfußball in Deutschland etabliert. Nun feiert er sein 50. Jubiläum.
Nun gut, es grenzt ein wenig an Etikettenschwindel, wenn am 31. Oktober 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland gefeiert werden. Gespielt haben Frauen ja genauso lang wie die Männer – nur gedurft haben sie nicht. Und trotzdem darf man zu diesem Jubiläum gratulieren, das findet auch Hannelore Ratzeburg. Denn als der DFB am 31. Oktober 1970 sein 1955 erteiltes Verbot für Frauenfußball endlich aufhob, war das für die damals 19-Jährige wie ein lang ersehnter Anpfiff. Ein Gespräch über grölende Männer, hämisches Gelächter und die überflüssigste Fragen von allen: Muss das denn sein?
Hamburger Abendblatt: Frau Ratzeburg, 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland – wie geht es dem Geburtstagskind?
Hannelore Ratzeburg: Dem geht es gut! Aber alles, was gut ist, kann natürlich auch noch besser werden. Der Frauenfußball hat sich rasant entwickelt, und gerade wenn man wie ich die Anfänge hautnah mitbekommen hat, ist es heute manchmal zum Staunen.
Waren Sie eigentlich selbst eine gute Fußballerin?
Ratzeburg: Nö. Aber eine begeisterte. Wenn man mit 19 Jahren anfängt zu spielen, wird man keine gute mehr. Ich hatte einfach Lust, das auszuprobieren.
Wie kamen Sie darauf? Fußball war eine reine Männerwelt.
Ratzeburg: Ja, aber es war ja eine hochpolitische Zeit, Ende der 60er-Jahre, in der alles hinterfragt wurde, der Muff von 1000 Jahren, und so weiter. Es gab Demonstrationen, zum Beispiel für ein besseres Bildungssystem, und ich fand das toll, dass man die Möglichkeit hatte, für seine Meinung auf die Straße zu gehen. In dieser Zeit erweiterte sich mein Horizont ungemein.
Von zu Hause aus kannten Sie das nicht?
Ratzeburg: Nein. Sport oder gar Fußball waren bei uns in der Familie kein Thema. Letztlich wurde ich erzogen wie viele andere Mädchen auch in der Zeit: Du gehst nicht aufs Gymnasium, das lohnt sich nicht für ein Mädchen. Und dann fand ich es ganz spannend, als Ende der 60er-Jahre auch die bisherigen Rollenbilder von Männern und Frauen komplett infrage gestellt wurden, und es hieß: Frauen dürfen jetzt Fußball spielen. Darüber hatte ich mir vorher gar keine Gedanken gemacht.
Und dann hat es Sie gleich gepackt?
Ratzeburg: Absolut. Die Aufhebung kam im Herbst 1970, was allerdings nicht so die prickelnde Zeit war, um Sport im Freien zu treiben, wenn man das vorher noch nie gemacht hatte. Die ganze Sache kam nicht so richtig in Schwung. Bis meinem damaligen Freund und mir eine Idee kam. Er wohnte ja in einem Studentenwohnheim – also im Grunde, dachten wir, das Beste, was uns passieren konnte. Weil die Studentinnen dort weit weg von Mama und Papa wohnten und damit selbst entscheiden konnten, ob sie Fußball spielen wollten. Das Wohnheim war in Stellingen, ganz in der Nähe von West-Eimsbüttel, eine Nachbarschaft, in der viele Familien mit Kindern wohnten. Also haben wir einen Aufruf gedruckt, auf dem stand, dass wir Frauen für eine Fußballmannschaft suchten. So richtig auf einer Matrize abgezogen, Kopiergeräte gab es ja noch nicht. Und diesen Aufruf haben wir ausgehängt, im Wohnheim und in den Straßen. Bei den Familien, von denen ich wusste, dass sie Töchter hatten, bin ich einfach direkt zum Briefkasten.
Und, wie war der Rücklauf?
Ratzeburg: Unglaublich. Aus ganz Hamburg kamen die Frauen zu uns, sogar aus Horn oder Billstedt. Das hatte so eine Power! Mit meinem Freund haben wir dann die Mannschaft von West-Eimsbüttel aufgebaut. Und am 9. Mai 1971, Muttertag, haben wir unser erstes Spiel auf echtem Rasen ausgetragen, gegen den HSV.
Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ratzeburg: Es waren irre viele Leute da. Leider gingen wir 0:6 unter. Die Frauen vom HSV hatten vorher schon ein paar Testspiele bestritten, aber wir … sind einfach nur hinter dem Ball her. Am besten waren noch die Handballerinnen, die hatten wenigstens eine Ahnung von Position halten und Raumaufteilung. Und natürlich grölten die Männer, es gab hämisches Gelächter. Wir haben gar nicht groß drauf reagiert. Wir wussten selbst, dass es nicht besonders toll ausgesehen hatte. Aber wir wollten es unbedingt. Und irgendwann musste man ja mal anfangen.
Was geschah nach dem Spiel?
Ratzeburg: Danach haben wir noch lange mit den HSV-Frauen zusammengehockt. Diese Verbundenheit der ersten Spielerinnen, egal von welchem Verein, war enorm. Ich fand es ganz toll.
Worum ging es Ihnen dabei, um den Fußball oder die Gleichberechtigung?
Ratzeburg: Gleichberechtigung … dieses Wort gab es zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht so. 1955 war den Frauen in Deutschland das Fußballspielen verboten worden. Aber die 50er-Jahre, das war ja die Zeit, als die Männer aus dem Krieg zurückkamen und feststellen mussten, dass es zu Hause auch ohne sie funktioniert hatte. Man muss Sportentwicklung ja auch immer im gesellschaftlichen Zusammenhang sehen. Bis 1976 gab es in Deutschland die sogenannte Hausfrauen-Ehe. Es war den Frauen per Gesetz untersagt, ohne Erlaubnis des Mannes arbeiten zu gehen, er konnte sogar ohne ihr Wissen ihren Arbeitsvertrag kündigen. Frauen sollten die Kinder hüten und sich um den Haushalt kümmern. So war der historische Kontext. Auf dem Fußballplatz hatten sie nichts zu suchen.
Was die Frauen irgendwann nicht mehr wirklich interessiert hat.
Ratzeburg: Ja, aber für diesen Fall hatte der DFB den Vereinen sogar Strafen angedroht, sollten sie den Frauen Plätze zur Verfügung stellen. Das wollten wir uns Ende der 60er-Jahre nicht mehr gefallen lassen. Und vereinzelt begannen auch Männer, Frauenmannschaften zu gründen und privat Spiele zu organisieren. Und dann haben wir einfach Druck gemacht. Wir wollten Spielerpässe, wir wollten Trikots, vernünftige Bälle. Wir wollten in die Vereine. Und im Herbst 1970 kam dann endlich der Beschluss.
Wie reagierte der Hamburger Fußball-Verband?
Ratzeburg: Beim HFV wussten sie nicht so richtig, was sie mit uns machen sollten. Zunächst hieß es: Der Jugendausschuss sollte sich kümmern. Und wir so (tippt sich mit dem Finger an die Stirn): Jugend ist Jugend, Frauen sind Erwachsene. Der Spielausschuss der Männer war dann nicht sonderlich begeistert, dass er uns aufnehmen sollte. Am Ende gründeten wir einen Fachausschuss für Frauen- und Mädchenfußball. In der Anfangszeit war auch immer jemand vom Spielausschuss dabei. Von den Männern wollten wir schließlich lernen: Wie organisiert man einen Spielbetrieb, wie meldet man Mannschaften an?
Wie war die Stimmung in den Vereinen?
Ratzeburg: Ich erinnere mich an eine legendäre Szene bei einer Mitgliederversammlung von West-Eimsbüttel im März 1971. Im Mai stand ja unser erstes Spiel an. Aber wir hatten keine Trikots, und die Fußbälle, mit denen wir trainierten, waren fast alle kaputt. Bei Lederbällen platzt schon mal eine Naht, dann hängt irgendwann die Gummiblase halb heraus … Solche Bälle haben sie uns hingeschmissen, nach dem Motto: Für die Frauen ist das gut genug. Aber mit so einem Ball kann man nicht spielen. Also betrat ich den Raum und stellte die beiden Fragen: Woher bekommen wir Trikots, woher heile Bälle?
Wie war die Reaktion?
Ratzeburg: Der stellvertretende Vorsitzende, ein älterer Herr mit einer leichten Gehbehinderung, nahm seinen Krückstock, knallte den auf den Tisch, sodass alle erschraken, und rief: Nehmt euch in Acht vor solchen Frauen! Und ein anderer rief, sinngemäß: Die soll erst mal im Vorstand sitzen, dann weiß sie, was die eigentlichen Probleme hier sind, im Verein. Aber genau das habe ich dann übrigens gemacht. Ich habe mich in den Vorstand des Vereins wählen lassen.
Sie waren dann von 1977 bis 2001 Referentin für Frauenfußball im Spielausschuss des DFB und von 1989 bis 2007 Vorsitzende des neu eingerichteten Ausschusses für Frauenfußball. 1995 wurden Sie als erste Frau in den DFB-Vorstand gewählt und 2007 schließlich in das DFB-Präsidium. Woher haben Sie all die Jahre die Kraft für diesen Kampf genommen?
Ratzeburg: Ich habe gerade die letzten Tage viel darüber nachgedacht. Dieses Wollen, etwas zu tun, was mir wichtig ist, das ist schon so in mir drin gewesen. Außerdem fand ich es schon immer ungerecht, dass Jungen alles durften, aber Mädchen nicht.
Würden Sie sagen, das war ein holpriger Weg?
Ratzeburg: Schwer zu sagen. Holprig wurde es eigentlich nur, wenn es eine Ebene höher ging. Also zum Beispiel vom Hamburger Fußball-Verband in den DFB-Spielausschuss, mit 26 Jahren. Das war eine andere Hausnummer. Da gab es dann auch offenen Gegenwind. Als ich zum Beispiel sagte, dass die Frauen in den Landesverbänden auch einen DFB-Pokal ausspielen möchten, über die Ligen hinweg, so wie die Männer. Da hieß es: Muss das sein? Woraufhin ich entgegnete: Na ja, aber die Männer spielen ja auch einen Pokal aus: Muss DAS denn sein?
Ein so einfaches wie schlagkräftiges Argument.
Ratzeburg: (Lacht.) Am Anfang hieß es ja auch, ich müsse nur zu den Sitzungen nach Frankfurt kommen, wenn Frauenfußball auf der Tagesordnung steht. Da habe ich widersprochen und gesagt, ich möchte bitte hören, was die Männer diskutieren. Auch um zu prüfen, ob wir etwas Vergleichbares für die Frauen überlegen sollten. Von da an gab es keine Tagesordnung mehr ohne Frauenfußball.
Damit Sie dabei sein konnten?
Ratzeburg: Genau. Aber es gab immer nur einen Tagesordnungspunkt Frauenfußball, und der kam meistens am Schluss. Eine gewisse Unruhe war im Raum und auch gern mal der Satz: Frau Ratzeburg, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit, würden Sie sich bitte kurzfassen? Das habe ich zu Anfang hingenommen und nur das Wesentliche gesagt. Hin und wieder war es auch so, dass während meines Vortrags die Zeitung gelesen oder der Raum verlassen wurde. Dann habe ich manchmal mitten im Satz aufgehört zu reden. Bis es dem Vorsitzenden auffiel und er mich aufforderte, weiterzusprechen. Warum, habe ich nur gefragt. Hier hört doch ohnehin keiner mehr zu.
Und dann?
Ratzeburg: Bin ich beim nächsten Mal wieder hin. Ich glaube, ich habe es eine lange Zeit einfach ertragen, weil ich immer dachte, na ja, ein paar hören ja zu. Und mit der Zeit wurde es dann ja auch besser.
Wie sind die Medien mit Ihnen umgegangen?
Ratzeburg: Da gab es eher so die Gier nach knappen Trikots und knappen Höschen. Selten ging es ums Spiel. Und dann immer diese unsägliche Frage nach dem Abseits. Ich hatte bereits 1972 einen Schiedsrichterschein und 1974 eine Trainer-C-Lizenz gemacht. Einen Mann in meiner Position hätten sie das nie gefragt.
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Wird es irgendwann dazu kommen, dass eine Frau ein Bundesligateam der Männer coacht?
Ratzeburg: Frauen können Fußball spielen, sind erfolgreich, können alle Fußball-Lizenzen erwerben. Dann frage ich mich schon, warum das eines Tages nicht möglich sein sollte. Es ist allerdings nötig, dass sich ein Verein traut, mit einer Trainerin einen Vertrag abzuschließen.
Wir hören: Sie sind noch lang nicht am Ziel.
Ratzeburg: Nein, natürlich nicht. Aber es ist oft noch mühsam. Um die Präsenz in den Medien kämpfen wir ja eigentlich schon immer – Frauen kommen in der Fußballberichterstattung so gut wie nicht vor. Wie sollen sich die Menschen in Deutschland den Namen von Spielerinnen merken, deren Gesichter sie nie sehen?
Worauf sind Sie stolz?
Ratzeburg: Darauf, dass wir damals einfach hartnäckig waren. Dass wir, die Frauen der ersten Stunde, uns nicht haben unterkriegen lassen. Dass wir Männer an unserer Seite hatten, die diesen Weg mit uns gegangen sind, weil auch sie fanden, dass dieses Spiel nicht nur ihnen gehört. Im Rückblick ist es das, worauf ich wirklich stolz bin.