Hamburg. Deutschlands “Head of Men’s Tennis“ sprach über die fehlende Breite im Herrenbereich und Alexander Zverevs Rolle als Leitfigur.
Boris Becker mag Hamburg, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. Auch wenn er zwischen 1984 und 1998 bei zwölf Teilnahmen das Traditionsturnier am Rothenbaum nie gewinnen konnte – 1990 war er bei seiner Finalpleite gegen den Spanier Juan Aguilera am nächsten dran –, hat die Stadt im Leben des deutschen Tennisidols eine wichtige Rolle gespielt.
Er hatte hier viele Freunde (und auch mindestens eine Freundin), war von 2002 bis 2005 Chairman des Turniers. Dass der 52-Jährige deshalb am Dienstagmorgen „mit einem Lächeln im Gesicht“ anreiste, um in seiner Funktion als "Head of Men’s Tennis" im Deutschen Tennis-Bund (DTB) das deutsche Quartett im Hauptfeld zu begutachten, lag nahe, war allerdings nicht nur in der Schönheit Hamburgs begründet.
Becker freut sich über "ein Stück Normalität" beim Turnier in Hamburg
Vielmehr freute sich Becker darüber, dass er nach den zwei Wochen, die er aus einem TV-Studio in München heraus die US Open in New York für Eurosport kommentierte, wieder Livesport erleben konnte. „Ich habe mir in den vergangenen Monaten schon Sorgen darüber gemacht, was Corona für unseren Sport bedeutet“, sagte er, als er am Nachmittag kurz vor seiner Abreise vor die Presse trat.
Die besten Bilder des Rothenbaum-Turniers:
Zum Niederknien: die Hamburg European Open am Rothenbaum
„Besonders für die Spieler, die ein halbes Jahr ohne Einnahmen waren, ist es hart. Umso glücklicher bin ich, dass es wieder Turniere wie dieses gibt, die ein Stück Normalität zurückbringen.“ Auch für sich selber freue es ihn. „Schließlich schaue ich gern Tennis live und spreche darüber, das ist mein Beruf“, sagte er.
Schnell ging es in Hamburg um einen Abwesenden: Alexander Zverev
Tatsächlich, das ist sein Beruf, und immer dann, wenn Boris Becker über Tennis reden kann, ist zu spüren, dass das sein Element ist. Das, was er am besten kann. Weil er noch immer denkt wie ein Spieler, weil er Dinge sieht, die nur ein früherer Weltklassemann sehen kann. Und weil er sich in seiner Eigenschaft als Experte nie scheut, auch Probleme offen anzusprechen. Was den Journalisten am Dienstag nicht erlaubt war, das muss zur Erklärung angefügt werden. Nur Tennisfragen, bitte.
Dass sich das Gespräch auch am Dienstag schnell um einen drehte, der gar nicht in Hamburg am Start ist, war keine große Überraschung – und machte einmal mehr das Dilemma deutlich, in dem das deutsche Herrentennis steckt. Alexander Zverev, gebürtiger Hamburger und mit seinen 23 Jahren als Weltranglistensiebter der große Hoffnungsträger des DTB, ist der Mann im Schaufenster.
Deutschland fehlt im Herrentennis die Breite
Dahinter hat sich mit Jan-Lennard Struff (Warstein/Nr. 32) zwar ein weiterer Deutscher in der erweiterten Weltklasse etabliert, der aber als 30-Jähriger nicht als Perspektivspieler gewertet werden kann. Unter den Top 100 der Welt sind ansonsten nur noch der aufstrebende Dominik Koepfer (26/Furtwangen/Nr. 66) und Philipp Kohlschreiber (Augsburg/Nr. 85) zu finden, der im Oktober allerdings 37 Jahre alt wird.
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Die fehlende Breite, in den vergangenen Jahren ein Markenzeichen der DTB-Herren, gibt auch dem Herrentennischef zu denken. „Grundsätzlich geht es nur über die Breite in die Weltspitze. Unser Ziel war und ist, möglichst viele Spieler unter die besten 100 zu bringen. Da müssen wir schauen, dass sich unsere Teenager wieder steigern, damit wir eine gute Basis legen“, sagte Becker, der allerdings einen Grand-Slam-Sieger als Leitfigur vorziehen würde. „Und da sind wir mit Alexander Zverev auf einem sehr guten Weg. Zwei Punkte mehr, und wir hätten den neuen deutschen Grand-Slam-Champion gehabt“, sagte er in Anspielung auf Zverevs Fünfsatz-Finaldrama in New York gegen den Österreicher Dominic Thiem (27).
Zverevs Verzicht auf den Rothenbaum - die richtige Entscheidung?
Ob es richtig gewesen sei, dass der beste deutsche Profi anschließend auf einen Start bei seinem Heimturnier in Hamburg verzichtet habe, wurde Becker gefragt. „Das werden wir bei den French Open sehen“, sagte er im Hinblick auf das letzte Grand-Slam-Turnier dieses Jahres, das am Sonntag in Paris beginnt.
Er glaube schon, dass Spieler, die in der vergangenen Woche in Rom und in dieser Woche in Hamburg im Einsatz waren, in Paris zumindest in der ersten Woche einen Vorteil hätten. „Und ich hätte Sascha zugetraut, hier in Hamburg mit der Unterstützung seiner Fans ein paar Matches zu gewinnen. Die Idealform wäre gewesen, dass er hier gespielt hätte. Aber es war ein brutales Ende in New York. Emotional war seine Entscheidung deshalb sicherlich richtig, es war der entspanntere Weg. Ob es der beste Weg war, warten wir ab.“
Kein Vor-Ort-Besuch mehr für Boris Becker
Bevor sich der 17-jährigste Leimener aller Zeiten wieder verabschiedete, um sich der Pflege seiner Social-Media-Aktivitäten und der Zukunft des deutschen Tennis zu widmen, fügte er noch gute Wünsche für die Veranstalter des Rothenbaum-Turniers an. „Ich hoffe, dass dieses Turnier ein Beispiel dafür ist, wie Tennis in Zukunft funktionieren und wie man Sport auch mit Zuschauern veranstalten kann“, sagte er. Dass die Ausrichtung in Krisenzeiten einen Imagetransfer für kommende Jahre bewirken könne, glaube er fest. „Die Spieler reden darüber, wo sie gut behandelt wurden und wer auch in schweren Zeiten für sie da war“, sagte er.
Von Sonntag an muss Boris Becker wieder auf Vor-Ort-Besuche verzichten. Die French Open werden von Eurosport erneut aus dem Münchner Studio begleitet. Er freut sich trotzdem darauf. Es ist schließlich der Beruf, den er liebt.
Der Spielplan am Rothenbaum am Dienstag
- Hanfmann (Karlsruhe) – Monfils (Frankreich/3) 6:4, 6:3
- Koepfer (Furtwangen) – Nishioka (Japan) 7:6 (7:0), 4:6, 6:1
- Fognini (Italien/6) – Kohlschreiber (Augsburg) 4:6, 6:1, 7:5
- Chatschanow (Russland/8) – Struff (Warstein) 7:6 (7:5), 4:6, 7:5
- Humbert (Frankreich) – Medwedew (Russland/1) 6:4, 6:3
- Bautista Agut (Spanien/4) – Bassilaschwili (Georgien/Titelverteidiger) 6:4, 6:3
- Garin (Chile) – Nishikori (Japan) 6:0, 6:3
- Auger-Aliassime (Kanada) – Sonego (Italien) 6:2, 7:6 (7:2)
- Bublik (Kasachstan) – Ramos-Vinolas (Spanien) 6:2, 7:6 (7:5)
- Lajovic (Serbien) – Mannarino (Frankreich) nach Redaktionsschluss
Livestream: Der Tennis Channel International (eine Woche kostenlos, danach 2,49 Euro pro Monat) überträgt alle Partien. Der NDR zeigt von 18.30 Uhr an das Koepfer-Match.
Tickets: Eintrittskarten sind für Mittwoch, Donnerstag und Sonntag noch ausreichend erhältlich, sowohl über hamburg-open.com als auch spontan an der Tageskasse. Freitag und Sonnabend sind fast ausverkauft. Pro Tag sind 2300 Besucher zugelassen.