New York. Der Hamburger kann in seinem ersten Grand-Slam-Endspiel Tennisgeschichte schreiben. Sein Gegner ist ein Freund – und leicht im Vorteil.
Alexander Zverev sah gar nicht aus wie jemand, der nach einem irren Krimi und einem unglaublichen Comeback soeben sein erstes Grand-Slam-Finale erreicht hatte. Ein Lächeln war unter seiner Maske nicht zu erahnen, und auch die fast schon grimmig dreinblickenden Augen strahlten keine Freude über das Erreichte, sondern vielmehr volle Fokussierung auf das bevorstehende Ziel aus. Zverev, das wurde schon kurz nach seinem spektakulären Halbfinale bei den US Open mehr als deutlich, hat in New York noch etwas vor.
Am Sonntag will er den mächtigen Silberpokal in die Höhe recken und seine Wandlung vom großen Talent zum Champion vollenden. Dass er für seinen ersten Grand-Slam-Titel seinen guten Kumpel Dominic Thiem bezwingen muss, ist Zverev ziemlich egal. „Ob du befreundet bist oder nicht, spielt nicht mehr so eine Riesenrolle“, sagte er und stellte klar: „Man möchte das Match gewinnen und Grand-Slam-Champion werden. Das ist ganz einfach.“
Zverev kann bei US Open deutsche Grand-Slam-Durststrecke beenden
Und weil dieser ersehnte Titel und ein Platz in den Geschichtsbüchern nun zum Greifen nah sind, hielten sich auch die Emotionen über das spektakuläre 3:6, 2:6, 6:3, 6:4, 6:3 im Halbfinale gegen den Spanier Pablo Carreño Busta in Grenzen. „Natürlich freue ich mich, dass ich im Finale stehe“, sagte der Hamburger, „aber ich muss ja immer noch einen Schritt gehen. Ich bin noch nicht fertig.“
Dieser Schritt wäre für das deutsche Tennis wahrlich ein historischer. Schließlich ist es schon 24 Jahre her, dass ein Deutscher im Herreneinzel bei einem der vier wichtigsten Turniere triumphierte. Boris Becker war das bei den Australian Open 1996, und der lobte seinen potenziellen Nachfolger nach dem Fünfsatz-Krimi gegen Carreño Busta in höchsten Tönen. „Es ist unglaublich“, schwärmte die Tennis-Ikone bei Eurosport, „was Sascha Zverev für ein Mentalitätsmonster geworden ist.“
Genau diese Mentalität wird Zverev auch im Endspiel am Sonntag (ab 22.00 Uhr MESZ/Eurosport) brauchen, denn in Thiem steht ihm die größte Hürde des Turniers erst noch bevor. Der Österreicher geht als Favorit ins Match: Schon im Januar bei den Australian Open war der Weltranglistendritte eine Nummer zu groß für Zverev in seinem ersten Grand-Slam-Halbfinale, in neun Vergleichen mit Thiem zog der Deutsche siebenmal den Kürzeren.
„Das hilft mir gar nicht“, sagte Thiem jedoch und schickte wohlwollende Worte Richtung Zverev: „Er ist ein Riesenspieler, einer der Besten der vergangenen Jahre. Er hat alles außer einem Grand Slam gewonnen.“ Genauso wie Thiem selbst – und das, obwohl der bereits in drei Finals stand. Zweimal verlor der 27-Jährige gegen Sandplatzgott Rafael Nadal bei den French Open, in Melbourne Anfang des Jahres dann gegen Novak Djokovic.
Zverev sieht kleinen Vorteil bei Thiem
Dass sein Gegner bereits Finalerfahrung bei Grand-Slam-Turnieren hat, sei „schon ein Vorteil“, sagte Zverev, ein zu großer aber dann doch nicht. „Es gibt keine einfachen Matches“, meinte er, „die besten zwei Spieler der Welt werden auf dem Platz stehen, und der bessere wird den Pokal hochheben.“
Natürlich will Zverev das sein. Mit seinen 23 Jahren ist er der jüngste Spieler in einem Major-Finale seit Djokovic 2010, doch Zverev hat in kürzester Zeit einen unglaublichen Reifeprozess durchlaufen. Mental sieht sich der Hamburger auf jeden Fall gerüstet, und auch körperlich befürchtet er keine Probleme, obwohl die Aufholjagd gegen Carreño Busta reichlich Kraft gekostet hat.
„Ich fühle mich okay“, sagte Zverev, und sowieso gilt: „Auch wenn man müde ist und der Körper wehtut, muss man jetzt einen Weg finden, das durchzuhalten. Ich denke, das werde ich am Sonntag auch machen.“