Hamburg. Innensenator über die Folgen der Corona-Krise für den Sport, über Zuschauer beim Tennis am Rothenbaum und Einigung mit dem HSV.

Der Baustellenlärm von nebenan dringt durch die geöffneten Fensterklappen ins großzügige Arbeitszimmer von Senator Andy Grote (52) in der Innen- und Sportbehörde am Johanniswall, in Zeiten wie diesen gibt es aber auch beim Gespräch mit dem Abendblatt keine Kompromisse.

Beim Luft- und Gedankenaustausch hält der SPD-Politiker weitere maßvolle Lockerungen im Sport für denkbar, und er hofft, dass beim anstehenden Herrentennisturnier am Rothenbaum mehr als 1000 Zuschauer auf die Anlage an der Hallerstraße dürfen.

Herr Grote, wie hat der Hamburger Sport bisher die Corona-Krise bewältigt?

Andy Grote: Die Vereine haben sich in ganz großen Teilen als sehr krisenfest und äußerst kreativ erwiesen, wenn es darum geht, ihre Mitglieder auch in dieser Zeit mit innovativen Sport- und Bewegungsformaten zu erreichen. Darauf können wir wirklich stolz sein. Mit unseren Hilfsprogrammen konnten wir dann gezielt da helfen, wo es nötig ist. Die Veranstaltungen hat es natürlich am härtesten getroffen, aber auch da bewegen wir uns vorsichtig voran. Anfang September finden im Stadtpark gleich zwei Weltmeisterschaften im Triathlon statt und Ende des Monats wird beim Tennisturnier am Rothenbaum ein Teilnehmerfeld aufschlagen, das es in dieser Qualität seit Jahren nicht mehr gab.

Rechnen Sie damit, dass auf die Vereine im Herbst und Winter neue Probleme zukommen, weil der Sport von draußen nach drinnen verlagert wird, für geschlossene Räume aber weiter Einschränkungen gelten? Kurse müssen geteilt, Trainer zusätzlich beschäftigt werden, räumliche Kapazitäten fehlen, um alle Ansprüche der Mitglieder zu bedienen. Da könnten weitere Austritte drohen.

Grote: Mit der Freigabe des Mannschaftssports zum 1. September haben wir einen weiteren großen Schritt in Richtung Normalisierung gemacht. Dass mit Beginn der Hallensaison Platzbedarfe auf uns zukommen werden, ist uns bewusst. Auch da wollen wir Lösungen finden.

Wie könnten diese aussehen?

Grote: Es hängt davon ab, ob wir die Größe der Gruppen, die gemeinsam Sport treiben dürfen, noch mal nach oben verändern können. Das ist eine Frage, die wir uns in einem nächsten Schritt stellen werden. Zusätzlich wollen wir mehr Raumangebote schaffen. Schulsporthallen sollen zum Beispiel abends länger genutzt werden dürfen und dem Vereinssport auch an Wochenenden und in den Hamburger Schulferien offen stehen.

Von dem im April aufgelegten Hamburger Nothilfefonds Sport sind von möglichen fünf Millionen Euro nur rund 1,1 Millionen von Vereinen und Veranstaltern abgerufen worden. Stehen die restlichen 3,9 Millionen dem Sport noch zur Verfügung?

Grote: Es spricht für den Hamburger Sport, für die bereits erwähnte Robustheit der Vereine, dass die Hilfsprogramme bisher eher zurückhaltend in Anspruch genommen wurden. Wir sind uns aber mit der Finanzbehörde einig, dass wir uns ein zweites Programm gut vorstellen können. Dafür schauen wir uns zunächst die Bedarfe im Sport genau an und sind mit den Vereinen im engen Austausch. Wir müssen auch sehen, welche Leistungen aus Programmen des Bundes, zum Beispiel der Überbrückungshilfen, wir für Hamburg in Anspruch nehmen können. Besteht darüber hinaus Bedarf, werden wir helfen. Es gilt weiter der Grundsatz: Wir wollen die Leistungsfähigkeit und die Angebotsvielfalt der Hamburger Sportvereine erhalten und die dafür notwendige Unterstützung leisten.

Ist es politisch klug, jedem Verein zu helfen, auch denen, die schon vor Corona Probleme hatten? Erschweren Sie damit nicht einen möglicherweise nötigen Strukturwandel zu größeren Quartiervereinen, die vermehrt auch soziale Angebote entwickeln können?

Grote: Ich würde das nicht miteinander vermengen. Im Moment erleben wir, dass gerade die kleineren, nur über Mitgliedsbeiträge finanzierten Vereine, sich in der Krise als besonders robust erwiesen und starken Zusammenhalt bewiesen haben. Die größeren, hauptamtlich geführten Clubs, die sich zusätzlich über Kursgebühren, Vermietung und Ähnliches finanzieren, hatten größere Einbußen, weil diese Möglichkeiten in den vergangenen Monaten weitgehend wegfielen.

Unter den Einschränkungen des Wettkampf- und Trainingsbetriebs leiden vor allem Nachwuchstalente, die keine Sondergenehmigung erhalten. Fürchten Sie dadurch Auswirkungen auf die Olympiazyklen 2024 und 2028? Sind Kinder und Jugendliche auch im Sport die Corona-Verlierer?

Grote: Die Einschränkung des Trainings- und Wettkampfbetriebs war eine harte Zeit für den gesamten Sport. Die Einschränkungen gelten ja nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Natürlich zählt jede Trainingseinheit, aber bis 2024 und 2028 ist auch noch etwas Zeit. Ich sehe bislang keinen unmittelbaren Wettbewerbsnachteil für unsere Talente, die wir weiter gezielt fördern werden.

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Im Hamburger Sport soll es erst einen Fall der Virusübertragung gegeben haben, das ausgerechnet beim Yoga. Das könnte Sie doch zu weiteren Lockerungen ermutigen.

Grote: Meine erste Schlussfolgerung dazu wäre, dass unsere bisherigen Hygiene- und Sicherheitskonzepte gegriffen haben. Andererseits kennen wir trotz der Nachverfolgung der Gesundheitsämter viele Infektionswege gar nicht, weil wir darauf angewiesen sind, dass der oder die Infizierte den möglichen Infektionsort kennt und benennt. Ob das immer geschieht, wissen wir nicht. Der Rückschluss, dass beim Sport nichts passiert, ist deshalb nicht komplett zuverlässig.

Trotz zahlreicher Lockerungen gibt es für das soziale Leben und eben auch für den Sport weiter viele Einschränkungen. Wie lange kann dieser Zustand der Bevölkerung zugemutet werden? Die Akzeptanz für die Maßnahmen beginnt ja schon zu bröckeln. Wäre es da nicht effektiver, etwas mehr Risiko zu wagen und dafür im Gegenzug mehr Verständnis zu ernten, auch weil wir heute sehr viel mehr über mögliche Infektionswege des Virus wissen?

Grote: Wir haben schon erhebliche Lockerungen hinter uns. Hinter allen bisherigen Maßnahmen steht die Überlegung, vollzogene Erleichterungen möglichst später nicht rückgängig machen zu müssen, wie es in anderen Ländern gerade geschieht. Das wollen wir vermeiden. Wir sind weiter davon abhängig, wie die Pandemie verläuft, in welchem Umfang Einschränkungen künftig medizinisch notwendig sind. Aber: Alle Lockerungen, die verantwortbar sind, setzen wir um, um Akzeptanz und Verständnis zu erhalten. Genau das hat der Senat mit der neuen Eindämmungsverordnung trotz gestiegener Fallzahlen jetzt getan. Der größte Lockerungsschritt mit der Freigabe des Mannschaftssports ist dabei zum 1. September im Sport erfolgt.

Sport zu treiben ist weitgehend wieder möglich, ihm zuzuschauen nur sehr beschränkt. Die Veranstalter des Rothenbaum-Tennisturniers, die Hamburger Proficlubs im Fußball, Basketball und Handball sind auf Zuschauereinnahmen angewiesen. Bisher sind im Freien 1000, in der Halle 650 Besucher erlaubt. Das deckt nicht mal die gestiegenen Organisationskosten.

Grote: Bund und Länder haben am Donnerstag den vorsichtigen Kurs bei Großveranstaltungen bekräftigt. Für die bundesweiten Profiligaclubs soll bis Ende Oktober eine gemeinsame Zuschauerregelung erarbeitet werden. Für Einzelveranstaltungen, wie das ATP-Tennisturnier am Rothenbaum, lässt der Beschluss bei höherer Zuschauerzahl etwas Spielraum, wenn die Kontaktnachverfolgung und die Einhaltung der Hygieneregeln gesichert sind. An einem entsprechenden Konzept wird gearbeitet.

Zweitliga-Handballer (HSV Hamburg) und Bundesliga-Basketballer (Hamburg Towers) haben ausgerechnet, bei den geltenden Auflagen entstünden über die Saison rund 200.000 Euro coronabedingte Zusatzkosten. Beide Clubs hoffen auf entsprechend hohe Hilfen der Stadt.

Grote: Wir wollen, dass unsere Proficlubs erfolgreich bleiben und gut durch die Krise kommen. Wir müssen jetzt sehen, welche Hilfen aus dem Bundesprogramm (200 Millionen Euro für alle Proficlubs außerhalb der Ersten und Zweiten Fußball-Bundesliga, die Red.) möglich sind. Besteht weiterer Unterstützungsbedarf, wären Zuschüsse über das eingangs erwähnte zweite Hamburger Sportprogramm denkbar. Wir sehen uns weiter in der Pflicht, auch diesen Clubs zu helfen.

Sehen Sie sich auch bei den Veranstaltern der zahlreichen Hamburger Sportevents in dieser Pflicht?

Grote: Wir wollen, dass alle Sportanbieter wirtschaftlich überleben. Derzeit hoffen wir, alle bisher für 2021 angedachten Veranstaltungen auch durchführen zu können. Entsprechende Konzepte lagen bereits in diesem Jahr vor, auf denen können wir aufbauen. Und wir haben jetzt bei der Triathlon-WM und beim Tennis am Rothenbaum die große Chance zu beweisen, dass wir das Infektionsrisiko im Griff haben. Das wäre ein Signal, das auch international wahrgenommen würde: Hamburg, das sind die, die es in der Krise gut hinbekommen haben. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt. Ob Veranstaltungen im öffentlichen Raum wieder mit Publikum stattfinden können, bleibt hingegen abzuwarten. Wir müssen sehen, mit welchen Infektionszahlen wir durch den Herbst und den Winter kommen.

Sport im Freien ist in Hamburg der neue Trend. Das hat auch der bisherige Zulauf beim Active City Summer gezeigt. Wie muss darauf der Sportstättenbau reagieren?

Grote: Wir bauen bereits die Sportinfrastruktur im Freien aus, in Parks und Grünlagen. Hinzu kommt, dass wir beim Sportstättenbau Anlagen fördern, die mehrfach nutzbar sind, die einen hybriden Out- und Indoor-Charakter haben, etwa überdachte Spielfelder. Das machen wir bereits beim Sportzentrum Steinwiesenweg in Eidelstedt. Mobile Dachkonstruktionen, wie sie für die Sporthalle in der Wilhelmsburger Dratelnstraße geplant ist, sind Projekte des Masterplans Active City. Die Möglichkeit, im Sommer und im Winter dieselbe Sportstätte nutzen zu können, mehr Flexibilität hinzubekommen, unterstützen wir ausdrücklich.

Homeoffice könnte zu einem dauerhaften Modell in der Arbeitswelt werden. Mehr quartiersnahe Sportflächen, etwa Basketballkörbe oder Fußballkäfige, könnten die Lust auf Bewegung in den Arbeitspausen fördern. Das wäre doch ganz im Sinne des Senatsprogramms Active City.

Grote: Die Einschätzungen, ob Homeoffice ein dauerhafter Massentrend wird, sind noch sehr unterschiedlich. Ob man deshalb eine ganze Sportinfrastruktur auf die Bedürfnisse in einer Pandemiephase ausrichtet, muss man daher gut überlegen. Wir hoffen, bald in die Normalität zurückzukehren, und gehen bisher davon aus, dass sich das Sportverhalten wieder dem annähert, wie es vor Corona war. Unabhängig davon beschäftigen wir uns natürlich mit der Frage, wie Stadtentwicklung und der Ausbau der Sportinfrastruktur Hand in Hand gehen kann. Wir wollen die wohnortnahen Sportangebote weiter stärken.

Können alle sportlichen Vorhaben des Koalitionsvertrages wie der Aus- und Umbau des Olympiastützpunktes (OSP) in Dulsberg trotz der Krise umgesetzt werden?

Grote: Der Sportinfrastrukturausbau wird in jedem Fall auf hohem Niveau weitergeführt werden. Auch die Pläne am OSP haben hohe Priorität, deshalb stehen sie explizit im Koalitionsvertrag.

Neu hinzu kommt die Renovierung des Volksparkstadions für die Fußball-Europameisterschaft 2024. Der HSV, Eigner des Stadions, beziffert die Kosten auf bis zu 30 Millionen Euro und fordert Unterstützung von der Stadt. Der Senat will jedoch nur EM-relevante Maßnahmen bezuschussen. Sehen Sie da Möglichkeiten einer Einigung?

Grote: Ich bin nach den jüngsten Gesprächen sehr zuversichtlich, dass wir da zu einem guten Ergebnis kommen.

Können Sie uns garantieren, dass im Sommer 2024 EM-Spiele in Hamburg stattfinden werden?

Grote: Im Moment sehe ich keinen Grund, von irgendetwas anderem auszugehen. Alles andere wäre ja auch peinlich. Ich bin überzeugt, wir werden 2024 in Hamburg eine fantastische Europameisterschaft erleben.

Hat die Corona-Krise für den Sport auch positive Aspekte? Gibt es für Sie Erkenntnisse, die Ihnen Mut machen?

Grote: Uns ist allen noch mal bewusster geworden, warum wir Sport so dringend brauchen, wie wichtig er für unsere körperliche und seelische Gesundheit ist. Wir brauchen ihn für die Begegnung mit anderen Menschen gerade in Zeiten, in denen Kontakte eingeschränkt sind. Gerade der klassische, von Mitgliedern getragene Vereinssport, der manchen vormals als etwas altmodisch erschien, hat sich im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Bereichen als sehr krisenfest, geradezu als Zukunftsmodell erwiesen. Der Sport hat es ähnlich wie in der Flüchtlingskrise mit enormem Engagement, viel Kreativität und tatkräftigem Zupacken geschafft, Bewegungsalternativen zu entwickeln, soziale Funktionen im Quartier zu übernehmen, Freiwilligenarbeit zu organisieren, seine Bindungskraft für Menschen untereinander zu entfalten. Er hat schnell und pragmatisch Wege gefunden, mit der Situation umzugehen. Deshalb sind auch die meisten Mitglieder ihren Vereinen treu geblieben.