Hamburg. Dritter Teil der Serie „Weg nach Tokio“: Wie die Sportler die Verschiebung der Sommerspiele verkraftet haben.

Die Hoffnung lebte noch, als das Abendblatt Mitte März für den zweiten Teil der Olympiaserie „Der Weg nach Tokio“ mit den vier Protagonisten telefonierte. Persönliche Treffen waren wegen des Corona-Lockdowns zwar schon nicht mehr möglich, die Sommerspiele in Japans Hauptstadt, die vom 24. Juli bis 9. August stattfinden sollten, waren jedoch noch nicht abgesagt.

Acht Wochen später hat sich die Lage dramatisch verändert. Olympia 2020 findet, so der Plan, genau ein Jahr später statt. Die vier Athleten, die im Acht-Wochen-Rhythmus über ihre Erfahrungen berichten, trainieren derzeit eingeschränkt. Wann wieder Wettkämpfe möglich sind, steht in den Sternen. Dennoch soll diese Serie weitergehen, da sind sie sich einig. Denn zu berichten gibt es genug, wie im dritten Teil deutlich wird.

Julius Thole, Beachvolleyball

Julius Thole hatte am meisten zu verlieren. Schließlich war es der 2,06-Meter-Hüne vom Eimsbütteler TV, der als Erster des Abendblatt-Quartetts sein persönliches Olympiaticket in der Tasche hatte. Der Vizeweltmeistertitel, 2019 am Rothenbaum an der Seite seines Teampartners Clemens Wickler (25) gewonnen, war Gold wert für die Olympiarangliste.

Umso härter traf ihn die Nachricht von der Verlegung der Sommerspiele. „Ich bin zunächst schon in ein Loch gefallen. Auch wenn mir rational einige Tage vorher klar war, dass die Absage kommen würde, war der Moment, in dem es feststand, schon sehr hart“, sagt der seit vergangenem Sonntag 23-Jährige.

14 Tage lang habe er anschließend eine komplette Trainingspause eingelegt, sich stattdessen viel mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Konrad, der in der Volleyball-Bundesliga für die SVG Lüneburg spielt, im Garten des elterlichen Hauses in Groß Borstel auf einem Kleinfeld duelliert. „Ich wollte einfach mal zwei Wochen total abschalten. Für den Kopf war das enorm wichtig“, sagt er.

Da ihm die Kopfarbeit ohnehin enorm wichtig ist, hat Julius Thole auch das eigentlich für Olympia reduzierte Jurastudium wieder intensiviert. Seit vier Wochen belegt er online einen Block zum Thema Gesellschaftsrecht. „Ich lerne drei Stunden am Tag und merke, dass mir diese Abwechslung hilft“, sagt er.

Seit am 20. April das Beachcenter am Olympiastützpunkt in Dulsberg für Olympiakandidaten wieder öffnen durfte, trainieren Thole/Wickler wieder regelmäßig im Sand. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Optimierung körperlicher Baustellen. Bei Thole ist das in erster Linie eine höhere Rumpfstabilität, an der er fünfmal pro Woche zielgerichtet arbeitet.

Dass es derzeit keine Aussicht auf internationale Wettkämpfe gibt und deshalb kein wettkampfnahes Training möglich (und nötig) ist, stört ihn kaum. „Ich habe mich damit abgefunden. Meine Herausforderung ist nun, mein athletisches Potenzial zu erschließen. Dazu ist im Wettkampfalltag weniger Zeit, deshalb freue ich mich, jetzt die Chance dazu zu haben.“

Athleten brauchen, mehr noch als normal Berufstätige, eine selbst organisierte Tagesstruktur, die ihnen Halt gibt. Julius Thole denkt viel nach über die existenziellen Sorgen der Menschen in der Corona-Krise, er hat aber auch kleine Dinge wieder mehr schätzen gelernt. „Zum Beispiel habe ich richtig Bock auf einen Zoobesuch. Und wir spielen in der Familie mehr Gesellschaftsspiele.“

Die Gefahr, orientierungslos durch die Tage zu driften, sieht er nicht. „Mir hilft es, jeden Tag kleine Ziele zu setzen.“ Vor allem, weil große Ziele aktuell weit entfernt scheinen. Seine Motivation habe darunter aber nicht gelitten. „Für mich bleibt Olympia das große Ziel. Ich muss nun ein Jahr länger darauf hinarbeiten.“

Torben Johannesen, Rudern

Ganz so entspannt kann Torben Johannesen die Sache noch immer nicht sehen. Natürlich, auch für den dreimaligen Ruderweltmeister bleibt die Jagd nach dem ersten olympischen Gold das große Ziel. Doch die Aussicht, sich auf absehbare Zeit nicht in Wettkämpfen messen zu können, nagt an dem 25-Jährigen vom RC Favorite Hammonia, der seinen Platz im Deutschland-Achter für Tokio sicher hatte. „Olympia 2021 als Ziel reicht mir nicht. Wenn man nur fürs Training trainiert, fehlt einem etwas. Dafür ist die Arbeit zu hart und der Aufwand zu hoch“, sagt er.

Einige Wochen habe es gedauert, bis es ihm gelungen sei, den Blick wieder nach vorn zu richten. „Die Nachricht von der Verschiebung der Spiele war ein Schlag ins Gesicht, denn es war alles auf diesen Sommer hin geplant“, sagt er. Viele Gespräche mit Freundin Kristin, seinen Eltern und Bruder Eric, der 2012 in London Olympiasieger im Achter war, habe es gebraucht, um mit der neuen Situation Frieden zu schließen. Mittlerweile hat Torben Johannesen sein Lehramtsstudium (Physik und Sport) wieder aufgenommen, das für Tokio eingereichte Urlaubssemester konnte rückgängig gemacht werden. Außerdem helfe es ihm, ausgedehnte Touren mit dem Rennrad zu unternehmen. Drei bis vier Stunden fährt er mehrmals in der Woche am Elbdeich entlang.

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Spezifisches Training ist momentan nur sehr eingeschränkt möglich. Im Achter darf nicht geübt werden, lediglich im Zweier kann er mit seinem Vereinskameraden Malte Großmann aufs Wasser. Wochenweise trainiert er im Leistungszentrum Allermöhe, das seit drei Wochen wieder geöffnet hat, und am Stützpunkt der Riemenruderer in Dortmund, dazu kommen Krafttraining und das Schuften auf dem heimischen Ruder­ergometer. Zwölf Einheiten in der Woche sind die Regel. „Mehr als Grund­lagentraining ist das nicht“, sagt er.

Am meisten fehle ihm das Teamgefühl. Dieses Zusammenwirken der Kräfte, das den Achter so speziell macht, kann seinen Reiz nicht entfalten, wenn nur in Zweiergruppen geübt werden darf. Zwar kommuniziere man viel über WhatsApp, „aber das ist natürlich kein Ersatz für persönlichen Kontakt“. So bleibt Torben Johannesen nur die Hoffnung, dass wenigstens die in den Oktober verschobene EM in Posen (Polen) stattfinden kann. Damit die Saison 2020 nicht vollkommen verloren ist.

Lesen Sie hier den zweiten Teil der Serie

Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie

Julia Mrozinski, Schwimmen

Verloren? Nein, so betrachtet Julia Mrozinski dieses sonderbare Jahr nicht. „Im ersten Moment hat mir die Verschiebung zwar das Herz gebrochen, immerhin arbeite ich seit 15 Jahren auf das Ziel Olympia hin“, sagt die 20-Jährige von der SGS Hamburg. Aber weil sie ihre Qualifikation für die 4 x 200-Meter-Freistilstaffel noch nicht geschafft hatte, glaubt sie mittlerweile, dass ihr ein weiteres Jahr des Reifens guttun kann. „Ich bin noch jung und muss mich in allen Bereichen verbessern, deshalb glaube ich, dass ich 2021 eine bessere Athletin sein kann als in diesem Jahr. Und ich kann immerhin die Erfahrung aus einer halben Olympiavorbereitung mitnehmen.“

Derart positiv auf die Verschiebung reagieren zu können, das war ihr in den ersten Wochen nicht leicht gefallen. Vor allem, weil das Schwimmbecken am Olympiastützpunkt geschlossen und vier Wochen kein Wassertraining möglich war. Für Schwimmer, die das Wasser brauchen wie die anderen Athleten die Luft zum Atmen, war das eine entbehrungsreiche Zeit, die Julia Mrozinski nutzte, um mit intensiven Läufen Athletik und Kondition aufzubauen. „Ich hatte mir eine Hantelstange aus dem Kraftraum mitgenommen, um damit zu Hause zu trainieren.“

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Derzeit darf wenigstens die halbe Trainingsgruppe des Hamburger Stützpunkt-Chefcoaches Veith Sieber wieder ins Becken, aufgeteilt in vier Männer und drei Frauen. „Dass ich die Hälfte des Teams seit sieben Wochen nicht gesehen habe, ist das, was mir am schwersten fällt. Ich vermisse meine Trainingsgruppe sehr“, sagt sie.

Um in der Phase des Wasserverbots nicht unterzugehen, zog Julia Mrozinski aus ihrer Wohnung nahe des Olympiastützpunkts zu ihren Eltern nach Duvenstedt. Gespräche mit Mutter und Vater, die ebenfalls Leistungsschwimmer waren, halfen ihr aus dem Motivationsloch. Seit wieder Schwimmtraining möglich ist und sie zudem einmal in der Woche zum Unterricht an die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg gehen kann, wo sie als Mitglied der „Streckerklasse“ ihr Abitur innerhalb von 14 Schuljahren macht, ist sie zurück in ihrer Wohnung.

Der Plan, Olympia- und Abiturstress zu trennen, ist durch die Verschiebung der Spiele zwar hinfällig, nun steht 2021 beides an. „Doof gelaufen, aber nicht zu ändern, wir werden in der heißen Phase aber so gut betreut, dass das schon alles funktionieren wird“, sagt sie. Fehlt nur eine Perspektive für den Wettkampfbetrieb. „Ich brauche Ziele und will nicht mehr nur von Tag zu Tag schauen.“

Amelie Wortmann, Hockey

Von Tag zu Tag schauen, daran kann sich auch Amelie Wortmann nur schwer gewöhnen. „Ich bin ein Mensch, der Tagesrhythmus und einen Plan braucht“, sagt die Hockey-Nationalspielerin vom Uhlenhorster HC. Deshalb hat die 23-Jährige, nachdem der Schock der Olympiaverlegung verdaut war, ihr eingereichtes Urlaubssemester rückgängig gemacht und viel Energie in ihr Psychologiestudium kanalisiert. „Ich habe Hausarbeiten geschafft, von denen ich gedacht hatte, dass sie bis nächstes Jahr liegen bleiben würden, und ich habe meine Bachelorarbeit angefangen“, sagt die Mittelfeldspielerin.

Die Dauerberieselung mit dem Thema Corona geht auch Amelie Wortmann langsam an die Nerven. Umso dankbarer ist sie für die Ablenkung, die ihr Studium und Training bieten. Während des Lockdowns, als keine Sportplätze betreten werden durften, hat sie verstärkt an Athletik und Kondition gearbeitet. „Ich bin noch nie so viel gelaufen wie in der Phase, aber ich bin mir sicher, dass ich davon profitieren werde“, sagt sie. Auch die regelmäßigen Yoga-Einheiten, zu denen sich die Mitglieder der Damen-Nationalmannschaft über den Onlinedienst Zoom einwählen, seien für Geist und Körper wichtig. „So schaffen wir es gemeinsam, uns abzulenken und den Kontakt miteinander zu halten. Dennoch hätte ich nie gedacht, dass ich meine Teams so vermissen würde“, sagt sie.

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    Mittlerweile ist im UHC und beim Nationalteam wieder Mannschaftstraining möglich, allerdings nur in festgelegten Kleingruppen. Nicht zu wissen, wann der nächste Wettkampf möglich sein wird, empfindet auch die beim THC Rot-Gelb und dem Großflottbeker THGC aufgewachsene Spielgestalterin als belastend. Die Bundesliga öffnet frühestens im Spätsommer wieder die Tore, internationale Duelle dürften noch länger auf sich warten lassen. „Zu trainieren, ohne zu wissen, wofür man trainiert, das ist auch für mich eine ganz neue Erfahrung“, sagt sie. Mit der am Olympiastützpunkt tätigen Sportpsychologin
    Anett Szigeti führt sie dazu viele Gespräche, die sie als Psychologiestudentin auf zweierlei Ebenen interessieren.

    Der positivste Nebeneffekt der Krise ist indes in ihrer Wohnung zu besichtigen. „Die habe ich mir richtig schön gemacht. Aber ich war ja auch noch nie so viel zu Hause wie jetzt“, sagt Amelie Wortmann. Trotzdem hofft sie gemeinsam mit allen Athleten, dass sich Letzteres bald wieder ändert.

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden