Hamburg. Christian Thun spricht vier Sprachen – und ist der neue Hoffnungsträger des Hamburger Boxstalls Universum.
Mit einer Körperlänge von 2,04 Metern und 115 Kilogramm Kampfgewicht nicht aufzufallen, das ist eine große Leistung. Deshalb ist es wenig überraschend, dass Christian Thun, der bis dahin eloquent und charmant über sein Leben geplaudert hat, auf die Frage, wie er bislang unter dem Radar fliegen konnte, um die passende Antwort ringen muss. Er habe sich, als er im Dezember 2017 seinen ersten Vertrag als Profiboxer unterschrieb, zu sehr auf die Verlockungen seines französischen Managers Mehdi Ameur verlassen. „Er hat mir große Kämpfe versprochen, aber eigentlich wollte er mich nur als Sprungbrett ins große Geschäft nutzen. Das hat mich wertvolle Jahre gekostet. Aber jetzt wird alles anders, jetzt starte ich durch“, sagt Thun.
Das Profiboxen ist voll von Geschichten über Kämpfer, die sich, getrieben von der Hoffnung auf sportlichen Ruhm und finanzielle Sorglosigkeit, auf Manager eingelassen haben, die Ruhm und Geld vor allem für sich selbst im Blick hatten. Christian Thun, 28 Jahre alt, aufgewachsen in Ennepetal am südlichen Rand des Ruhrgebiets, hat diese Erfahrung nun hinter sich, und er glaubt, den Lerneffekt dafür genutzt zu haben, um nun den richtigen Karriereweg einzuschlagen. Deshalb hat er, nach nur vier Profikämpfen innerhalb von zwei Jahren, von denen der letzte 15 Monate zurückliegt, mit dem Düsseldorfer Karim Akkar einen neuen Manager verpflichtet, und er hat einen langfristigen Vertrag mit dem Hamburger Universum-Stall geschlossen. Dessen Chef Ismail Özen-Otto sagt: „Christian ist ein Hoffnungsträger für unsere Zukunft, wir sind von seinen Fähigkeiten überzeugt und glauben, dass er Weltmeister im Schwergewicht werden kann.“
Vergleich mit Klitschko gefällt Thun nicht
Promoter müssen solche Dinge glauben; und selbst, wenn sie es nicht tun, müssen sie sie sagen, um das Interesse anzuheizen an ihren Zugpferden. Christian Thun selbst ist vorsichtiger geworden mit derlei Ansagen. Dass sein alter Manager ihn als „den neuen Klitschko“ bezeichnete, hat ihm schon damals nicht gefallen. Er will niemanden kopieren, sondern er selbst sein, und dass ihm zu den Großen in der Königsklasse des Berufsboxens noch viel fehlt, weiß er auch. Aber weil er mit vielen von ihnen in den vergangenen Jahren zum Sparring den Ring geteilt hat, glaubt er auch zu wissen, „dass ich es schaffen kann, in drei Jahren um einen WM-Titel zu boxen.“
Christian Thun ist ein Mensch, für den die Adjektive polyglott und kosmopolitisch hätten erfunden werden können. Mit 13 zog er aus Ennepetal in die Heimat seiner italienischen Mutter, wo er mit dem Boxen begann. Seitdem liegt sein Lebensmittelpunkt im Ausland. Thun spricht neben Deutsch und Italienisch auch Englisch und Spanisch fließend, er hat in England Wirtschaftswissenschaften studiert. Auf die Frage, warum er mit seinem Leben dann nichts Ordentliches anzufangen wisse, muss er lachen. Dann erzählt er, wie er während seiner Studienzeit in London im Peacock Gym vom Boxen fasziniert wurde. „Da hat mich dieser Sport einfach gepackt und seitdem nicht mehr losgelassen“, sagt er.
Seine 49 Amateurkämpfe, von denen er nach eigenen Angaben 43 gewann, bestritt er hauptsächlich in England, er durfte im Vorprogramm großer Profikämpfe boxen und erlebte hautnah die vibrierende Atmosphäre, die englische Sportfans im Boxen ganz besonders zu entfachen verstehen. 2012, als der heutige Dreifachweltmeister Anthony Joshua (30) bei seinen Olympischen Heim-Spielen in London Gold im Superschwergewicht gewann, stand Christian Thun in der Halle hinter einem Vorhang. „Ich hatte kurz vor Toresschluss Tickets bekommen, und weil ich erst in die Halle kam, als die erste Runde schon lief, ließen mich die Ordner nicht mehr rein. Ich habe aber gehört, wie AJ gefeiert wurde. In dem Moment habe ich mir vorgenommen, gegen ihn kämpfen und ihn besiegen zu wollen.“
Thun muss Führ- und Schlaghand verbessern
Weltmeister werden, das wollen alle. Thun muss, um eine Chance zu erhalten, Führ- und Schlaghand verbessern, taktisch und technisch reifen. Athletik und Beweglichkeit hat er in den vergangenen Jahren optimiert, weil er immerhin mit Weltmeistern trainiert hat. Er war bei Wladimir Klitschko im Camp, sparrte mit Joshua und dem aktuellen WBC-Champion Tyson Fury, mit Manuel Charr und vor allem mit Deontay Wilder, dem jüngst von Fury entthronten US-Amerikaner.
Mit Dave Godber aus Wilders Trainerteam arbeitete Thun in den vergangenen Monaten, pendelte deshalb stets zwischen Alabama und Miami. Nun hat er sich im legendären 5th Street Gym in Floridas Metropole an Cheftrainer Dino Spencer gebunden. „Ich möchte nach vielen Jahren des Reisens endlich sesshaft werden, will in Miami leben und werde deshalb auch zunächst nur zu meinen Kämpfen nach Deutschland kommen“, sagt er.
Fanbasis in der Heimat ist wichtig
Sobald die Coronakrise so weit im Griff ist, dass nicht nur Reisen, sondern auch Boxkämpfe wieder möglich sind, soll Christian Thun dem deutschen Publikum präsentiert werden. „Ich habe unterschätzt, wie wichtig es ist, eine Fanbasis in der Heimat zu haben“, sagt er, „deshalb ist der Schritt zu einem deutschen Promoter so wichtig für mich.“ Anfragen aus England und von anderen deutschen Ställen wie Sauerland und Agon habe er nach dem Probetraining in Hamburg abgelehnt. „Ich habe bei Universum das gespürt, was mir wichtig ist: Professionalität, Ehrlichkeit und Transparenz.“
Von einem deutschen Schwergewichtler, der das hierzulande am Boden liegende Geschäft aus dem Ringstaub ziehen und die großen TV-Sender interessieren kann, träumt jeder deutsche Promoter. SES-Chef Ulf Steinforth hat mit Agit Kabayel und Peter Kadiru zwei dieser Hoffnungsträger, nun zieht Universum mit Thun nach. „Wir werden ihn nicht lange aufbauen, er soll schon in seinem ersten Kampf für uns um einen Titel boxen“, sagt Özen-Otto. Christian Thun weiß, dass der Weg an die Spitze ein sehr weiter ist. Aber er glaubt, dass er ihn gehen kann.