Hamburg. Der britische Boxprofi gewinnt den Rückkampf mit WBC-Titelverteidiger Deontay Wilder und zeigt die beste Leistung seiner Karriere.
Wie viel Kraft und Luft noch in ihm steckte, das bewies Tyson Fury nach dem besten Kampf seiner Karriere eindrucksvoll. Während sein vernichtend geschlagener Kontrahent Deontay Wilder den Ring des MGM Grand Casinos in Las Vegas verließ – wackelig zwar, aber immerhin aufrecht gehend – sang der neue WBC-Weltmeister im Schwergewicht vor den tobenden Fans in der mit 15.816 Zuschauern ausverkauften Arena mehrere Strophen von Don McLeans „American Pie“, ehe er sich vor seiner Ehefrau Paris verneigte. Mit einem technischen K.-o.-Sieg in Runde sieben hatte der Mann, den sie aufgrund seiner Abstammung von irischen Travellern den „Gypsy King“ nennen, das umstrittene Remis aus dem ersten Duell im Dezember 2018 vergessen gemacht und sich zum neuen König der Königsklasse des Berufsboxens gekrönt.
Fury marschierte mit ungeheurem Tempo
Es war eine Demonstration unbändiger Willensstärke gewesen, die in dieser Form außer Fury und seinen engsten Vertrauen wohl niemand erwartet hatte. Der 31 Jahre alte Brite bestimmte den Rückkampf mit dem 34 Jahre alten Titelverteidiger aus den USA vom ersten Gong an, weil er nur einen Gang kannte: vorwärts mit Vollgas. Mit 124 Kilogramm Kampfgewicht – und damit 20 Kilo schwerer als sein mit 2,01 Metern Körperlänge fünf Zentimeter kleinerer Kontrahent – war Fury in den Kampf gegangen. So eine Masse muss erst einmal bewegt werden, aber der Herausforderer tat das auf eine Art und Weise, die höchsten Respekt abnötigte.
Fury marschierte mit ungeheurem Tempo, schlug seine Führhände aus unmöglichen Winkeln und traf Wilder, der sich einzig auf seine rechte Schlaghand verließ und seine technischen Schwächen nicht kaschieren konnte, in Runde zwei so hart am Kopf dass dieser fortan aus dem linken Ohr blutete und Gleichgewichtsstörungen hatte. Nach dem Kampf wurde der „Bronze Bomber“ zu Untersuchungen in ein Krankenhaus gebracht, ein Trommelfellriss wurde vermutet. In Runde drei und Runde fünf musste Wilder vom umsichtigen Ringrichter Kenny Bayless nach harten Kopftreffern angezählt werden, fing sich aber jedes Mal einigermaßen und stellte sich einem von Minute zu Minute aussichtsloser wirkenden Kampf. In Runde sieben warf Wilders Coach Jay Deas dann nach einer weiteren Serie schwerer Treffer das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe – und rettete seinen Schützling damit vor schweren Folgeschäden.
Fury bleibt auch nach 31 Kämpfen weiterhin unbesiegt
„Deontay hat das Herz eines Champions gezeigt, er hat seinen Mann gestanden. Er ist zweimal wieder aufgestanden und ist ein echter Krieger“, sagte Fury, der sich in den Tagen vor dem Kampf diverse verbale und sogar körperliche Scharmützel mit Wilder geliefert hatte. So war das obligatorische „Staredown“ nach dem offiziellen Wiegen abgesagt worden, nachdem beide auf der Pressekonferenz auf der Bühne aneinandergeraten waren. Nach dem Kampf war das vergessen. „Tyson hat das hervorragend gemacht“, sagte Wilder. „Mir geht es gut. Ich suche nicht nach Ausreden. Auch die Größten haben verloren und sind zurückgekommen. Das werde ich nun auch tun“, sagte der US-Amerikaner nach seiner ersten Niederlage im 44. Profikampf. Fury bleibt auch nach 31 Kämpfen weiterhin unbesiegt.
Man muss ihn nicht mögen, diesen Exzentriker, der mit seinen Verbalattacken gegen Homosexuelle, seinen antisemitischen Ausfällen und seinen Alkohol- und Drogenexzessen viele Boxfans verstört hat. Aber man muss anerkennen, dass er trotz aller Widrigkeiten in seinem Leben zum besten Schwergewichtler der Welt geworden ist. Im November 2015 war er dank seines Punktsieges über Dreifachweltmeister Wladimir Klitschko (43/Ukraine) zum ersten Mal Weltmeister geworden, hatte die Titel aber 2016, gezeichnet von schweren Depressionen und einem undurchsichtigen Dopingvergehen, abgeben müssen. Im Sommer 2017 wog er 175 Kilogramm, entschloss sich aber dank der Hilfe seines damaligen Trainers Ben Davison und seines Hamburger Beraters Benedikt Poelchau zum Comeback, das er nun mit dem Sieg über Wilder krönte.
Wie geht es weiter mit dem "Gypsy King"?
Wie es weitergeht mit dem „Gypsy King“, der den Zusatz „Gypsy“ nach dem triumphalen Abend von Las Vegas streichen darf, bleibt abzuwarten. Wilder hat 30 Tage Zeit, um die vereinbarte Rückkampfklausel zu ziehen und damit ein drittes Duell anzuberaumen. Größeres Interesse dürfte es, vor allem in Großbritannien, aber an einer Titelvereinigung mit WBA/WBO/IBF-Champion Anthony Joshua geben. Der 30 Jahre alte Brite hätte die boxerischen Mittel, um gegen Fury zu bestehen. Ob er auch dessen Willen brechen könnte, ist die wohl drängendste Frage nach einer Nacht, die Tyson Fury zum König der Boxwelt gemacht hat.