Hamburg. Von den Kanaren in die Karibik, und das nur mit Muskelkraft: Warum sie sich das antun, haben uns die vier Frauen erklärt.

Vier Piccolos haben sie dabei. Vier Piccolos für vier Frauen. Eine soll Weihnachten geöffnet werden, eine zu Silvester. Und eine nach dem ersten Streit. Wenn man sich dann wieder vertragen hat. Frieden eingekehrt ist. Dann ist noch ein Fläschchen Sekt übrig. „Für nach dem letzten Streit“, sagt Stefanie Kluge – und lacht. Eine hintersinnige Antwort. Man weiß den Zeitpunkt natürlich nicht.

Wie so vieles bei diesem Projekt. So vieles offen, so vieles ungewiss. „Man braucht im Leben Projekte, die einen herausfordern, in die es sich lohnt, Arbeit zu investieren“, sagt Kluge. „Herausforderung“, „Projekt“ – das kann man wohl so sagen. Manche sagen auch: „verrückt“ und „unverantwortlich“.

Am 12. Dezember startet Stefanie „Steffi“ Kluge (51) gemeinsam mit ihrer Tochter Timna Bicker (26) sowie Catharina Streit (33) und Meike Ramuschkat (33) aus dem Hafen von San Sebastián de La Gomera heraus zu einer rund 4800 Kilometer langen Reise nach Antigua in der Karibik. Die dauert irgendetwas zwischen 40 und 60 Tagen. In einem Ruderboot.

Vier Frauen. Rudern. Über den Atlantik. Wie kommt man bloß auf so eine Idee? Seit 1997 gibt es dieses Ruderrennen, seit 2011 wird es als „Talisker Whiskey Atlantic Challenge“ jährlich ausgetragen. Start ist immer im Dezember, dann ist der Südatlantik am ruhigsten, heißt es.

35 Boote machen sich in diesem Jahr auf den Weg. Vom Einer bis zur Fünfer-Crew ist alles dabei. Jedes Mal interessieren sich mehr Menschen auf der Suche nach einer Grenzerfahrung für dieses Rennen. Es folgt damit dem Trend nach immer extremeren, immer unwahrscheinlicheren, immer unmöglicheren Sport- und Lebenserfahrungen.

Das Rennen ist ein Spektakel und professionell geplant

Das Rennen ist ein perfekt inszeniertes und extrem aufwendiges Spektakel, absolut professionell durchgeführt. Die vier Hamburgerinnen aber sind tatsächlich das erste Team aus Deutschland, das diese Reise ins Ungewisse antritt. „Und dann noch Frauen“, sagte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank kürzlich bei einem Farewell-Termin auf der Alster. Und ergänzte: „Es sind immer die Frauen, die vorangehen und die wirklich mutigen Sachen machen.“

Das Team aus Hamburg in seiner endgültigen Zusammensetzung, nachdem eine Kandidatin dann doch wieder absprang: Es  rudern (v. l.): Catharina Streit, Meike Ramuschkat, Timna Bicker und ihre Mutter Stefanie Kluge.
Das Team aus Hamburg in seiner endgültigen Zusammensetzung, nachdem eine Kandidatin dann doch wieder absprang: Es rudern (v. l.): Catharina Streit, Meike Ramuschkat, Timna Bicker und ihre Mutter Stefanie Kluge. © dpa | Axel Heimken

Ein Boot wurde angeschafft und auf den Namen „Doris“ getauft. Eine Spezialkonstruktion, als hochseetauglich eingestuft. Mit zwei Kojen, in die man sich zurückziehen und schlafen kann. Immer zwei Stunden lang, dann wird wieder zwei Stunden gerudert. 60.000 Euro hat allein das Boot gekostet, weitere etwa 30.000 Euro kommen für die Ausrüstung und Verpflegung hinzu. Insgesamt kalkulieren die Hamburgerinnen mit Kosten in Höhe von 120.000 Euro.

Der größte Teil stammt vom Hauptwegbegleiter „Zum Dorfkrug Sylter Salatfrische“ aus Neu Wulmstorf. Es gab Sachspenden, Crowdfundingaktionen, kleiner Sponsorenleistungen. Aber immer noch fehlen etwa 25.000 Euro. Die würden bei einem Weiterverkauf des Bootes von den Spenden für die gemeinnützigen Vereine „Zeit für Zukunft – Mentoren für Kinder“ und „Kinderlachen“ abgehen. Jedes Team ist zu einer Charityaktion verpflichtet. Gewinn? Den soll es nur fürs Leben geben.

Die Überfahrt von den Kanaren in die Karibik ist knapp 2600 Seemeilen lang, das sind rund 4800 Kilometer. Zwischen 40 und 60 Tagen wird das Rennen für die einzelnen Teams  dauern, je nach Wetter und Kondition.
Die Überfahrt von den Kanaren in die Karibik ist knapp 2600 Seemeilen lang, das sind rund 4800 Kilometer. Zwischen 40 und 60 Tagen wird das Rennen für die einzelnen Teams  dauern, je nach Wetter und Kondition.

„Viele von euch haben sicher oft die Frage gehört: Warum macht ihr das?“, sagt Renndirektor Carsten Heron Olsen vom Veranstalter Talisker Atlantic zu den Teilnehmern: „Die Antwort ist sehr einfach: Das ist, was ihr seid.“ Jetzt, vor dem Start, mag das stimmen. Es ist jedoch sicher, dass die Teilnehmer nicht mehr die gleichen sind, wenn es vorbei ist. Wenn sie es entweder geschafft haben oder gescheitert sind.

„Diese Mission bedeutet den ultimativen Schritt aus der Komfortzone. Mit Heimweh, Schlafentzug, Seekrankheit, hoher körperlicher Belastung“, sagt die Psychologin Anett Szigeti vom Olympiastützpunkt Hamburg, die die Frauen betreut: „Dies wird alle vier wachsen lassen.“ Verpflegung haben sie für 60 Tage an Bord, davon für 48 Tage Trockennahrung in Tüten, die mit Wasser aufgegossen wird. „Danach müssten wir angeln“, sagt Steffi Kluge.

Das ist nur halb ein Scherz, eine Angel haben sie tatsächlich dabei. Das Wasser filtern sie aus der See. Außerdem gibt es einen Notfalltank mit 50 Litern Süßwasser. Dazu kommen Mineral- und Vitamintabletten. Und Snacks: „die Belohnung“, also Schokolade, Lakritz, Gummibärchen, Salami­sticks. Alles wird gleichmäßig verstaut, damit das Boot nicht ins Ungleichgewicht gerät. „Wie geht ihr aufs Klo?, wollen die Leute immer wissen“, sagt Timna. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Eimer und Schwamm.

Wie verändert das Projekt das Leben der Frauen?

Das muss man alles wirklich wollen. Will man? Kein Zweifel. Kann man? Wird man sehen. Tatsächlich. Denn der Sport-Dokumentarfilmer Guido Weihermüller („Ludwig/Walkenhorst – der Weg zu Gold“) begleitet die vier Frauen auf ihrem Weg. „Mir geht es darum, ihre innere Reise und Entwicklung zu dokumentieren und herauszufinden, woher der Mut und der Antrieb kommen. Was macht das Projekt mit den Frauen und wie verändert es ihr Leben?“, sagt der Regisseur.

2015 gingen mit „Four Mums in a Boat“ erstmals Frauen an den Start. Sie sind Vorbilder für das Team aus Hamburg.
2015 gingen mit „Four Mums in a Boat“ erstmals Frauen an den Start. Sie sind Vorbilder für das Team aus Hamburg. © Talisker Whisky Atlantic Challenge | Talisker Whisky Atlantic Challenge

Regelmäßig stellt er auf der Seite „Wellenbrecherinnen.de“ Episoden der Entwicklung ins Internet. Am Ende wird auch ein Kino-Dokumentarfilm entstehen. Für das ZDF produziert er zudem drei Acht-Minuten-Reportagen, die erste läuft am 8. Dezember. Bereits am vergangenen Dienstag waren die vier bei „Lanz“ zu Gast und talkten über das bevorstehende Abenteuer, die Motivation dahinter, das unerklärliche Warum.

„Cätschi“, die ehemalige Hockeyspielerin und Qualitätsmanagerin bei einem großen Kaffeehändler, hatte als Erste die Idee, sich diesem Abenteuer zu stellen. „Ich habe in Hamburg auf der Ocean Film Tour den Dokumentarfilm ,Four Mums in a Boat‘ gesehen und war fasziniert“, erzählt sie. Dabei ging es genau darum: vier Frauen, die den Atlantik überqueren.

Ein Samen war gelegt, ein Gedanke ins Hirn gepflanzt. Natürlich wollte sie ihre beste Freundin Meike überzeugen, sie hatten doch schon so viel erlebt miteinander. Aber die zögerte, verständlich irgendwie. „Erst als sie zufällig im Urlaub auf La Gomera in den Start zu einem Rennen quasi reingestolpert ist, war sie auch Feuer und Flamme.“ Mit Meike, der Kardiologin, ist Cätschi schon durch dick und dünn gegangen. Sie ticken auf einer Wellenlänge, das wird schon. So ging das alles los, 2017.

Rudern konnten die beiden damals noch nicht. Egal, wer gemeinsam den Kiliman­dscharo bezwingt, der lernt das, dachten sie. „Es ist ein Lebensprojekt, das geht nur einmal“, sagt Catharina Streit. Und das wird nun durchgezogen. Punkt. In der Ruderabteilung des SV Polizei haben sie die erfahrene Ruderin Steffi kennengelernt und mit an Bord geholt. „Ich habe erst meine Familie gefragt, ob das okay ist.“ Die wird geahnt haben: Widerspruch zwecklos.

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Steffi Kluge hat vier Kinder zwischen 28 und 21 Jahren großgezogen, drei Söhne und eben Tochter Timna. Die pharmazeutisch-technische Assistentin bildet an einer Berufsschule künftige PTAs aus. Sie wurde für ein Vierteljahr freigestellt. Keine Alternative, das Projekt musste jetzt sein. „16 Jahre habe ich Schulbrote für die Kinder geschmiert“, sagt sie, „ich hatte das Gefühl, jetzt bin ich mal dran.“ Im Juni 2018 ist sie also zur Crew gestoßen. „Ich war da ein bisschen eifersüchtig“, sagt Tochter Timna, „Aber es war Mutters Projekt, sie hatte selten eines für sich allein.“

Ende November 2018 kam Timna doch dazu – „ich hätte dich nicht gefragt“, sagt die Mutter. Die ursprünglich eingeplante vierte Frau war ausgestiegen, Ersatz musste her, kurzfristig. Cätschi und Meike fragten also, die Medizintechnikerin schlief eine Nacht drüber. Und sagte zu. Sie will das. Unbedingt. Das muss auch Ehemann Timo akzeptieren, den sie erst im Herbst geheiratet hat. Ebenso wie Steffis Mann Sascha. „Normal“, sagt Timna, „waren wir nie.“

Das Team beim Training.
Das Team beim Training. © wellenbrecherinnen.de/CDP

Mutter und Tochter in einem Boot mit zwei besten Freundinnen, wie geht das? „Meine beste Freundin ist leider nicht dabei, ich habe sie gefragt, aber sie wollte nicht“, erzählt Stefanie Kluge. Offensichtlich wäre ihr das lieber gewesen. Gleiche Verhältnisse, auch zu den anderen. „Jetzt bin ich die Alte an Bord.“ Noch sind sie rund eine Woche vom Start entfernt, aber ein Jahr intensive Vorbereitung und Training haben sie schon hinter sich. Eine Entwicklung, die Mutter und Tochter unterschiedlich wahrgenommen haben.

In Bug und Heck sind kleine Kojen untergebracht. Sie dienen auch als Zuflucht, falls die „Doris“ zu kentern droht.
In Bug und Heck sind kleine Kojen untergebracht. Sie dienen auch als Zuflucht, falls die „Doris“ zu kentern droht. © wellenbrecherinnen.de/CDP

„Unsere Beziehung hat sich geändert“, sagt Timna. „Ob zum Positiven, weiß ich nicht“, sagt Steffi. Die Rollen haben sich aufgelöst. Alte Selbstverständlichkeiten gelten nicht mehr. „Ich kann nicht einfach zur Mutter gehen, wenn es mir schlecht geht, und Zuspruch bekommen“, weiß Timna. „Ich bin hier immer Teammitglied und eben nicht Mama“, meint Steffi. „Man ist nie einer Meinung, im Team spricht man das jetzt offen an. Das hat man normalerweise so nicht gemacht“, glaubt Timna, die auch empfindet: „Wir sind uns dadurch nähergekommen.“ Oder mehr auf Augenhöhe, gleichberechtigter. Auch alles eine Frage der Perspektive. „Ich finde unser Verhältnis jetzt distanzierter“, sagt Mutter Steffi, „die Nabelschnur ist noch durchtrennter.“ Dann sammelt sie sich einen Augenblick: „Man will ja die Kinder zur Unabhängigkeit bringen.“

Am 30. November geht es für die vier los Richtung La Gomera. Das Boot sollte mit Ladung bereits angekommen sein. Dort sind inzwischen auch die „Mitbewerber“ aus zahlreichen anderen Ländern. Teilweise hatte man sich schon beim Start des Rennens 2018 kennengelernt. „Das ist ganz schön, plötzlich sind da welche, die das Gleiche vorhaben“, berichtet Timna, „da fühlt man sofort die gleiche Wellenlänge und sich selbst nicht mehr so exotisch.“

Bis im Notfall Hilfe kommt, kann es 48 Stunden dauern

Vor Ort wird die Crew vor dem Start noch einmal intensiv eingewiesen. Die Rennleitung hatte zwar schon Sicherheitstrainings und per Videochat auch einen Test durchgeführt, ob die „Wellenbrecherinnen“ wirklich an alles gedacht haben. Jetzt aber geht es ans Eingemachte, die Sache wird schließlich wirklich ernst. Es gibt noch einmal Sicherheitstrainings – was tun beim Kentern? Die „Doris“ wird noch einmal überprüft – ist alles an seinem Ort? Wie funktioniert die Funkortung, wie ruft ihr um Hilfe? Schließlich rudern sie allein, nichts da mit Begleitbooten. Bis zu 48 Stunden kann es dauern, bis jemand kommt, sollte es tatsächlich einen Notfall geben. Sie sollen auf alles vorbereitet sein.

Atlantic Challenge

  • Das Atlantic Rowing Race wurde 1997 erstmals ausgetragen. Gestartet sind damals auf Teneriffa 30 Teams, von denen 24 das Ziel Barbados erreichten. Das Siegerteam – Rob Hamill und Phil Stubbs aus Neuseeland – war gut 41 Tage lang unterwegs. Im Jahr 2017 schaffte ein Vierer-Team die Strecke La Gomera–Antigua in nur 29 Tagen, 14 Stunden und 34 Minuten, im Jahr 2010 brauchte der Gewinner hingegen 52 Tage, 6 Stunden und 47 Minuten. Seit 2011 wird das Rennen wegen eines neuen Sponsors Talisker Whisky Atlantic Challenge genannt. 2015 gingen vier Frauen aus Yorkshire an den Start. Die Geschichte der „Four Mums in a Boat“ wurde verfilmt und inspirierte das Team aus Hamburg dazu, nun selbst anzutreten und sich auch von einem Filmemacher während der Vorbereitung, aber auch unterwegs begleiten zu lassen. Wer mehr vom deutschen Team Rowhhome sehen will, findet Clips auf www.wellenbrecherinnen.de

Sind sie es? Die erfahrene Ruderin Steffi glaubt, dass sie mehr hätten rudern müssen, alle zusammen, „es muss wie im Schlaf synchron klappen“. Auch ihr Trainer Christian Dahlke kann nicht anders, als skeptisch zu sein. „Wenn man hört, was die machen, muss man aufpassen, dass man nicht böse wird“, sagte er in einer Folge der Web-Dokumentation aus dem Sommer, „totaler Quatsch ist das.“ Die Frage, wie gut die Hände und der Allerwerteste die ständige Belastung aushalten, bleibt auch. Es ist Dauerrudern, da kommen Blasen, trotz Handschuhen, da drückt der Po. Was machen dann Wind, Wellen, Salzwasser? Was kann die Einzelne ertragen?

Es ist ein Abenteuer – und der Ausgang ungewiss. „Angst? Nein, Angst habe ich nicht, jedoch großen Respekt“, sagt Stefanie Kluge. „Den hatte ich aber auch, als ich vor fast 30 Jahren mit meinem Mann in der Westbank in einem kleinen israelischen Dorf in der Wüste gelebt habe. Und das war schließlich die beste Zeit meines Lebens.“