Hamburg. Natalie Zimmermann hat eine außergewöhnliche Vita. Jetzt startet die Personal Trainerin der Rocklegende bei der Weltmeisterschaft.
Im Februar, als sie beim Bayern-Pokal startete, wusste Natalie Zimmermann, dass sie es geschafft hatte. Zum ersten Mal nach 17 Jahren im Kampfsport saß ihre Mutter am Ring, die – wie Mütter nun einmal sind – sich stets die meisten Sorgen um ihre kickboxende Tochter gemacht hatte. Doch was sie ihr nach dem Turnier sagte, war so bewegend, dass Natalie Zimmermann tief durchatmet, wenn sie davon erzählt. „Ich muss mir ja keine Sorgen um dich machen, sondern um deine Gegnerinnen, hat sie gesagt. Für mich war das das schönste Lob“, sagt die Hamburgerin.
Vom Wochenende an wird die Familie wieder aus der Ferne mitzittern, wenn die dreifache deutsche Meisterin in Antalya (Türkei) als Mitglied des deutschen Nationalteams (vier Frauen, sechs Männer) in der Gewichtsklasse bis 65 Kilogramm zu ihrer ersten WM im Vollkontakt-Kickboxen ins Seilgeviert steigt. WM-Premiere im Alter von 37 Jahren – das klingt ungewöhnlich. Aber weil der Lebensweg der Natalie Zimmermann genau das ist, muss man ihre Geschichte von Anfang an erzählen, um zu verdeutlichen, was ihr dieser sportliche Höhepunkt bedeutet.
Als 20-Jährige kam sie zum Kampfsport
Mit vier Schwestern wuchs sie als Tochter eines Tierzüchters in Ostholstein auf. 1000 Schafe und 40 Pferde mussten betreut werden, für Leistungssport blieb keine Zeit. Erst als sie zwecks Ausbildung zur Physiotherapeutin nach Lübeck zog, fand sie als 20-Jährige den Weg in den Kampfsport, und das zufällig. Inspiriert vom Hollywoodfilm „Die Akte Jane“, in dem sich Demi Moore in der Elitearmee-Einheit Navy Seals durchschlägt, absolvierte sie ein Probetraining im Taekwondo. „Das war für mich ein Erweckungserlebnis. Ich hatte vorher auch Basketball und Handball probiert, aber Taekwondo hat mich vom ersten Tag an süchtig gemacht“, sagt sie.
Es war das Gefühl, Grenzen verschieben zu können, das sie faszinierte. „Anfangs hatte ich vor Kämpfen schlaflose Nächte, weil ich mit Ängsten und Sorgen zu tun hatte, dass ich mich verletzen oder blamieren könnte. Solche Grenzen auszutesten und herauszufinden, wozu ich in der Lage bin, ist großartig“, sagt sie. Ihr Wissen als Physiotherapeutin, das sie mit Weiterbildungen zur Pilates-, Fitness- und Kettlebell-Trainerin ausbaute, habe ihr zudem dazu verholfen, das Zusammenspiel von Körper und Geist zu durchschauen. Ihr Studio an der Rothenbaumchaussee, das sie seit 2010 selbstständig führt, hat sie deshalb Body & Mind genannt.
Bekanntester Klient ist Udo Lindenberg
Dort kann die Athletin Beruf und Leistungssport optimal vereinen. 60 Prozent ihrer Arbeitszeit gehen für Personal Training drauf, rund 50 Klienten hat sie aktuell, der bekannteste von ihnen ist Udo Lindenberg. 40 Prozent arbeitet sie als Physiotherapeutin – und kann sich auch selbst behandeln, wenn Kämpfe Spuren hinterlassen haben. „Meine Selbstwahrnehmung ist dadurch viel besser geworden, ich weiß genau, was mein Körper braucht“, sagt sie. Trainiert wird zwischen den beruflichen Terminen bis zu dreimal täglich an sechs Tagen in der Woche.
Robert Wegener ist Natalie Zimmermanns Trainer, seit sie vor sieben Jahren aus Altersgründen vom Taekwondo zum Kickboxen wechselte, wo man bis zum Alter von 40 Jahren noch international hochklassig kämpfen kann. Er sagt: „Es ist ihre Zielstrebigkeit, die sie auszeichnet. Was sie sich in den Kopf setzt, zieht sie durch. Sie ist eine unglaubliche Athletin mit enormer physischer Stärke. Dazu kommt, dass sie sehr intelligent ist und dadurch einen mentalen Vorsprung auf viele Gegnerinnen hat.“ Der Coach ist überzeugt davon, „dass sie gewichtsklassenübergreifend zu den besten zehn Kickboxerinnen der Welt zählt“.
Gold ist das Ziel
In Antalya will Natalie Zimmermann, die aktuell Weltserienzweite ist und bei allen Weltcups dieser Saison platziert war, dies endlich auch mit einer Medaille unter Beweis stellen. „Für mich ist Gold das Ziel“, sagt sie. Um ihre boxerischen Fähigkeiten zu optimieren, trainiert sie seit Jahresbeginn im Universum-Gym bei Ex-Weltmeister Artur Grigorian. „Mehr geht nicht“, sagt sie. Dass ihr beim Griff nach Gold die Finnin Jenna Puurunen im Weg steht, die sie bei großen Turnieren nie bezwingen konnte, versucht sie auszublenden. „Ich weiß, dass ich sie schlagen kann. Aber da wir erst im Finale aufeinandertreffen könnten, denke ich noch nicht so weit.“
Überhaupt will sie sich über ihre sportliche Zukunft keine Gedanken machen. Zwei, drei Jahre hat sie vor, noch auf hohem Niveau zu kämpfen. Anschließend könnte sie sich vorstellen, eine elitäre Kickboxschule für das alltagsgestresste Managerpublikum aus dem Umfeld ihrer Praxis zu eröffnen. In dieser würde sie dann versuchen, integrativ zu arbeiten und die Elite mit der Kickboxklientel aus sozial schwächeren Schichten zu vereinen. „Das wäre eine tolle Aufgabe, und ich glaube, dass das Potenzial für so eine Schule riesig ist“, sagt sie.
Seit ihrer Jugend hält Natalie Zimmermann ihre Visionen und Ziele in einem Tagebuch fest. Die Lektüre dessen, was sie davon schon erreicht hat, erfüllt sie mit Stolz; insbesondere, dass ihre Eltern längst ihre größten Fans sind. Aber sie ist noch nicht am Ende der Liste angelangt. Und sie hat vor, keine Ruhe zu geben, bis das Tagebuch abgearbeitet ist.