Hamburg. Lokalmatador Artem Harutyunyan siegt beim Kampfabend des wiederbelebten Hamburger Boxstalls. Doch das ZDF verfehlt sein Ziel.

Wie erlösend er war, dieser Sieg, das konnte nur nachfühlen, wer selbst schon im Ring gestanden oder als Promoter Boxkämpfe organisiert hat. Abzulesen aber war die Erlösung im Gesicht von Ismail Özen-Otto. Kaum war der Schlussgong geschlagen zu vorgerückter Stunde am Sonntagmorgen in der „Kuppel“ in Bahrenfeld, stürzte der 38 Jahre alte Chef des von ihm wiederbelebten Hamburger Profistalls Universum durch die Ringseile, um den Mann zu herzen, der ihm und seinem Unternehmen die Hoffnung auf eine fruchtbare Existenz gerettet hatte.

Artem Harutyunyan, Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro, war mit seinem 98:92, 97:93, 95:95-Punktsieg über den Russen Islam Dumanow (27) der Held eines Abends, der dem in Deutschland seit Jahren darbenden Profiboxen zu neuer Bedeutung hatte verhelfen sollen. Erstmals nach dem Auslaufen des Exklusivvertrags mit dem von Özen-Ottos Vorvorgänger Klaus-Peter Kohl zu Weltruhm aufgerüsteten Universum vor neun Jahren war das ZDF mit Harutyunyans Kampf in die Liveberichterstattung vom Profiboxen zurückgekehrt.

Drei der vier Universum-Hauptkämpfer verlieren

Drei weitere Hauptkämpfe hatte der umtriebige Deutschkurde Özen, der dank seiner Liebe zu Janina Otto in die milliardenschwere Hamburger Unternehmerfamilie eingeheiratet hat, dem Mainzer Sender für dessen Livestream offeriert. Aber weil er sich im Gegenzug gegenüber dem ZDF verpflichten musste, Kämpfe auf Augenhöhe mit neutralem Punktgericht anzubieten, hatten alle drei Universum-Boxer ihre Duelle verloren, aus unterschiedlichen Gründen, wovon später noch die Rede sein soll. Und weil man beim ersten Date mit der neuen Flamme natürlich nicht als Komplettverlierer dastehen will, war der Druck auf Harutyunyan immens.

Wie der 29 Jahre alte Hamburger mit armenischen Wurzeln ihn meisterte, hatte Klasse. Keine Weltklasse zwar, wie Özen-Otto im Überschwang seiner Gefühle später analysierte, als er sagte, „dass Artem in meinen Augen jede Runde gewonnen hat“. Der Halbweltergewichtler (Klasse bis 63,5 kg) verlor nach der Hälfte der zehn Runden die klare Linie, mit der er den zähen Russen zunächst klassisch ausgeboxt hatte. Aber sein Sieg war verdient, und so durfte er später ausgepumpt, aber zu Recht sagen: „Ich bin an meine Grenzen gegangen, die letzten Runden waren hart. Aber ich habe gezeigt, was in mir steckt.“

Harutyunyan ist noch nicht weltklasse

Ismail Özen-Otto wäre ein schlechter Promoter, wenn er sein wichtigstes Zugpferd nicht in den Himmel gehoben hätte. Aber seine Einschätzung, „dass Artem 2020 bereit ist, um die WM zu boxen“, konnte man als neutraler Beobachter nicht teilen; zumindest nicht dann, wenn es um die Titel der bedeutenden vier Weltverbände geht. Mit Weltspitzenleuten wie dem Schotten Josh Taylor und Regis Prograis (USA), die kürzlich im Finale der Weltserie WBSS um die Muhammad-Ali-Trophy kämpften, steht Harutyunyan noch lange nicht auf einer Stufe.

Und so machte der gut organisierte, unterhaltsame Abend vor rund 2000 Besuchern in der ausverkauften Arena auf der Trabrennbahn das Dilemma deutlich, in dem Özen-Otto aktuell steckt. Außer dem technisch versierten, aber für eine in Deutschland ohnehin kaum beachtete Gewichtsklasse zu wenig schlagstarken Harutyunyan hat er keinen Boxer für Hauptkämpfe im ZDF vorzuweisen. Zwar pries er den kubanischen Supermittelgewichtler Osleys Iglesias Estrada an, der im Vorprogramm den Hamburger Rafael Bejaran mit einem schweren Kinnhaken bewusstlos geschlagen hatte – der 37-Jährige konnte zum Glück nach einem Check im Krankenhaus ohne Auffälligkeiten entlassen werden. Aber Estrada ist erst 21 Jahre alt und hat gerade zwei Profikämpfe bestritten. Ein Mann für die Zukunft ist er sicherlich, doch was zählt, ist die Gegenwart.

In dieser durfte sich das neue Universum immerhin rühmen, sein Versprechen gehalten zu haben, Kampfansetzungen auf Augenhöhe und Punktrichter aufgeboten zu haben, die keine Heimurteile sprachen. So verlor Superweltergewichtler Antonio Hoffmann (25/Worms) einen Kampf gegen Nick Klappert (36/Fürstenwalde), den er eigentlich recht deutlich gewonnen hatte. Der kroatische Schwergewichtler Agron Smakici (29) wurde von seinem kasachischen Rivalen Zhan Kossobutskij (30) in Runde eins kalt ausgeknockt und musste erkennen, dass ein Kampfrekord (15 Siege in 15 Kämpfen, 13 vorzeitig) eben doch nur Makulatur ist, wenn der neue Promoter den Realitätscheck ausruft. Und im sportlich interessantesten Duell wies der vom konkurrierenden Sauerland-Stall ausgeliehene Neu-Hamburger Leon Bauer (21) gegen den Münchner Universum-Boxer Toni Kraft (26) mit einem klaren Punktsieg nach, warum er zu den größten deutschen Hoffnungen zählt.

ZDF verfehlt Quotenziel

Wie es nun weitergeht mit der neuen Liaison, dazu gab es am Sonntag noch keine verbindlichen Hinweise. ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann wollte zunächst eine genaue Analyse vornehmen. Das mit lediglich 820.000 Zuschauern und 8,2 Prozent Marktanteil verfehlte Quotenziel, ein zweistelliger Marktanteil, dürfte kaum Anlass zu Euphorie bieten. Die Mainzer sind aber durchaus bereit, auch anderen Promotern eine Chance zu geben, sollten diese sich den Bedingungen des Senders anpassen und ohne große Alimentation sauberes, faires Boxen liefern. So besteht beim ZDF durchaus Interesse daran, die vom Berliner Marco Huck (34) ersteigerte Schwergewichts-EM gegen den Briten Joe Joyce (34) zu übertragen.

Ismail Özen-Otto will sich, ob mit oder ohne Unterstützung durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, von seinem Weg nicht abbringen lassen. Für 14. Dezember ist im Universum-Gym an der Großen Elbstraße der nächste kleine Kampfabend geplant, im Frühjahr 2020 soll Artem Harutyunyan erneut in größerem Rahmen zuschlagen. „Wir werden das deutsche Boxen wieder an die Spitze bringen, Schritt für Schritt“, sagte der Promoter. Auch in kleinen Schritten kann man Ziele erreichen.