Hamburg. Neu-Hamburger war 2015 Deutschlands jüngster Boxprofi. Nachdem die Entwicklung stagnierte, will er nun Toni Kraft besiegen.

Unter wüsten Selbstbeschimpfungen feuert Leon Bauer das Seil, über das er eben noch springen musste, durch die Crossfit-Box im Elbgym am Dammtorwall. Und seine Laune bessert sich nicht gerade, als er mitansehen muss, wie sein Athletikcoach René Clasen, 24 Jahre älter, aber nicht minder austrainiert als er, kerzengerade über das Seil schwebt und nicht ein einziges Mal hängen bleibt, um ihm zu demonstrieren, wie es richtig geht mit diesen „Double Unders“. „Ich hasse es, wenn mir etwas nicht so gelingt, wie es sein sollte“, sagt Leon Bauer, „Geduld ist wirklich nicht meine Stärke.“

Aber wen wundert das bei einem wie ihm, der im April 2015 als 16-Jähriger sein Debüt für den Berliner Sauerland-Stall gab und damit jüngster deutscher Profiboxer der Geschichte wurde. Der schon 18 Monate später Juniorenweltmeister des Weltverbands IBF im Supermittelgewicht war und dachte, die Boxwelt habe nur auf ihn gewartet, weil ihm die vielen Schulterklopfer das Gefühl gaben, unbesiegbar zu sein. Wenn es dann schon am Seilspringen scheitert, kann das nerven.

Tatsächlich jedoch ist der „Löwe aus der Pfalz“, wie der 21-Jährige angesichts seiner Herkunft aus der Ortsgemeinde Hatzenbühl im Landkreis Germersheim genannt wird, lediglich ein Perfektionist. Einer, der immer alles noch besser machen will, als es Trainer, Fans, Medien oder die Familie von ihm erwarten. „Ich bin ein charakterlicher Extremist. Bei mir ist entweder alles super oder alles scheiße, aber genauso schnell beruhige ich mich auch wieder“, sagt er, als der Puls wieder Normalwert erreicht hat.

ZDF zeigt wieder Boxen im TV

Ruhe und Besonnenheit wird der 188 Zentimeter lange Athlet auch an diesem Sonnabend brauchen. Auf dem Kampfabend des wiederbelebten Hamburger Universum-Stalls in der „Kuppel“ in Bahrenfeld trifft er auf Universum-Hoffnung Toni Kraft (26). Sportlich ist das auf der zehn Duelle umfassenden Kampfkarte die reizvollste Ansetzung.

Da Bauer aber nach einem von Verletzungen geprägten Jahr 2018 in diesem Jahr nur Achtrundenkämpfe bestreiten soll, hat sich das ZDF, das nach neun Jahren Pause seinen Wiedereinstieg in die Liveberichterstattung vom Profiboxen gibt, für Artem Harutyunyan, Olympiadritter 2016 im Halbweltergewicht, als Hauptkämpfer entschieden. Dessen Auftritt gegen den Russen Islam Dumanow wird von 0.30 Uhr an live gesendet.

Da sein Kampf jedoch von 21.30 Uhr an im Livestream auf zdf.de und als Aufzeichnung auch im TV-Hauptprogramm gezeigt wird, misst Leon Bauer ihm enorme Bedeutung zu. „Diese Plattform ist überragend. Es geht für mich darum, eine Top-Performance zu zeigen und all meine Fähigkeiten abzurufen“, sagt er. Die Chance, sich ins Blickfeld der Mainzer zu schlagen, will Bauer nutzen, auch wenn sein Promoter aktuell noch an den Spartensender Sport 1 gebunden ist und ihn an diesem Sonnabend lediglich „ausleiht“.

Boxer Bauer hat ein Abitur in der Tasche

Leon Bauer weiß, dass er die Zukunft noch vor sich hat, obwohl er seit 15 Jahren boxt und mit 21 bereits auf 17 Profikämpfe (16 Siege, ein Unentschieden) zurückschauen kann. Der Status als jüngster Profiboxer Deutschlands habe ihn sehr belastet. „Für mich war alles neu, ich habe sehr viel Lob bekommen und mir darauf etwas eingebildet“, gibt er zu. Die vergangenen Monate allerdings hätten ihn gelehrt, „dass ich auch nur mit Wasser koche. Ich bin am Anfang einer langen Reise und muss noch sehr viel lernen.“

Es habe oft Momente gegeben, in denen er alles aufgeben und etwas Neues beginnen wollte. „Aber seit ein paar Monaten hat sich das Gefühl verfestigt, dass ich das Richtige tue. Boxen ist alles für mich, es hat mir viele Werte vermittelt und gibt mir die Chance, mich selbst zu verwirklichen“, sagt er. Deshalb gebe es, obwohl er das Abitur und eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolviert hat, auch keinen Plan B. „Wenn man etwas wirklich will, muss man es zu 100 Prozent machen, sonst wird es nicht funktionieren“, sagt er.

Hamburg soll fester Standort für Bauer werden

Zu Plan A gehört, dass Leon Bauer nach Hamburg ziehen und fest hier trainieren will. Er hat mit der neuen Beratungsagentur Pyx des ehemaligen Klitschko-Managers Bernd Bönte einen Vertrag geschlossen, mit dem ehemaligen Thaiboxer Clasen einen herausragenden Fitnesscoach und mit Christian Morales einen renommierten Boxtrainer gefunden. Sich komplett aus dem familiären Umfeld zu lösen, wie es ihm manch Wegbegleiter rät, kommt jedoch nicht infrage.

Sein Vater Bernd werde weiterhin verantwortlicher Trainer bleiben. „Ohne meine Familie würde ich sofort aufhören. Es gibt zwei Menschen, die immer an meinen Weg geglaubt haben: mein Vater und ich. Und so lange das so bleibt, kann ich alles erreichen.“

Vielleicht sogar 30 „Double Under“-Seilschwünge, ohne hängen zu bleiben.