Hamburg. Zum sechsten Mal gastiert die EM der Vielseitigkeitsreiter in Luhmühlen. Wird es wieder ein deutscher Triumphzug?
Fünf Lichtmasten in der Idylle der Westergellerser Heide sind schon ausgeflaggt, der sechste wird folgen. Besucher wie Reiter werden direkt am Eingang von der Historie des Turniergeländes in Luhmühlen im Landkreis Harburg begrüßt. „EM 2011“ steht auf einem der Wimpel, die Namen der Vielseitigkeitsreiter Michael Jung, Sandra Auffahrt und Frank Ostholt sind darauf verewigt. Es ist eine Art Hall of Fame, eine Würdigung in jedem Fall – und angesichts des gut lesbaren deutschen Dreifachtriumphs eine Warnung in Richtung der Konkurrenz aus Großbritannien, Frankreich oder Schweden.
Mit der Geländeabnahme, der Verfassungsprüfung der Pferde sowie dem Einmarsch der Reiter ist am Mittwoch die Europameisterschaft in der Vielseitigkeit eröffnet worden. Zum sechsten Mal nach 1975, 1979, 1987, 1999 und 2011 (dazu WM 1982) findet von heute an der kontinentale Dreikampf aus Dressur, Geländeritt und Springen vor den Toren Hamburgs statt. Der beschauliche Ortsteil Salzhausens schließt als Rekordgastgeber zum britischen Burghley House auf. 73 Ross-und-Reiter-Paare aus 17 Nationen nehmen bis Sonntag das Vier-Sterne-Championat in Angriff. Medaillen gibt es im Einzel wie in der Mannschaft; 2011 räumten die Deutschen an selber Stelle alles ab. Ein gutes Omen?
Mensch und Tier als Einheit
„Das lässt sich in unserem Sport, wo Mensch und Tier zusammen eine Einheit bilden, schwer voraussagen“, sagt Andreas Dibowski zur Favoritenfrage. Vieles berge Unvorhersehbarkeiten, vor allem im Gelände. „Wir können uns keinen Ausfall erlauben. Aber dann können wir behaupten: Die Briten müssen uns erst einmal schlagen“, sagt der gebürtige Saseler und Mannschaftsolympiasieger von 2008, der zur finalen deutschen EM-Equipe gehört. Zwölf nationale Paare gehen an den Start, vier von ihnen bilden das Team. Angeführt von der amtierenden Europameisterin Ingrid Klimke (51/Münster), dem Doppelolympiasieger
Michael Jung (37/Horb), dem im niedersächsischen Egestorf lebenden Dibowski (53) und Nachrücker Kai Rüder (48/Blieschendorf/Fehmarn) sind die Deutschen Jäger und Gejagte in einem.
Bei den Weltreiterspielen im Vorjahr triumphierte wie bei der EM 2017 Großbritannien, bei Olympia 2016 landeten die Franzosen ganz vorne. In der Weltrangliste wird die WM-Dritte Klimke vor ihrer zehnten EM als Elfte und damit beste Deutsche geführt. „Priorität hat der Mannschaftserfolg“, sagt die Vorreiterin. Mit ihrem 15 Jahre alten Erfolgswallach Hale Bob („Wir vertrauen uns blind“) unterstrich sie im Juli allerdings auch ihre gute Einzelform, gewann beim CHIO in Aachen vor Teamkollege Jung. „Mit Michi Jung ist immer zu rechnen“, sagt Dibowski über den Goldreiter der Sommerspiele 2016 und 2012.
„Ein sehr mutiges Pferd“
Der Schwabe hat ein verlorenes Jahr 2018 hinter sich, stand zwei Jahre vor Tokio 2020 ohne tierische Unterstützung im Weltklasseformat da. Im Februar übernahm Jung mithilfe des nationalen Verbandes und seinem Sponsor den elfjährigen Chipmunk der deutschen Meisterin Julia Krajewski (30/Langenhagen). „Er hat erstmals in seinem Leben ein fertiges Pferd bekommen. Alle anderen hat er selbst gemacht“, sagt Bundestrainer Hans Melzer und warnt vor übertriebenen Erwartungen. Ross und Reiter müssten sich aneinander gewöhnen.
Nach Platz zwei in Aachen scheint dieser Prozess schneller voranzugehen als gedacht. „Er ist ein sehr mutiges Pferd, hat ein großes Herz, eine richtige Maschine im Gelände“, sagt Jung über seinen neuen Liebling, „doch das ganz große Ziel ist nächstes Jahr bei Olympia.“ Darauf sei alles ausgerichtet.
Interne Konkurrenz ist groß
„Olympia – das ist auch bei mir ein Thema, selbstverständlich“, blickt Reitstallbetreiber Dibowski voraus. 20 Jahre nach seinem Ringedebüt 2000 in Sydney lockt mit Stute Corrida „nach einer sehr, sehr guten Saison“ Tokio. Die interne Konkurrenz für den Routinier ist groß. Zumal in Japan nur noch drei statt wie bisher vier Reiter in der Vielseitigkeit an den Start gehen dürfen. Zusätzlich ist ein Ersatzpaar erlaubt. Die drei Startplätze hat die deutsche Equipe bereits sicher.
Für seine Olympia-Chance schläft der Lokalmatador auf dem EM-Gelände zwölf Autominuten von Zuhause entfernt im Lkw: „Wenn ich gependelt bin, stimmte in Lumühlen die Leistung nie.“ Zum Auftakt im Dressurviereck will er fürs Team „den Anschluss halten“, der Geländeritt am Sonnabend wartet dann „drei anspruchsvollen Wasserhindernissen“ auf. Erstmals geht es zudem in die entgegengesetzte Richtung auf die 5800 Meter. 20.000 Zuschauer werden erwartet, die Tribünensitzplätze sind ausverkauft, Stehplätze vorhanden.
Sieger der Vergangenheit wie die Britin Lucinda Green (65). Sie gewann 1975 die EM-Premiere in der Heide vor Prinzessin Anne, der Tochter der Queen. Ihre Namen grüßen am Eingang.
Zeitplan & TV: Do./Fr., jeweils 10 bis 16 Uhr, Dressurprüfung; Sa., 10 bis 15.30 Uhr, Geländeritt (14.40 – 15.30 Uhr/ARD); So., 11 bis 15 Uhr, Springen (15.47 – 16.02 Uhr/ZDF).