Antwerpen. Im EM-Halbfinale können sich die deutschen Hockeydamen auf ihre Stammtorhüterin verlassen. Die ist eine Spätberufene.
Wie hart ihr Job sein kann, beweist das Hämatom, das großflächig die Innenseite ihres linken Oberschenkels bedeckt. Man sieht es nur, wenn Julia Sonntag die Rüstung nicht trägt, die sie vor den mit bis zu 140 km/h heranfliegenden Kunststoffkugeln schützen soll. Nicht immer gelingt das, und so müssen Hockeytorhüter mit blauen Flecken leben. „Sieht schlimmer aus, als es ist. Solange beide Beine noch dran sind, geht es weiter“, sagt Julia Sonntag. Und das ist gut so, denn die Beine und Arme der Nationalkeeperin von Rot-Weiß Köln brauchen die deutschen Damen, wenn sie an diesem Freitag (20.30 Uhr) den Einzug ins Finale der EM in Belgien schaffen wollen.
Im letzten Vorrundenspiel gegen Irland war es die 27-Jährige, die in der Schlussphase mit mehreren Glanztaten das 1:1 festhielt. Im Halbfinale, das die Auswahl von Bundestrainer Xavier Reckinger mit Spanien zusammenführt, muss Julia Sonntag wieder damit rechnen, kaum beschäftigt zu werden. 3:1 Tore aus drei Gruppenpartien reichten den Spanierinnen zu sieben Punkten, sie sind als Minimalisten bekannt, die nicht viel für den Spielaufbau tun, sondern in einer Defensivfestung auf ihre Chance lauern. Im WM-Viertelfinale 2018 in London taten sie genau das in Perfektion, gewannen 1:0 und stürzten damit den Favoriten Deutschland ins Tal der Tränen.
Ein Jahr danach sitzt Julia Sonntag im Garten des Teamhotels Ter Elst und strahlt die Gelassenheit aus, mit der sie auch ihren sportlichen Abschirmdienst verrichtet. „Ich bin mir sicher, dass wir mit den Erfahrungen der vergangenen Monate besser vorbereitet sind. Wir haben theoretisch für alle Eventualitäten einen Plan. Das müssen wir zwar auch umsetzen, aber wir freuen uns alle darauf, dass wir die Chance zur Revanche bekommen“, sagt sie. Um auch gegen Gegner, die seltener die Offensive suchen, den Fokus zu halten, setze sie auf aktive Kommunikation mit ihren Vorderleuten. „So habe ich immer das Gefühl, am Spiel teilzunehmen.“
Für den Verdienstausfall kommt die Sporthilfe auf
Dass sie das als Stammkraft tut, die sich im Duell mit der Düsseldorferin Nathalie Kubalski durchgesetzt hat, gebe ihr zusätzliches Selbstvertrauen. „Der Konkurrenzkampf hat uns beide besser gemacht, aber natürlich gibt es Sicherheit, wenn der Trainer auf mich setzt“, sagt sie angesichts der Tatsache, dass viele Jahre lang im Tor der deutschen Damen bei Turnieren auch rotiert wurde. Doch dank ihrer Ruhe in Eins-gegen-eins-Duellen und der starken Kreisbeherrschung ist Julia Sonntag Reckingers erste Wahl.
Dabei ist sie eine Spätberufene. Erst bei der EM vor zwei Jahren bestritt die gebürtige Mönchengladbacherin ihr erstes Turnier mit dem A-Kader. Da hatte sie gerade ihr Studium der Zahnmedizin beendet und sich darauf eingestellt, im Beruf Fuß zu fassen. Nun jedoch verbindet sie einen Vollzeitjob als angestellte Dentistin in einer Praxis in ihrer Heimatstadt Mönchengladbach mit einer Leistungssportkarriere – und findet, „dass ich dadurch eine schöne Work-Sport-Life-Balance habe“. Den Verdienstausfall, wenn sie aufgrund der vielen Hockeytermine unbezahlten Urlaub nehmen muss, kompensiert die Sporthilfe. Und eine Zahnärztin im Team zu haben, finden auch die deutschen Hockeymädels gut, auch wenn Zahnverletzungen stark zurückgegangen sind, seit alle Spielerinnen entsprechenden Mundschutz tragen.
Zeitmanagement ist also etwas, was Julia Sonntag beherrscht. Das zeigte sich auch darin, dass sie die Pause zwischen dem Finalturnier der Pro League und der EM nutzte, um am 6. Juli kirchlich zu heiraten. Seitdem heißt sie nicht mehr Ciupka mit Nachnamen. Ihr Spitzname „Ciupi“ jedoch, der ist geblieben, und darauf besteht Julia Sonntag. „Ich finde, das ist eine schöne Erinnerung“, sagt sie. Am Freitagabend wird sie alles dafür geben, dass sich die deutschen Hockeydamen an Spiele gegen Spanien auch wieder gern zurückerinnern.