Hamburg. Dominic Thiem, beim Turnier topgesetzt, ist für den Fortbestand Hamburgs als Sandplatzturnier. Am Dienstag muss er ran.
Der Nachteil an Vorschusslorbeeren ist, dass man sich von ihnen nichts kaufen kann. Lobende Worte aus berufenem Mund können vergiftet sein, wenn sie einer Agenda folgen, um beispielsweise einen aufstrebenden Kontrahenten unter zusätzlichen Druck zu setzen. Doch weil Roger Federer und Rafael Nadal nicht nur zu den Besten gehören, die der Tennissport je gesehen hat, sondern auch menschlich über jeden Zweifel erhaben sind, darf Dominic Thiem auf die Aussagen der beiden Branchenriesen durchaus stolz sein.
In einer Dokumentation, für die der österreichische Sender Servus TV den Weltranglistenvierten über ein Jahr begleitet hat und die am 29. Juli ausgestrahlt wird, heben der Schweizer und der Spanier den 25 Jahre alten Wiener auf den Favoritenschild, um ihre Nachfolge anzutreten. „Bei ihm ist es nicht die Frage, was er verbessern muss, um die Nummer eins zu werden. Es ist einzig eine Frage der Zeit, wann er es werden wird“, sagt Nadal. „Dominic wäre eine super Nummer eins. Nicht nur sportlich, sondern auch menschlich“, sagt Federer.
Segen für seine Generation
Der sowohl sportlich als auch menschlich herausragende Österreicher sitzt am Sonntagmorgen im VIP-Bereich auf der Anlage am Rothenbaum in der Sofa-Lounge und wirkt eher wie ein Zweifelnder. Komplimente an die großen drei, zu denen neben Federer (37) und Nadal (33) auch der Serbe Novak Djokovic (32) zählt, gibt er artig zurück. Sie seien ein Segen für seine Generation, „wir können uns mit den größten Spielern aller Zeiten messen und von ihnen lernen.“ Natürlich wolle auch er als wichtiger Vertreter der „Next Generation“ versuchen, noch während der Regentschaft des Trios einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen; in Paris bei den French Open war er bei seinen Finalniederlagen 2018 und 2019 gegen Nadal schon nah dran. „Aber wir müssen wohl warten, bis sie nicht mehr spielen“, sagt er.
Thiem steht seit gut drei Jahren in den Top Ten
Er sagt es nicht wie einer, der resigniert hat, denn das würde gar nicht passen zu dem draufgängerischen Alles-oder-Nichts-Stil, mit dem Dominic Thiem viele seiner Matches zu spielen pflegt. Er sagt es mit dem nötigen Realismus, den ein gar nicht mehr ganz so junger Herausforderer wie er braucht, um an der Dominanz der Topstars nicht zu zerbrechen. Überhaupt hat Thiem gelernt, seine Rolle unterhalb des Radars zu akzeptieren. Auch wenn er seit gut drei Jahren zu den Top Ten der Weltrangliste zählt, haben ihn in der öffentlichen Wahrnehmung Spieler wie der Grieche Stefanos Tsitsipas (20/Nr. 6) oder auch Deutschlands Nummer eins Alexander Zverev (22/Nr. 5) überflügelt. Dazu passt, dass der 13-fache ATP-Turniersieger auch in dieser Woche bei seinem dritten Hamburg-Start klaglos ins zweite Glied rückt.
Als Zugpferd und Topstar war er von seinen Landsleuten Sandra und Peter-Michael Reichel, die in diesem Jahr die Turnierdirektion von Michael Stich übernommen haben, verpflichtet worden. Dann wurde in der vorvergangenen Woche Zverevs Start möglich, und seitdem leuchten die Scheinwerfer auf den verlorenen Sohn, der nach zwei Jahren Abstinenz zurückkehrt. „Für mich ist das absolut in Ordnung. Ich freue mich für das Turnier, dass mit Sascha ein zweites Zugpferd da ist. Der einzige Nachteil daran ist, dass ich jetzt noch größere Konkurrenz habe“, sagt er. Am Sonntagmittag trainierten beide gemeinsam.
Skandalfrei und höflich
Als Topgesetzter muss – und kann – Dominic Thiem mit der Favoritenrolle leben, zumal er sich auf Sand am wohlsten fühlt. Zwar hat er auf allen Belägen bereits Turniere gewonnen, sein erstes Masters in diesem März auf Hartplatz in Indian Wells (Kalifornien), sodass die Kategorisierung „Sandplatzspezialist“ in die Irre führt. Dennoch gibt er zu, „dass ich auf Sand am meisten Vertrauen in mein Spiel habe“. Von den Diskussionen darüber, auch in Hamburg von Sand- auf Hartplatz umzustellen, hält er deshalb wenig. „Sand ist schon aufs Minimum reduziert. Es wäre schade, wenn es sich noch weiter in Richtung Hartplatz entwickeln würde“, sagt er.
Aussagen wie diese sind es, mit denen Dominic Thiem sein Profil zu schärfen versteht. Er steht weiter dafür, ein skandalfreier, höflicher Profi zu sein, der seine Beziehung zur französischen Profispielerin Kristina Mladenovic (26) nicht medienwirksam ausschlachtet. Er setzt sich für den Schutz der Umwelt und der Meere ein, unterstützt entsprechende Organisationen, kämpft gegen überflüssiges Plastik auf den Tennisturnieren. Aber mit der Trennung von seinem langjährigen Trainer-Manager Günter Bresnik (58), den er zu dieser Saison durch den chilenischen Ex-Profi Nicolas Massu (39) ersetzte, hat er einen Abnabelungsprozess gestartet, der den letzten Schritt zur Weltspitze einleiten könnte. „Mein Spielwitz und meine Unberechenbarkeit sind wieder zurück“, glaubt er.
Am Dienstag gegen Cuevas
Am Rothenbaum, wo er 2014 im Achtelfinale am späteren Sieger Leonardo Mayer (32/Argentinien) scheiterte und 2018 im Viertelfinale am Chilenen Nicolas Jarry (23), muss er das zum Auftakt am Dienstag gegen Pablo Cuevas (33/Nr. 46) aus Uruguay unter Beweis stellen, der hier 2016 das Finale gegen den Slowaken Martin Klizan (30) verlor. Ein hartes Los ist das. Aber wenn Federer und Nadal recht behalten sollen, zählen solche Aufgaben in Zukunft zu seinem Pflichtprogramm.