Baku. Deutscher Ex-Nationalspieler muss nach dem 1:4-Debakel im Finale der Europa League gegen den FC Chelsea als Sündenbock herhalten.
So leer und frustriert hatte Mesut Özil nicht einmal beim WM-Aus nach der Erdogan-Affäre gewirkt. Der Weltmeister von 2014 war geschockt, entgeistert – regelrecht apathisch. Nach der 1:4 (0:0)-Pleite seines FC Arsenal im Europa-League-Finale gegen den FC Chelsea saß der deutsche Ex-Fußball-Nationalspieler minutenlang alleine und gedankenverloren auf der Ersatzbank. Die Silbermedaille riss er sich sofort wieder vom Hals. Als in der Interviewzone sein Name gerufen wurde, blickte er nicht einmal auf. Nach der Niederlage gegen den Londoner Stadtrivalen hatte Özil den Blues.
Özil korrigiert seinen Fehler nicht
Es war aber auch alles schief gelaufen an diesem Abend in Baku, der eigentlich ein Höhepunkt für Özil hätte werden sollen. Doch bei der Final-Gala von Chelsea-Star Eden Hazard bot sich der zum Statisten degradierte Özil für die für ihn zuletzt so oft reservierte Rolle des Sündenbocks regelrecht an.
Symbolträchtig war bereits eine Szene in der 57. Minute, als der ehemalige Schalker und Bremer nach einem offensiven Fehlpass beim Stand von 0:1 abwinkte und mit hängenden Schultern lieber stehen blieb als einen Gedanken daran zu verschwenden, sein eigenes Missgeschick in der Rückwärtsbewegung zu korrigieren.
Hartes Urteil der britischen Presse
Ein wieder einmal gefundenes Fressen für die zahlreichen Körpersprachen-Kritiker, für die der auf dem Feld fast unsichtbare Özil daher erst wieder im Nachspiel zum Hauptdarsteller wurde.
Vom "alten Leid" schrieb das Boulevardblatt Sun über den Spieler, "der so viel verspricht und so wenig liefert. Die einzige Überraschung war, dass Özil 77 Minuten auf dem Platz stand. Zu ihm fällt uns nichts mehr ein."
Der "Telegraph" meinte: "Dass er gegen einen 19-Jährigen ausgewechselt wurde, der seit Februar nur ein Spiel im A-Team gemacht hat, sagt alles." Und der "Mirror" urteilte: "Als es ernst wurde, tauchte er ab."
Pressestimmen zu Arsneal gegen Chelsea
Arsenal-Ikone: "Sie hatten Hazard, wir eben Özil"
Bei Özils Auswechslung waren Buhrufe deutlich zu vernehmen. Und Martin Keown bediente sich bei seinem Urteil beißenden Spotts. "Sie hatten Hazard, wir hatten eben Özil", sagte die Arsenal-Ikone.
Der einst eisenharte Verteidiger, der elf Jahre für die Gunners spielte, ergänzte als Experte bei BT Sport: "Özil ist unser größter Spieler. Aber in der Hälfte der Spiele ist er gar nicht da. Er denkt, er tut genug. Aber das tut er nicht."
Wenigstens die Hochzeit ist sicher
Und so schlich Özil um 1.53 Uhr Ortszeit mit gesenktem Kopf aus dem Stadion und steht vor der nächsten schweren Sommerpause. Privat ist derzeit alles bestens, nächste Woche ist die Hochzeit mit seiner in Baku auf der Tribüne mitfiebernden Verlobten Amine Gülse geplant.
Doch sportlich steht er vor einer ungewissen Zukunft. Arsenal will mit ihm verlängern oder ihn verkaufen. Spiele wie das am Mittwoch dürften die zweite Variante wahrscheinlicher werden lassen.
Leno und Mustafi wollen nicht reden
Auch bei den anderen beiden deutschen Gunners herrschte Frust. Shkodran Mustafi und Bernd Leno hatten 90 Minuten auf der Bank gesessen und wollten anschließend ebenfalls nicht reden.
Leno hatte im Tor Petr Cech (37) in dessen letztem Karriere-Spiel den Vortritt lassen müssen. Doch auch Cech schlich am Schluss frustriert vom Platz: Sein berühmter Helm baumelte in der rechten Hand, mit dem linken Handschuh wischte er sich eine Träne aus dem Auge.
Hazard um Längen präsenter als Özil
Der umjubelte Held aufseiten der Blues war Eden Hazard. "Hazard vernichtet Arsenal", schrieb die spanische Sportzeitung "AS". Der Bruder des von Mönchengladbach nach Dortmund wechselnden Thorgan Hazard erzielte zwei Tore (65., Foulelfmeter/72.) und bereitete das von Pedro (60.) vor. Er war mit seiner Präsenz, Agilität und Zielstrebigkeit all das, was Özil an diesem Abend nicht war.
Hazard verabschiedet sich zu Real
Doch noch auf dem Spielfeld wurde der Belgier zur Spaßbremse, als er seinen seit Monaten erwarteten Wechsel zu Real Madrid ankündigte. "Ich denke, das ist ein Goodbye", sagte Hazard, der 130 Millionen Euro kosten und mit einem Jahr Verspätung bei Real Nachfolger des zu Juventus Turin gewechselten Superstars Cristiano Ronaldo werden soll.
"Das war das perfekte Ende. Ich liebe die Fans und den Club, den ich auf ewig unterstützen werde", sagte Hazard. "Aber die Zeit für eine neue Herausforderung ist gekommen."
Mitspieler huldigen Eden Hazard
Diese könnte größer kaum sein und heißt eben: Real Madrid. "Er wird uns sehr fehlen, aber ich wünsche ihm für die Zukunft nach sieben Jahren loyaler Arbeit nur das Beste", sagte Weltmeister Olivier Giroud, der Chelsea in Führung brachte (49.).
Auch Kapitän Cesar Azpilicueta sprach von einem "großen Verlust. Ich hoffe, dass er auch dort Titel gewinnt. Es war immer sein Traum, für Real zu spielen."
Özil weiter ohne internationalen Vereinstitel
Bei den Königlichen hat Özil selbst drei Jahre gespielt, aber nie einen internationalen Vereinstitel gewonnen. Nach nun sechs Jahren bei Arsenal wartet er immer noch darauf. Chelseas Nationalspieler Antonio Rüdiger feierte dagegen am Mittwoch seinen ersten internationalen Club-Titel und wurde dabei zum Partybiest.
Spott: Verletzter Rüdiger agiler als Özil
Kaum ein Spieler war so oft im TV-Bild zu sehen wie der kürzlich am Meniskus operierte Rüdiger. Er saß auf dem Rücken eines Betreuers und reckte eine Krücke in die Luft, hüpfte auf seinen Gehhilfen über den Rasen und machte Faxen. Manch einer spottete, Rüdiger habe sich in den zehn Minuten auf dem Rasen mehr bewegt als Özil in seinen 76.