Hamburg. Claudia Bokel, Chefin des Deutschen Fechter-Bundes, über das Image dieser Sportart und die Olympischen Spiele in Deutschland.
Großes haben sie vor im Hamburger Fecht-Verband (700 Mitglieder in 14 Vereinen) im kommenden Jahr. Zum 70. Geburtstag wird am Horner Weg eine neue, barrierefreie Dreifeldhalle als Verbandshalle und Leistungszentrum eingeweiht. Im Februar ist Hamburg in Kooperation mit dem Hochschulsportverband und dem Hamburger Fecht-Verband Gastgeber für die deutschen Hochschulmeisterschaften. Verbandspräsidentin Margit Budde (65) arbeitet mit ihrem Vorstandsteam auf allen Ebenen daran, ihrem Sport zu wachsender Bedeutung zu verhelfen. Das ist auch Claudia Bokel nicht entgangen. Die 45 Jahre alte Degen-Weltmeisterin von 2001 führt seit 2016 den Deutschen Fechter-Bund (DFB) als Präsidentin. Im Abendblatt spricht sie über neue Zielgruppen für das Fechten, den Kampf um Sponsoren, die Leistungssportreform und die Bedeutung von Großereignissen für den Weltsport.
Frau Bokel, wer an Fechten denkt, verbindet Ihren Sport sofort mit Tauberbischofsheim oder Dormagen, den wichtigsten Stützpunkten. Warum ist Fechten in Großstädten wie Hamburg vergleichsweise unbedeutend?
Claudia Bokel: Dem möchte ich widersprechen. Wir haben auch Bonn und Leipzig als Bundesstützpunkte, vor der Reduzierung von sechs auf vier war zudem Berlin Bundesstützpunkt. Natürlich haben wir Millionenstädte wie München, Köln und Hamburg auf dem Radar. Aber es gilt auch noch immer der Grundsatz von Emil Beck, dem Begründer des weltberühmten Leistungszentrums in Tauberbischofsheim, der der Überzeugung war, dass sich Athleten einzig auf ihren Sport konzentrieren sollten. Wir wissen heute aber auch, dass man mit Fechten nicht reich wird und die Athleten Möglichkeiten brauchen, gute Jobs zu finden. Für uns gilt deshalb, dass wir beide Wege gehen müssen. Den in die Großstädte ebenso wie den in die kleinen Orte, in denen Fechten große Bedeutung hat. Die Gefahr, dass wir ganze Regionen wie den norddeutschen Raum verlieren, ist sonst groß.
Begeisterung für den Fechtsport
Ist es in einer Stadt wie Hamburg, die ein riesiges Sportangebot und ein ebensolches Portfolio an Kultur- und Freizeitangeboten bietet, für eine Randsportart wie Fechten überhaupt möglich, flächendeckend wahrgenommen zu werden?
Ich bin in Hamburg mal deutsche Meisterin geworden und weiß deshalb, dass es hier sehr wohl eine Begeisterung für den Fechtsport gibt. Dennoch haben Sie recht, dass die Konkurrenzsituation sehr groß ist. Deshalb braucht es enormes Engagement. Ich bin froh, dass dieses unter der Führung von Frau Budde im Hamburger Verband geleistet wird. Hamburg hat eine starke Nachwuchsarbeit und eine Reihe von Athletinnen und Athleten, die in den Ranglisten geführt werden. Hier wird tolle Arbeit geleistet, die wir im DFB sehr wohl anerkennen.
Fechten gilt als Studentensport. Da müsste in einer Universitätsstadt wie Hamburg doch ein Standing auf dem Level von Hockey oder Tennis möglich sein. Oder leiden Sie unter dem Ruch des Elitären?
Ich würde uns durchaus mit Hockey und Tennis vergleichen. Wir verstehen uns als Studierendensport, es gibt aber keinerlei Ressentiments bei uns, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten aufzunehmen. Einen Ruch des Elitären kann ich im Fechten nicht wahrnehmen.
Genauso wie im Hockey oder Tennis gibt es im Fechten wenige Sportler mit Migrationshintergrund. Gerade in einer Großstadt wie Hamburg wären diese Menschen doch eine wichtige Zielgruppe.
Das ist zweifelsohne richtig. Das Problem ist, dass Fechten in den meisten Ländern, aus denen die Menschen nach Deutschland kommen, kaum bekannt ist. Es ist dort kein Traditionssport, deshalb tun wir uns schwer, diese Menschen zu erreichen. Es ist aber ein Ziel für uns, das zu verbessern. In Hamburg gibt es beispielsweise im Eimsbütteler TV einen afghanischen Fechter, der im kommenden Jahr eine Fecht-AG für Flüchtlinge leiten wird. Das ist ein Projekt, das mir super gefällt.
Ein Inklusionssport
Eine weitere Zielgruppe versucht Hamburg mit der Einführung von Rollstuhlfechten zu erschließen. Wie stehen Sie im DFB zum Thema Inklusion?
Wir reden intensiv mit dem Behindertensport-Verband und wollen uns dafür einsetzen, in Zukunft vermehrt gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen. Ich bin überzeugt, dass Fechten ein großartiger Inklusionssport ist. Auch auf diesem Feld sehen wir gute Chancen für die Gewinnung neuer Mitglieder.
Zunächst einmal gilt es für Sie allerdings, sich auch der Entwicklung Ihrer Kernklientel zu widmen. 2008 in Peking hatte Deutschland noch zwei Olympiasieger, 2016 in Rio gab es keine einzige Medaille. Was ist passiert?
Ich glaube, dass wir in der Vergangenheit so erfolgreich waren, dass alle geglaubt haben, dass das nie abreißen könnte. Das Sprichwort, dass im Erfolg die größten Fehler gemacht werden, hat sich auch im deutschen Fechten bewahrheitet. Es wurde lange über den richtigen Weg diskutiert. Mich hat man ins Präsidentenamt gewählt, um diesen Weg nun zu ebnen.
Und wie wollen Sie das tun?
Wir haben kurzfristig mehr Trainingslehrgänge durchgeführt. Die Heim-WM 2017 in Leipzig war, obwohl es auch nur einmal Bronze gab, vielversprechend. Bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires im Oktober haben wir im Fechten die erste Medaille für Deutschland geholt. Es mangelt nicht an Talenten, aber wir brauchen Zeit. 2020 in Tokio wollen wir erste Erfolge feiern, aber das Richtdatum ist 2028, darauf ist unser Zehnjahresplan abgestellt.
Können Sie umreißen, was dieser Plan alles beinhaltet?
Nein, das möchten wir erst bei der Heim-EM im Juni 2019 tun. Dort soll das neue Konzept vorgestellt werden.
Sie haben diese EM kurzfristig mit der Region Rhein-Ruhr von Luxemburg übernommen. Warum?
Weil ich der Meinung bin, dass wir uns nicht immer darauf verlassen sollten, dass Russland einspringt, oder bei weltweiten Events China oder Katar. Es klagen viele, dass Großevents nur noch in autoritär geführten Staaten stattfinden. Wenn wir das nicht möchten, dann müssen wir bereit sein, selbst große Turniere auszurichten. Wir sind extra in die mitgliederstärkste Region gegangen, um möglichst viel Unterstützung zu bekommen. Und ich hoffe, dass die EM für das deutsche Fechten ein Zugpferd wird. Ich wünsche mir neue Begeisterung und einen Schub für unsere Strategie 2028.
Begeisterung kann meist nur entstehen, wenn die Menschen nicht nur mitbekommen, dass eine Fecht-EM ansteht, sondern auch verstehen, was da passiert. Alle vier Jahre, wenn Fechten im Fernsehen bei Olympia übertragen und von Fachleuten erläutert wird, ist spürbar, dass der Sport mitreißt. Welchen Schluss ziehen Sie daraus für die EM?
Dass wir die Digitalisierung nutzen müssen, um unseren Sport auch denen näherzubringen, die nie gefochten haben. Nur so schaffen wir eine Verbindung, die nachhaltig ist. Wir sind zudem in dieser Spirale, in der sportlicher Erfolg notwendig ist, um den Sport interessanter zu machen. Die EM bietet uns deshalb große Chancen.
Gut für die Karriere
Erfolg ist meist teuer. Sportsponsoring in Deutschland bleibt ein hartes Geschäft, weil viele Unternehmen weiterhin lieber das 40. Logo auf der Sponsorenwand beim Fußball kaufen, anstatt mit der gleichen Summe einen Randsport zu übernehmen. Wie schaffen Sie fürs Fechten Abhilfe?
Wir haben gerade jemanden eingestellt, der sich gezielt ums Sponsoring kümmern soll. Fechten bietet eine hoch attraktive Zielgruppe an jungen, gut ausgebildeten Sportlern und vielen Ehemaligen, die in großen Firmen gute Positionen innehaben. Damit und mit der Begeisterung, die Fechter für ihren Sport haben, können wir wuchern.
Kaum ein deutscher Fechter kann von seinem Sport leben, das gilt allerdings für die meisten Sportarten. Halten Sie das Festhalten am dualen System, also Leistungssport und Berufsausbildung parallel auszuüben, für zukunftsfähig, oder muss Deutschland den Sprung ins Vollprofitum wagen?
Ich glaube nicht, dass das reine Profitum in Deutschland gewollt ist. Ich habe ja auch persönlich die Erfahrung gemacht, neben dem Sport zu studieren. Mir war das immer wichtig, etwas zu haben, auf das ich mich verlassen kann, wenn es im Sport nicht funktioniert, außerdem war es mir wichtig, den Kopf zu fordern. Aber ich habe auch sehr lange studiert. Ich wünsche mir deshalb, dass die vielen Hemmnisse, die es für Leistungssportler in der Ausbildung oder im Studium noch gibt, endlich abgebaut würden. Da sind die Politik und die Unternehmen gefordert. Auf dem Feld ist noch eine Menge zu tun.
Auch der Leistungssport versucht sich gerade an einer umfassenden Reform. Man hat jedoch das Gefühl, dass diese sehr schleppend vorangeht und niemand genau weiß, was sie bewirken wird. Dabei sind es nur noch eineinhalb Jahre bis zu den nächsten Sommerspielen. Wie denken Sie darüber?
Grundsätzlich finde ich es sehr wichtig, dass sich der Sport in Deutschland überlegt, wo er steht und wo er hinmöchte. Dennoch muss unterm Strich eine Verbesserung für alle stehen, wenn die Reform Sinn ergeben soll. Da bin ich noch skeptisch. Bislang ist das alles schwer einzuschätzen.
Vor allem erscheint die Reform als ein bürokratisches Monster. Ist das zielführend oder schlicht alternativlos?
Die Umsetzung der Reform ist für einen Verband wie unseren, der weder finanziell noch personell auf Rosen gebettet ist, eine Herkulesaufgabe. Wir haben unsere Meisterschaften zu organisieren, müssen uns gleichzeitig um den Nachwuchs kümmern, Sportler beim Umzug an die Bundesstützpunkte unterstützen und dann auch noch die Daten für die vom DOSB gewünschte Potenzialanalyse erfassen. Das ist alles nicht so einfach für einen Verband, der sich aus der Talsohle herausarbeiten muss.
Weil auch die Athleten fürchten, dass sie auf der Strecke bleiben, hat sich eine neue Interessenvertretung formiert, der Verein ‚Athleten Deutschland‘. Sehen Sie als langjährige Vorsitzende der Athletenkommission im Internationalen Olympischen Komitee diese Bewegung, die ja auch das IOC sehr kritisch beäugt, skeptisch oder mit Sympathie?
Da mit Max Hartung ein Fechter an der Spitze von ‚Athleten Deutschland‘ steht, habe ich natürlich Sympathien dafür. Aber im Ernst: Das Ansinnen, Athleten eine unabhängige Stimme zu geben und ihnen bessere Beratung zu ermöglichen, halte ich für sehr wichtig. Da geht es um fundierte Hilfe, das unterstütze ich absolut. Ich selbst bin als Vorsitzende der Athletenkommission bis zu 200 Tage im Jahr um die Welt gereist, um Netzwerke zu knüpfen und Meinungen einzusammeln, damit ich einschätzen konnte, was die Athleten bewegt. Der neue Verein ist eine wichtige Verbesserung.
Sie sind aus dem IOC ausgeschieden, obwohl Sie hätten weitermachen können. Freiwillig oder frustriert?
Länger als die acht Jahre, davon vier als Vorsitzende, wie ich es gemacht habe, hält man das Pensum kaum durch. Ich würde nicht pauschal sagen, dass die Arbeit nicht wertgeschätzt oder der Athletenvertretung nicht zugehört wird. Aber die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind zum Teil doch begrenzt.
Spielte für Sie eine Rolle, dass das IOC weiterhin ein mieses Image hat? Gerade der Gigantismus Olympischer Spiele wird immer wieder angeprangert. Sie selbst haben das während Hamburgs Bewerbung um die Spiele 2024 erlebt.
Es gibt dazu ja Reformen im IOC, die Probleme sind erkannt und werden angegangen, das IOC versucht sich anzupassen. Aber in einer so vielschichtigen Organisation braucht es Zeit, bis das durchschlägt.
Warum braucht es die olympische Idee auch heute und in 50 Jahren noch? Und wann ist Deutschland wieder reif dafür, die Spiele auszurichten?
Die Bewegung und ihre Werte halte ich weiterhin für großartig. Deshalb trete ich überzeugt dafür ein, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Menschen wieder dahinterstehen. Wenn man sie fragt, wie sie zu Olympia stehen, dann ist ja kaum jemand gegen die Ideale oder den Sport an sich, es sind die Begleitumstände, die stören. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir in Deutschland Großereignisse ausrichten, aber auf unsere Art, um zu zeigen, wie wir die olympische Idee verstehen. Wir sollten im Optimalfall bei einer neuen Bewerbung für Olympia kein Referendum wie in Hamburg brauchen, weil die Bevölkerung schon vorher mitgenommen und begeistert werden muss. Wenn das gelingt, sind wir wieder reif, die Spiele auszurichten.