Hamburg. „Wie ein Stürmer in der Viererkette“: Die Olympiasiegerin gibt nach neun Monaten Wettkampfpause ein ungewöhnliches Comeback.
Es sind manchmal nur ein, zwei knappe Worte, die mehr verraten als hundert wohlformulierte Sätze. „Gut“ gehe es ihr, „sehr gut sogar“, sagt Kira Walkenhorst (27), und sie sagt es mit einer Kraft und Überzeugung in der Stimme, dass ihr Statement einem ärztlichen Bulletin gleichkommt.
Der Gesundheits- und Gemütszustand der Beachvolleyball-Olympiasiegerin (2016) und -Weltmeisterin (2017) ist derzeit das Topthema der Szene, schließlich geht an diesem Sonnabend ihre Leidenszeit nun auch offiziell zu Ende. Mit der Neu-Hamburgerin Leonie Körtzinger (21) schlägt die gebürtige Essenerin zum Auftakt der deutschen Beachtour in Münster erstmals nach mehr als neun Monaten Spielpause wieder bei einem Wettkampf auf. Walkenhorsts Stammpartnerin Laura Ludwig (32) sieht in Hamburg-Uhlenhorst Mutterfreuden entgegen. Stichtag für die Geburt ihres Sohnes ist der 23. Juni.
Ludwig/Walkenhorst, Deutschlands Mannschaft der Jahre 2016 und 2017, waren die Titelverteidigerinnen in Münster. Vergangenes Jahr gewannen sie ein episches Finale gegen die Weltranglistenzweiten Chantal Laboureur/Julia Sude (Stuttgart/Friedrichshafen) mit 2:1 Sätzen. Ludwig befand sich im Mai 2017 nach einer Operation im Dezember 2016 an der Supraspinatussehne am rechten Oberarm noch im fortgeschrittenen Rehamodus, schlug die Bälle beim Service von unten auf und im Angriff meist mit links zu.
Wechsel vom Block in die Abwehr
Auch Walkenhorst wird dieses Jahr auf dem Schlossplatz Ungewohntes bieten. Sie wechselt vom Block in die Abwehr, von vorn am Netz nach hinten in den Sand, sie wird weniger springen und mehr hechten. „Ich wollte mal was anderes machen, neue Eindrücke gewinnen, eine andere Perspektive entwickeln, vielseitiger werden“, sagt sie.
Walkenhost galt bisher als beste Blockerin auf der weltweiten Beachvolleyball-Tour. TV-Experte Julius Brink, Olympiasieger 2012, begrüßt dennoch ihren Rollentausch: „Das ist so, als würde man beim Fußball einen Stürmer in die Viererabwehrkette stellen. Dann weiß der zwar immer noch, wie man den Ball schießt und köpft, es ist aber eine ganz andere Sichtweise auf das Spiel, ein ganz anderes Anforderungsprofil.“
Nach einer Hüftoperation Anfang Dezember 2017 und einer Schulteroperation Ende Januar 2018, es waren die chirurgischen Eingriffe acht und neun in ihrer Karriere, soll Walkenhorst („Es ging mir danach richtig schlecht, so schlecht wie nie zuvor“) dieses Jahr „in erster Linie körperliche Substanz aufbauen“, sagt Chef- und Erfolgstrainer Jürgen Wagner (62/Moers).
Fernziel: WM 2019 in Hamburg
Ziel sei eine „perfekte Vorbereitung“ auf die Jahre 2019 und 2020, wenn Ludwig zurückkehrt und das HSV-Duo im Juli 2019 am Hamburger Rothenbaum seinen Weltmeistertitel verteidigen und im August 2020 in Tokio den Olympiasieg von Rio wiederholen will. In dieser Saison sind für Walkenhorst ein paar Wettkämpfe auf der deutschen Tour geplant, auch um diese aufzuwerten, wie Wagner sagt, und um neue Reize zu setzen. Körtzinger sei dafür die ideale Partnerin.
In Münster, warnt Wagner, „dürfen wir keine Wunderdinge von beiden erwarten. Das Teilnehmerfeld ist brutal stark, Leonie und Kira haben in der vergangenen Woche das erste Mal zusammen trainiert, und Kira ist zwar auf einem guten Weg, aber natürlich noch nicht annähernd in einer Topverfassung. Wir bauen sie mit viel Geduld ganz behutsam auf.“ Und bei aller bekannten Leidensfähigkeit und Willensstärke wisse Walkenhorst inzwischen auch, ihren Ehrgeiz zu zügeln. „Sie ist zu einer erfahrenen Spielerin, einer großen Persönlichkeit gereift“, sagt Wagner.
Partnerin könnte Nachfolgerin werden
Die gebürtige Kielerin Körtzinger wiederum, die inzwischen auch für den HSV aufschlägt, wurde in dieser Woche am Hamburger Beachvolleyball-Bundesstützpunkt gerade für den Perspektivkader 2024 (Olympia in Paris) gesichtet. Mit 1,89 Meter ist sie fünf Zentimeter größer als Walkenhorst, könnte einmal deren Nachfolgerin werden. „Sie ist eines der größten Talente, die wir in Deutschland derzeit haben“, sagt Beachvolleyball-Sportdirektor Niclas Hildebrand.
Psychologiestudentin Körtzinger selbst sieht die Chance, „an der Seite von Kira viel zu lernen, sowohl spielerisch als auch menschlich“. Eigentlich sollte sie diese Saison mit Europameisterin Julia Großner (30) antreten, doch die beendete im April überraschend ihre Karriere. Mit der Hamburgerin Anika Krebs (24) tourt Körtzinger nun international, weil Walkenhorst die großen Turniere meidet – meiden muss, um fürs nächste Jahr keine Weltranglistenpunkte zu verlieren, die Startplätze in den Hauptfeldern garantieren. Die sind wegen Ludwigs Schwangerschaft momentan eingefroren.
Den Einstieg in die Olympiaqualifikation für 2020, die am 1. September beginnt, werden Ludwig/Walkenhorst verpassen. Die besten zwölf Turnierresultate bis zum 14. Juni 2020 kommen in die Wertung. Finden beide zu ihrer alten Form, „sollten sie bei ihrer spielerischen Klasse und Erfahrung problemlos das Tokio-Ticket lösen“, sagt Hildebrand. „Und dann können sie 2020 auch wieder um Medaillen spielen.“