Hamburg. Die Springreitstars Janne Friederike Meyer und Achaz von Buchwaldt analysieren den 1230 Meter langen Parcours.
Die weltweit berüchtigtsten 1230 Meter des Springreitens werden auch an diesem Sonntag wieder viele Tausend Pferdesportfans in ihren Bann ziehen. Wenn um 14.20 Uhr (NDR live) das 89. Deutsche Springderby gestartet wird, sind auf dem Derbyplatz in Klein Flottbek die 17 Hindernisse mit 24 Sprüngen zu überwinden, die es in dieser Form seit 1920 gibt. Der Parcours, den der Hamburger Kaufmann und Springreiter Eduard F. Pulvermann (verstorben 1944) damals entwarf, gilt bis heute als härteste Prüfung der Welt. Aber was macht ihn so besonders? Wo liegen die Tücken für Reiter und Pferd?
Janne Friederike Meyer (37), die seit ihrer Hochzeit den Doppelnamen Meyer-Zimmermann trägt, 2001 zum ersten Mal im Derby ritt und in diesem Jahr als Favoritin ins Rennen geht, sowie Reitmeister Achaz von Buchwaldt (73), der 1967 das erste Mal platziert war, 1982 und 1996 siegte und 2002 Abschied nahm, nehmen die Abendblatt-Leser mit über den Kurs und erläutern ihre Sicht auf die Schwierigkeiten.
Vor dem Start: Das Derby beginnt mit dem Aufwärmen auf dem Abreiteplatz oder im lockeren Trab auf dem Gelände. „Das Pferd muss entspannt starten, deshalb mache ich vorher nicht viele Sprünge, weil die Kraft später benötigt wird“, sagt Meyer. Sie selbst könne gut alles andere ausblenden, sofern ihre Ausrüstung perfekt sitzt. Kein Gurt darf schief sein. „Da bin ich abergläubisch, das mag ich gar nicht.“ Anna, ihr aktuelles Derbypferd, sei dagegen sehr sensibel. „Da muss ich aufpassen, dass ich sie nicht unnötig aufschrecke.
Hindernis 1, Rick: „Grundsätzlich ein einfacher Sprung“, sagt Achaz von Buchwaldt. Problematisch sei, dass das Holzgestänge hinter dem Großen Wall schwer einsehbar ist. „Ich versuche, im Anlauf deshalb weit auszuholen, damit das Pferd das Hindernis lange sieht. Ansonsten ist schon dort die Gefahr eines Flüchtigkeitsfehlers hoch“, sagt Meyer.
Hindernis 2, Doppelrick: Luftige Hindernisse, die nur aus dünnen Holzbalken bestehen, sind für Pferde grundsätzlich schwieriger zu taxieren. Der Sprung über die 1,42 und 1,45 Meter hohen Latten ist technisch nicht besonders anspruchsvoll. Die Tücke liegt in der langen Anreitedistanz. „Manche mögen das nicht, weil zu Beginn des Parcours der Rhythmus noch nicht stimmt. Außerdem ist es sehr nah am Publikum, was sensible Tiere wie Anna stören kann“, sagt Meyer. Buchwaldt schätzt die lange Distanz, „dort kann man einen guten Vorwärtsrhythmus finden, ohne zu überpacen. Gleichmaß ist das Stichwort, das braucht es, um optimal durch den Parcours zu kommen.“
Hindernis 3, Irische Wälle: Das Auf- und Abspringen auf die Grashügel erfordert viel Kraft von den Pferden. Zusätzliche Ablenkung gibt es dadurch, dass der Einritt in unmittelbarer Nähe liegt. „Manche Pferde beunruhigt das“, sagt Buchwaldt. Entsprechend entschlossen müsse man reiten, auch um den Rhythmus nicht zu unterbrechen. Grundsätzlich sei ein solches Hindernis naturnah, müsse aber in der Vorbereitung besonders trainiert werden, weil es in keinem anderen Turnierparcours vorkomme. „Der gesamte Kurs verlangt sehr gute Kondition und Konzentration, dieses Hindernis besonders“, sagt Meyer.
Hindernis 4, Wassergraben: Pferde, die Angst vor dem Element Wasser haben, sollte man im Derby grundsätzlich nicht an den Start bringen. „Das findet man im Training heraus“, sagt Meyer. Dadurch, dass vor dem 3,80 Meter breiten Graben kein Hindernis steht, haben die Pferde freien Blick auf das Wasser, was einige zusätzlich irritiert. „Tückisch ist, dass es keine Absprunghilfe gibt. Man muss den Absprungpunkt selber finden“, sagt Buchwaldt. Es gelte, nach den Wällen hohes Tempo aufzubauen, um den weiten Sprung zu meistern.
Hindernis 5, Palisade: Nach einem Weitsprung ein hoher Steilsprung, das ist klassischer Parcoursbau. 1,65 Meter Höhe stellen für die Pferde zwar keine besondere Herausforderung dar, dennoch ist technisches Reiten gefragt. „Man braucht Tempo, muss es aber regulieren, um den Rhythmus nicht zu stören und die schnelle Umstellung von Weite auf Höhe zu schaffen“, sagt Meyer. Buchwaldt hält es für positiv, dass die Anreitedistanz relativ lang ist. „Man hat Zeit genug, um das Pferd nach dem Wassergraben wieder zu stabilisieren.“
Hindernis 6, Großer Wall: Unzweifelhaft eins der beiden bekanntesten Hindernisse, drei Meter hoch und mit einem 1,15 Meter hohen Sprung obenauf, kurz vor der Kante. Für viele Pferde ist hier Endstation. Janne Meyer erlebte hier 2005 auf Callistro ihren einzigen Sturz beim Derby, von Buchwaldt stürzte nie. „Schon der Sprung auf dem Wall ist nicht ganz ohne, weil viele Pferde es nicht gewohnt sind, in der Höhe zu springen“, sagt er. Meyer versucht, ihr Pferd vor dem Wall frei galoppieren zu lassen, um dann in moderatem Tempo kontrolliert aufzuspringen und die erste Hürde zu nehmen. „Vor der Kante darf man nicht komplett abbremsen, um dem Pferd nicht die Chance zu geben, zu viel zu gucken. Es muss im Fluss bleiben“, sagt sie. Aus dem langsamen Schritt müsse man, sagen beide, den Wall zwei Drittel hinabrutschen, um dann rechtzeitig den Absprung für das nächste Hindernis zu schaffen.
Hindernis 7, Planke: Da nach dem Absprung vom Wall nur ein Galoppsprung Platz bleibt, um das 1,65 Meter hohe Hindernis zu überqueren, ist die Planke die Hauptfehlerquelle des Derbys. „Der Grundstein wird auf dem Wall gelegt. Wenn man das ausreichend trainiert, kann das Pferd damit umgehen. Aber es erfordert Mut und Vertrauen zueinander“, sagt Meyer. Auch Buchwaldt sieht in der Planke „eine besondere Mutprobe, die enorme Präzision erfordert“.
Hindernis 8, Trakehner Graben: Das Wasser liegt im toten Winkel hinter den 1,48 Meter hohen Stangen und ist deshalb schwer einsehbar. „Die Pferde sehen das Wasser spät und neigen dazu, das obere Hindernis auszublenden. Das macht es tückisch“, sagt Meyer. Für Buchwaldt ist das größte Problem der Konzentrationsabfall nach Wall und Planke. „Wer da nachlässt, läuft Gefahr, am Trakehner Graben zu scheitern.“
Hindernis 9, Tor: Das sensibelste Hindernis im Parcours fällt bei der leichtesten Berührung. Außerdem liegt es in der Nähe des Einritts. „Hier muss man das Pferd klar führen, sehr präzise anreiten und sehr sauber springen“, sagt Meyer. „Ich habe dort oft meinen einzigen Fehler gemacht, weil die Konzentration nicht ausreichte“, sagt Buchwaldt.
Hindernis 10, Birkenoxer: Das am mächtigsten wirkende Hindernis, 1,53 Meter hoch, stellt technisch keine großen Anforderungen. „Mit dem nötigen Tempo und der richtigen Distanz springen es die meisten Pferde gut“, sagt Meyer. Buchwaldt hat erlebt, dass „junge Pferde manchmal Probleme haben, weil die Masse ihnen Respekt einflößt“.
Hindernis 11, Buschoxer: Nach einer langen Wende folgt eine fiese Tücke. „Den Buschoxer finde ich besonders schwer“, sagt Meyer. Durch die hochgewachsenen Büsche ähnelt das Hindernis dem Irischen Wall, sodass Pferde denken, sie müssten aufspringen. Man müsse also viel Schwung geben, um die Weite zu schaffen, aber nicht zu viel, um auch die Höhe zu meistern. „Da heißt es sehr genau hinzureiten und die Distanz präzise einzuschätzen“, sagt Buchwaldt.
Hindernis 12, Eisenbahnschranken: Mit nur einer Stange ist dieser Doppelsprung schlecht zu taxieren. „Durch den engen Abstand haben große Pferde wie Anna hier oft Probleme, denn es ist nur ein Galoppsprung Platz“, sagt Meyer.
Hindernis 13, Koppelgatter: Vergleichbar mit Nummer 9. „Hier geht es darum, konzentriert zu bleiben“, sagt Buchwaldt. Meyer sagt: „Das Pferd darf nicht schon auf Pulvermanns Grab schauen, sonst drohen Flüchtigkeitsfehler.“
Hindernis 14, Pulvermanns Grab: Mit dem Wall das berühmteste Hindernis, benannt nach dem Parcoursbauer. „Die Pferde werden im Absprung abgelenkt, weil es hinter der ersten Planke nach unten geht. Nur der passende Einsprung sichert, dass man den Graben schafft. Das erfordert höchst präzises Reiten“, sagt Meyer. Den Steilsprung aus dem Graben über das zweite Hindernis gelte es ausreichend zu trainieren. „So ein Hindernis gibt es sonst nirgendwo auf der Welt“, sagt Buchwaldt.
Hindernis 15, Feldsteinmauer: Mit 1,67 Metern das höchste Hindernis. „Hier ist viel Kraftaufwand nötig, aber da es gut einsehbar ist, springen es die meisten Pferde gut“, sagt Meyer.
Hindernis 16, Holsteiner Wegesprünge: Kleinere Pferde haben mit den 13,20 Metern Abstand zwischen den Sprüngen oft Probleme. „Außerdem ist es ein luftiges Hindernis mit Graben hinterm ersten und vorm zweiten Sprung. Da gucken Pferde viel und sind abgelenkt“, sagt Buchwaldt. Hier sei höchste Präzision gefragt, sagt Meyer: „Man braucht Weite und Höhe, entsprechend muss man Tempo und Rhythmus steuern.“
Hindernis 17, Ziegelmauer: Hier gilt es zu entscheiden, ob man links oder rechts springt. Wer nach der Wende von den Wegesprüngen zu viel Tempo hat, geht rechts. Wer Distanz sparen will, versucht es links. Hier sind sich beide einig: „Ein technisch leichter Sprung zum Abschluss, aber nur, wenn Kraft und Konzentration noch ausreichen.“
Fazit: Dass das Derby als härteste Springprüfung der Welt gilt, ist der Länge und Vielschichtigkeit des Parcours geschuldet. Dass letztmals 1975 eine Frau gewann, habe übrigens nichts damit zu tun, dass der Reiter besonders viel Kraft braucht. „Technik ist wichtiger“, sagen beide. Entscheidend sei der Mut, sich die Tücken des Parcours zuzutrauen. Und da hätten Männer, was die Teilnehmerzahlen unterstreichen, einen deutlichen Vorsprung. Die männliche Dominanz in diesem Jahr zu brechen, das ist Janne Friederike Meyers Aufgabe. Achaz von Buchwaldt traut es ihr zu.