Hamburg. Bent Angelo Jensen ist mit seiner Marke Herr von Eden ein angesagter Herrenschneider – und ein Fan des SC Victoria.

Bent Angelo Jensen wurde 1977 in Sønderborg (Dänemark) geboren und ist in Flensburg (Schleswig-Holstein) aufgewachsen. 1998 gründete er im Karolinenviertel sein Modelabel. Nach einem Insolvenzantrag 2013 strukturierte er das Unternehmen 2014 um und führt jetzt Geschäfte in Hamburg, Berlin und Köln.

Herr Jensen, bei Heimspielen des SC Victoria in der Oberliga Hamburg fallen Sie als lautstarker Fan auf. Was treibt einen – um es einmal salopp zu formulieren – „Mode-Dandy“ zum Proletensport Fußball?


Bent Angelo Jensen: Ja, wir grölen manchmal ein bisschen rum … Mein Geschäftsführer Florian Töbe, von mir Flo genannt, ist seit fast 20 Jahren mein bester Freund. Er ist durch und durch Fußballfan und hat bei mir das Tretsport-Feuer erneut entfacht.

Das heißt, Sie hatten schon früher Kontakt zum Fußball?

Jensen: Weil mein Vater sehr früh gestorben ist, bin ich ab dem vierten Lebensjahr in einer Pflegefamilie in Flensburg aufgewachsen. Peter Huff, mein Pflegevater, kickte ambitioniert in der Altliga der DGF Flensborg. Ich durfte also jedem Heim- und Auswärtsspiel in der Kreisliga Schleswig-Flensburg beiwohnen.

Lassen Sie uns an Erinnerungen teilhaben.

Jensen: Es fing mit der Fahrt im klapprigen VW Golf Diesel an. Danach saß ich auf der Umkleidebank zwischen 30 Männerbeinen. Ich beobachtete die einzelnen Charaktere des Teams über Jahre. Hier hat es begonnen: Willy, Theo, Peter – und wie sie damals alle hießen. Nach dem Spiel das Gleiche: ab in die Kabine und hören, was es zu debattieren gab. Danach gab’s Pommes!

Haben Sie auch selbst gespielt?

Jensen: Ich begann in der E-Jugend als Moppel-Teenager beim IF Stjernen Flensborg ...

Sie sind in Dänemark geboren ...

Jensen: ... und in Flensburg aufgewachsen. Jedenfalls habe ich als Libero die Bälle von hinten nach vorne rausgehauen. Ich hatte einen strammen Schuss, aber leider auch Torschusspanik. Das hat sich bis aufs Berufsleben übertragen. Ich bringe die Dinge einfach nicht zu Ende.

Das heißt, Ihre Karriere war nur kurz?

Jensen: In der Pubertät waren natürlich Mädchen und Motorroller wichtiger. Mit 14 Jahren ist zudem meine Leidenschaft für die Mode entflammt. Danach war das mit dem Fußball endgültig gegessen. Der war nicht mehr cool genug.

Wie kam es zum Rückfall?

Jensen: Durch Flo, der als Karlsruher bekennender KSC-Anhänger ist. Zunächst nur im Fernsehen, Bier dazu, schlaue Sprüche gekloppt. Irgendwann habe ich ihn zu einem Spiel beim SC Victoria begleitet. Und als ich meine erste Begegnung mit Wurst und Bier in der Hand und den ersten Pressschlag zweier Kicker live an der Hoheluft erlebt hatte, war die Welt für mich wieder in Ordnung.

Hat diese Begeisterung Zukunft?

Jensen: Ich bin zwar noch kein Vereinsmitglied, aber da entwickelt sich etwas. Flo und ich haben nach der „Herr von Eden“-Insolvenz 2013 das Unternehmen wieder auf Vordermann gebracht. Wenn hier alles so gut weiterläuft, dann könnten wir uns gut vorstellen, Victoria auch noch auf irgendeine andere Art als nur mit Anfeuerungen zu pushen.

Woran denken Sie?

Jensen: Bandenwerbung zum Beispiel. Mal sehen, was sich sportlich tut, jetzt, wo Goalgetter Ebbers ...

... der ehemalige St.-Pauli-Profi ...

Jensen: ... seit also Marius Ebbers vom Aktiven auf dem Rasen zum Assistenten auf der Bank mutiert ist. Die Jungs mit von uns entworfenen flotten Trikotsätzen auszustatten, darauf hätten wir selbstverständlich totalen Bock.

Warum Victoria und nicht St. Pauli?

Jensen: Ich weiß, dass es ungewöhnlich ist, dass ein Ladenbesitzer aus dem Karolinenviertel nicht zum FC St. Pauli geht. Aber uns ist dort alles ein wenig zu viel und zu groß. Und wir haben am Millerntor auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Mit meinen langen und angemalten Fingernägeln wurde ich dort angepampt. Außerdem empfinde ich das Ganze als emotional vorprogrammiertes Ding.

Wie meinen Sie das?

Jensen: Bei jeder Partie ist es die gleiche emotionale Rutsche – egal, ob Sieg oder Niederlage. Dazu wird schlechtes Bier verkauft, und als Stehplatzbesucher musst du mindestens eine Stunde vorher da sein. Wir haben im Millerntor-Stadion von der Loge über den Gästebereich bis hin zu den Stehplatzbereichen als Besucher alles durch, sodass wir aus Überzeugung sagen können, dass wir lieber einen kleinen Verein unterstützen wollen. Außerdem ist Victoria authentischer.

Erklären Sie ...

Jensen: Wenn du alles direkt hörst und spürst – Spielerdialoge, Trainerkommentare, Zweikämpfe – und auch mitbekommst, wie anstrengend das Ganze ist, weil du direkt am Spielfeldrand stehst, dann ist das ein ganz anderer Schnack als in diesen Riesenarenen. Außerdem: St.-Pauli-Fans gibt es genug, da freut sich so ein kleiner Verein umso mehr über neue Zuschauer.

Jensen: Ist der Sportplatzbesuch bei unterklassigen Spielen auch ein Stück des Versteckens in der Anonymität für Sie als –

ich nenne es mal – „Halb-Promi“?

Jensen: Ganz genau! Bei Vicki kann ich rumgrölen, mich kaputtlachen über dieselbe CD, die da jedes Mal läuft. Niemanden interessiert, ob ich Modemacher oder was auch immer bin; im Victoria-Stadion bin ich Fußballfan wie jeder andere Zuschauer in dem Moment auch. Außerdem gibt es dieses tolle Fanzine, das „Kaosflyer“ heißt und seit 2011 von der Ultragruppe „Nordkaos Hamburg“ herausgegeben wird. Das kaufen wir uns natürlich jedes Mal.

Haben Sie über den Fanmagazin-Kauf hinausgehend in irgendeiner Weise Kontakt zu dieser antifaschistischen Gruppierung?

Jensen: Flo ist bei denen mittlerweile anerkannt, bei mir baut sich das gerade auf. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich meinen Blick vom Spielfeld nach rechts auf die westlichen Stehränge zum vielleicht zehnköpfigen und singenden Ul­trablock schwenke. Das gibt mir Kraft. Das ist meine Mannschaft, mit denen kann ich in den Krieg ziehen, Alter!

Sie sind in Dänemark geboren, Ihr Vater ist Däne, Ihre Mutter Italienerin, Ihr Pflegevater Deutscher. Wie halten Sie es mit dem Daumendrücken?

Jensen: Ich habe grundsätzliche Freude an vielem, was aus Italien kommt. Angefangen bei der Mode, übers Essen bis hin zum Fußball. Die dortige Serie A oder die Länderspiele aber verfolge ich nur beiläufig. Und was die Dänen betrifft, die unterstütze ich immer. Egal in welchem Sport.

Und die Deutschen?

Jensen: Klar fiebere ich mit der deutschen Nationalmannschaft mit – wenn es nicht gerade gegen die Dänen geht. Und ich habe auch einen Lieblingsspieler, Thomas Müller. Wenn der nicht aufgestellt ist, kann ich schon grantig werden. Aus meiner Sicht ist er menschlich gesehen ein Spitzentyp.

Haben Sie bei Niederlagen schlechte Laune?

Jensen: Ich bin noch nie zum Fußball gegangen und habe mich danach schlechter gefühlt. Im Gegenteil.

Auch nicht angesichts schlecht sitzender Trikots?

Jensen: Ich habe schon mal für eine Hamburger Boulevardzeitung Trikots bewertet. Das war anlässlich der WM 2014. Aber ehrlich gesagt: So viel kannst du mit einem Sport-Shirt nicht machen. Darum möchte ich in diesem Zusammenhang auch nicht von Mode sprechen. Insgesamt gefällt mir heutzutage aber das Variable beim Fußballer-Outfit.

Die Fußballer selbst sind aber topmodisch?

Jensen: Das stimmt. Teilweise schmerzt allerdings dieses Gockelgehabe, dieser Wettkampf, wer hat den krassesten Undercut des Planeten. Die gehen tatsächlich direkt vor dem Spiel zum Friseur – sag mal, geht’s noch! Zwar haben Fußballer schon immer lustige Frisuren gehabt, es gibt legendäre Bücher darüber mit noch legendäreren Frisuren der 60er-, 70er- und 80er-Jahre, aber sie hatten niemals diese Attitüde, mit der sie heute auftreten.

Was raten Sie?

Jensen: Eine modische Typberatung. Aber ich befürchte, die meisten sind beratungsresistent. Das erlebe ich in meinem Laden teilweise auch.

Sie haben prominente Kunden: Udo Lindenberg, Jan Delay, Rocko Schamoni und Bela B kleiden sich bei Ihnen ein. Auch Fußballspieler?

Jensen: Ja, Max Kruse, der jetzt bei Werder Bremen spielt. Und für Lukas Podolski habe ich den Hochzeitsanzug gemacht.

Was ist mit den Fans und ihrer Kleidung? Sie sind schon in sehr schickem Outfit bei Victoria gesehen worden.

Jensen: Ich ziehe mich doch für Fußball nicht extra anders an. Klar, einen Vereinsschal binde ich mir um, und manchmal schmeiße ich mich auch in die Bomberjacke, auf der die ganzen gelb-blauen Sticker platziert sind. Aber normalerweise ziehe ich an, worauf ich Lust habe – das kann dann auch mal ein Anzug beim Punkkonzert sein. Aber genau deshalb gehe ich ja nicht zu St. Pauli oder Altona 93, weil dort diese Uniformierung mit dem jeweils scheißgleichen Pullover herrscht. Deswegen gehe ich zu Victoria; da kann ich nämlich ganz ich sein, und alle freuen sich, dass auch Florian und Bent dort stehen und die Mannschaft anfeuern.