Längenfeld. HSV-Neuzugang André Hahn über die Irrungen und Wirrungen seiner Profilaufbahn und die Ballfertigkeiten seines 18 Monate alten Sohnes.
Mit einem Lächeln im Gesicht kommt André Hahn zum Interview mit dem Abendblatt im Aqua Dome. Das liegt weniger an dem Medientermin als vielmehr an seinem kleinen Sohn Julien und seiner Frau Ragna, mit denen er gerade telefoniert hat. Seine Familie hat sein Leben komplett verändert. Und auch der André Hahn, der vor sieben Jahren beim HSV aussortiert wurde, hat sich gewandelt. Der 26-Jährige ist erwachsen geworden.
Herr Hahn, „Herzlich willkommen in Hamburg“ haben Sie vor einer Woche gesagt, als Ihnen nach dem Kiel-Spiel (3:5) eine Frage nicht gefiel. Ist das mediale Umfeld hier wirklich anders als etwa in Mönchengladbach?
André Hahn: Ich lese keine Zeitung, aber das Medienaufkommen ist hier deutlich größer. Das meine ich nicht negativ, aber ich hatte von außen stets das Gefühl, dass in Hamburg nur negative Schlagzeilen interessieren. Zugegeben, viel Positives gab es hier in den vergangenen Jahren auch nicht zu berichten.
Viele Spieler, die zum HSV kommen, sprechen von der hohen Erwartungshaltung. Empfinden Sie das auch?
Ich habe bislang nicht das Gefühl, dass hier großer Druck oder eine große Erwartungshaltung herrschen. Ich habe meine eigenen Erwartungen. Natürlich war es in den vergangenen Jahren schwer für die Spieler, da es häufig um die Existenz des Clubs ging. Es ist normal, dass Spieler dann Zeit brauchen, um in diesem Umfeld frei aufspielen zu können. Mein Vorteil ist, dass ich den HSV und die Stadt ein bisschen kenne.
Warum hat es im ersten Anlauf beim HSV nicht geklappt?
Der damalige Nachwuchscoach Karsten Bäron hatte mich zu einem HSV-Testspiel eingeladen, als ich noch in Cuxhaven war. Ich wechselte und spielte als A-Jugendlicher in der U23. Dann wurde Rodolfo Cardoso mein Trainer. Ich sollte bleiben, dann hieß es irgendwann, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Das war ein Schlag für mich. Ich hatte mich ja um nichts anderes gekümmert. Die Kaderplanungen bei den anderen Clubs waren größtenteils abgeschlossen. Im Nachhinein aber war die Absage das Beste, was mir passieren konnte.
Sie sind dann in die Fünfte Liga nach Oberneuland gegangen. War Ihr Traum vom Profifußball ausgeträumt?
Er war zu diesem Zeitpunkt zumindest sehr weit weg. In Oberneuland gab es dann Unruhe im Verein, da kein Geld mehr gezahlt wurde. Es lief auch nicht gut für mich. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet, nach der Winterpause bei meinem Vater im Versicherungsbüro zu arbeiten und Fußball nur noch als Hobby zu betreiben. Nachdem ich dem Verein gekündigt hatte, lief es besser. Mein Trainer Mike Barten hat mir weiter vertraut. Auf einmal habe ich viele Tore geschossen. So wurde die TuS Koblenz auf mich aufmerksam, plötzlich war ich in der Dritten Liga. Mein Traum vom Profifußball lebte wieder.
Drei Jahre später wurden Sie in Augsburg Nationalspieler ...
Das war der Wahnsinn! Hansi Flick hatte mich damals angerufen. Die Nationalmannschaft ist eine andere Welt, eine unfassbare Erfahrung. Wenn du zum Stadion fährst und die Fans im Deutschlandtrikot siehst, dann sitzt du im Bus und denkst, jetzt ist gerade das ganze Land hinter dir. Das Gefühl ist einmalig.
Sie haben mit Mönchengladbach auch in der Champions League in Barcelona ge-spielt. Ist das Gefühl vergleichbar?
Im Camp Nou neben Lionel Messi und Neymar einzulaufen, ist genauso geil. Auch wenn man es schwer vergleichen kann. Du stehst im Spielertunnel, Messi geht an dir vorbei, du realisierst, das ist wirklich Messi. Im Spiel kippt der Schalter aber um, dann bist du nur darauf fokussiert, Messi den Ball abzunehmen.
Hat es geklappt?
Nein (lacht).
Nach Ihrem ersten Länderspiel 2014 in Hamburg gegen Polen strich Sie Joachim Löw aus dem WM-Kader für Brasilien. Hat er es Ihnen selbst gesagt?
Noch am selben Abend. Er hat es mir im Hotel mitgeteilt und das plausibel erklärt. Vom größten Hoch ging es direkt ins Tief. Aber ich bin schnell wieder aufgestanden. Ich gehörte zu den besten 25 deutschen Spieler in dem Jahr, zum erweiterten Kreis der Weltmeister. Wenn man meinen Werdegang sieht, ist das unglaublich. Ich kann mich Nationalspieler nennen. Diese Erfahrung nimmt mir niemand mehr. Auch wenn das WM-Aus eine große Enttäuschung war.
Haben Sie die Nationalelf abgehakt?
Beim Abschiedsspiel von Bastian Schweinsteiger vor einem Jahr habe ich Oliver Bierhoff getroffen. Wir haben kurz gesprochen, er hat mir gesagt, dass sie mich weiter auf dem Schirm haben. Für mich ist das Thema aber weit weg.
Sie haben viele Rückschläge erlebt. Wer hilft Ihnen in solchen Momenten?
Als ich in Gladbach schwer verletzt war, hat mir meine Frau sehr geholfen. Sie war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Nach Hause zu kommen und den Jungen im Bauch meiner Frau treten zu spüren, das hat mir Kraft gegeben. Hinzu kam, dass wir zu diesem Zeitpunkt im Team vier Spieler in der Reha mit Knieverletzungen hatten. Wir hatten sogar eine Whats-App-Gruppe „Trainingsgruppe linkes Knie“ (lacht). Wir haben uns alle gegenseitig hochgezogen.
Haben Sie in dieser Zeit Ihre Mentalität entwickelt?
Die hatte ich schon immer, sonst wäre ich nie so weit gekommen. Aber in diesen Zeiten habe ich sie besonders stark ausgeprägt. Der Glaube an die eigene Stärke ist mit entscheidend.
Machen Sie Mentaltraining?
Ich habe in diesem Bereich bisher noch nichts getan. Ich habe immer nur gearbeitet und an mich geglaubt. Der Kopf spielt aber eine große Rolle. Daher habe ich schon überlegt, etwas zu machen. Es geht immer um Optimierungen. Wir haben ja hier einen Mentaltrainer. Die Möglichkeit will ich gerne nutzen.
Müssen junge Spieler heute besser be-schützt und beraten werden?
Die Spieler sind disziplinierter geworden. Man muss jetzt aufpassen, was man macht. Du kannst nicht mehr in einer Disco auf dem Tisch tanzen. Mario Basler konnte damals tun, was er wollte. Wenn Spieler heute in eine Bar gehen, zücken gleich alle ihr Smartphone.
Als Sie jung waren, konnten Sie noch problemlos feiern?
Ich habe meine harten Zeiten hinter mir, das kann ich nicht abstreiten (lacht). Über die Stränge geschlagen habe ich aber nie. Als junger Spieler kannte mich in Hamburg aber auch keiner, da konnte man auch mal auf einen Mittwochabend losziehen. Das ist heute anders. Viele Spieler sind aber auch selbst schuld, wenn sie alles im Internet preisgeben.
Sie sind der einzige HSV-Spieler ohne eigene Instagram-Seite. Warum?
Wenn ich was zu sagen habe, dann mache ich das auch. Dafür brauche ich kein Facebook oder Instagram. Ich muss nicht jedem mitteilen, wann ich wo schlafe, ob ich in den Tierpark fahre oder was ich zum Frühstück esse. Das behalte ich gerne für mich. Ich wurde zwar schon vorgewarnt, dass es mich auch noch erwischt, aber bis jetzt halte ich durch (lacht). Vielleicht macht das mein Sohn irgendwann für mich.
Wie schwer fällt es Ihnen, Ihren kleinen Sohn tagelang nicht zu sehen?
Ich habe meinen Sohn sogar drei Wochen lang nicht gesehen. Er lebt noch mit meiner Frau in Mönchengladbach. Das tut schon weh. Zum Glück gibt es heute Facetime oder Skype, sodass wir uns jeden Tag zumindest am Bildschirm sehen. Meine Frau hat mir jetzt auch ein Video geschickt, in dem er sich unser Spiel gegen Sparta Rotterdam im Livestream bei HSV.tv anschaut. Er guckt sich die Spiele bereits in voller Länge an, auch im Stadion.
Im Ernst? Ihr Sohn ist 18 Monate alt.
Wir wollen ihn nicht dazu drängen, sich mit Fußball zu beschäftigen. Er geht zur Tagesmutter, da wird Fußball gespielt. Da haben wir das erste Mal gesehen, dass er gegen den Ball tritt. Dann hat er von uns seinen eigenen Ball bekommen – mittlerweile hat er zehn Bälle. Er kann auch schon „Tooor“ rufen. Er ist schon sehr weit für sein Alter. Vielleicht wird er im Gegensatz zu mir ein Frühstarter.
Plan 1: Bei der Suche nach einem Innenverteidiger tendiert der HSV offenbar doch zu einer Alternative zu Stefano Denswil (24/FC Brügge). „Es ist alles offen“, sagte Jens Todt nach seiner Rückkehr aus Brügge. Neben Denswil gelten Alvaro Gonzalez (27/FC Villarreal) und German Pezzella (27/Betis Sevilla) als Kandidaten.
Plan II: Nicolai Müller soll vor Saisonstart seinen 2018 auslaufenden Vertrag verlängern. „Beide Seiten wünschen sich das“, sagte Todt nach einem Gespräch mit Müllers Berater Björn Bezemer.