Tychy. Im EM-Halbfinale wurde der neue HSV-Torhüter zum deutschen Helden. Pollersbeck singt fröhlich, Englands Presse stimmt Klagelieder an.
Deutschland hat einen neuen Torwart-Helden – und er spielt künftig beim HSV. Mindestens 9,24 Millionen Fernsehzuschauer (Top-Quote für die ARD) staunten im Land von Neuer, Kahn, Maier & Co. am Dienstagabend über einen bis vor Kurzem nahezu unbekannten 22-Jährigen: Julian Pollersbeck hat die deutsche U21-Nationalmannschaft mit zwei Paraden im Elfmeterschießen beim 4:3-Halbfinalsieg über England ins EM-Endspiel geführt. "Es war einfach geil. Für solche Spiele, für solche Momente gucken wir alle Fußball, dafür spielen wir Fußball“, schwärmte Pollersbeck. "Auch wenn es an manchen Bundesliga-Spieltagen vielleicht mal langweilig ist und die Leute sich über ein 0:0 beschweren. So etwas macht den Sport aus."
Der Torhüter, der nach der EM vom 1. FC Kaiserslautern nach Hamburg wechselt, stammt aus der Torwartschule von Gerry Ehrmann. Dabei ist der gebürtige Altöttinger eigentlich ein Spätstarter, der mit 18 noch für Wacker Burghausen II in der Bayernliga spielte und erst 2016 in der U21 sein Debüt für eine DFB-Auswahl feierte. "Er strahlt sehr viel Ruhe aus“, lobte Trainer Stefan Kuntz seine Nummer eins. "Seine mentale Stärke ist schon beeindruckend.“
Englische Pressestimmen zum Elfer-Krimi
Pollersbeck sorgt für Lacher
Erst kurz vor Turnierbeginn entschied sich das Trainerteam für Pollersbeck als Stammtorhüter. Der erwischte einen nervösen Start, zahlte das Vertrauen dann aber Stück für Stück zurück. "Er ist unser absoluter Rückhalt geworden", sagte der ebenfalls vom HSV umworbene Verteidiger Marc-Oliver Kempf über den 22-Jährigen, der sich in Polen als Spaßvogel mit bayerischer Gelassenheit und viel Humor präsentiert.
Für Lacher sorgten auch seine ersten Aussagen, die ihm die ARD unmittelbar nach dem Elfer-Krimi gegen England abrang. "Ich habe einfach nicht nachgedacht. So, wie ich fast nie nachdenke über irgendetwas", sagte Pollersbeck trocken und provozierte damit auch angesichts seines Wechsels zum HSV zahlreiche ironische Kommentare im Internet.
"Wir können uns blind auf ihn verlassen. Das stärkt uns natürlich den Rücken", sagt Kempf indes über Pollersbeck. Schon im letzten Gruppenspiel gegen Italien hielt er seine Mannschaft im Turnier, gegen England wurde er zum Matchwinner. „Wir wir wissen aus dem Training, dass er ein Elferkiller ist“, sagte Teamkollege Davie Selke. „Das hat er heute gezeigt. Er spielt eine überragende EM.“ Pollersbeck wollte die Leistung nicht überbewerten: „Als Torwart kannst du nur gewinnen im Elfmeterschießen“, meinte er. „Wir haben einen mehr gemacht und alle die Nerven behalten.“
Thomforde steckte Pollersbeck einen Zettel zu
Sein Erfolgsrezept für gehaltene Elfmeter? „Ins richtige Eck hechten und schauen, dass man die Pranke da noch hinkriegt“, kommentierte der Neu-Hamburger trocken. Geholfen haben könnte auch der Spickzettel, den Torwarttrainer und St.-Pauli-Ikone Klaus Thomforde seinem Schützling vor dem Showdown zusteckte, wie einst Andy Köpke Jens Lehmann bei der WM 2006. „Andy Köpke hat mir geschrieben und gesagt: Wenn es zum Elfmeterschießen kommt, dann denkt bitte an den Zettel“, berichtete Thomforde. Was auf dem Papier stand? Das wollte Pollersbeck nicht berichten. „Da standen schon ein paar Namen drauf, aber mehr will ich nicht verraten“, sagte der 22-Jährige. "Ich hatte den im Stutzen und habe vor jedem Schuss draufgeschaut. Beim letzten Elfmeter schon nicht mehr, glaube ich. Da war ich voll im Tunnel."
Am Ende sei es stets eine situative Entscheidung – und auch Glück. "Wenn meine Jungs nicht die Dinger reinmachen, kann ich so viele halten, wie ich will. Wir haben einen weniger verschossen als die anderen. Deshalb stehen wir jetzt im Finale." Nach seinem zweiten gehaltenen Elfmeter begruben seine Mitspieler Pollersbeck in einer Jubeltraube im Tor unter sich. „Ich war im Netz, habe aber gestanden“, berichtete er lachend. Angst habe er keine gehabt. „Wenn das Netz zerreißt, bin ich wieder frei.“
Pollersbeck zwitschert die Vogelhochzeit
Bei den Teamkollegen ist Pollersbeck inzwischen nicht nur als sicherer Rückhalt anerkannt, er hat auch eine weitere besondere Rolle im Team: Nach jedem Spiel singt die Mannschaft gemeinsam in der Kabine die Melodie der Vogelhochzeit – und Pollersbeck ist der Vorsänger. „Die Strophen bleiben ein Geheimnis, das ist unser internes Ding“, betonte er. Während Pollersbeck im Dialekt die Strophen singt, stimmt der Rest des Teams beim Refrain „Fiderallala“ lautstark ein.
"Kann sein, dass das von der Vogelhochzeit kommt. Ich habe es von einem Österreicher, aus dem Fußball. Und da gibt es auf jeden Fall keine Vogelhochzeit", sagt Pollersbeck über die Hintergründe des Rituals. Jeremy Toljan lobte: „Er ist der Vorsänger, das macht er gut. Der macht vieles gut hier.“