Sotschi. Ein Zwischenzeugnis vor dem Confed-Cup-Halbfinale gegen Mexiko am Donnerstag. Wer im Kader hat sich die Note „sehr gut“ verdient?
Die Lufthansa-Maschine dreht über dem Schwarzen Meer. Mitte der zweiten Halbzeit gegen Kamerun (3:1) stand fest, dass die deutsche Nationalelf und Bundestrainer Joachim Löw noch nicht vom Confed Cup abreisen müssen. Löws Klasse von 2017 ist ins Halbfinale gegen Mexiko am Donnerstag (20 Uhr/ARD) eingezogen, weil sie die Prüfungen der Gruppenphase bestanden hat (bei einem Titelgewinn locken 50.000 Euro Prämie pro Akteur). Ein Zwischenstand. Anlass für uns, ein Zwischenzeugnis auszustellen. Wer im Kader hat sich die Note „sehr gut“ verdient? Wer steht noch auf „unbefriedigend“? Und wer hat gute Chancen, in die WM-Klasse versetzt zu werden?
TOR
Marc-André ter Stegen (25 Jahre/12 Länderspiele): Von Löw hat er die Eins bekommen. Das liegt nicht nur an ter Stegens Leistungen in Russland, sondern an denen beim FC Barcelona. „Marc ist noch mal gewachsen in Barcelona. Er hat ein starkes Spiel gegen Chile gemacht, wir haben uns jetzt auf ihn festgelegt“, sagt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke. Hat seinen Platz im WM-Klassenzimmer hinter Manuel Neuer sicher. Note: gut.
Bernd Leno (25/5): Black-out gegen Australien. Klassenarbeit verbockt. Statt Nummer zwei plötzlich nur Nummer vier. Blauer Brief droht. Note: mangelhaft.
Kevin Trapp (27/1): Der einzige Schüler, der in Russland noch gar nicht geprüft wurde. Note: keine.
DEFENSIVE
Matthias Ginter (23/12): Stets bemüht. Aber mehr auch nicht. Gegen Chile schrieb er eine Vier minus. Muss nachsitzen, wenn er das Klassenziel WM wie 2014 erreichen will. Note: ausreichend.
Jonas Hector (27/31): Leiser Musterschüler. Herr Löw weiß derart um die Leistungsstärke des Kölners, dass Hector sogar die Klassenarbeit gegen Kamerun schwänzen durfte. Ohne Prüfungsangst: hat seinen Platz im WM-Klassenzimmer hinten links. Note: gut.
Marvin Plattenhardt (25/3): Der Herthaner ist neu auf der Schule und hat eine wichtige Erkenntnis gewonnen: „Ich glaube, die spielen hier auch Fußball“, sagte der 25-Jährige scherzhaft, danach gefragt, wie sehr Löws Klasse für ihn noch eine andere Welt sei. Plattenhardt, als Hinterbänkler angereist, hat seine Zurückhaltung abgelegt. Die Partie gegen Kamerun war für ihn erstmals 90 Minuten Leistungskontrolle, und er bestand mit guten Abwehraktionen und einigen gelungenen Flanken. „Ich bin sehr zufrieden. Natürlich geht immer noch mehr“, so Plattenhardt und wurde dann sogar ein bisschen vorlaut für seine Verhältnisse: „Jetzt sind alle Türen offen, und wir wollen ins Finale.“ Note: befriedigend.
Benjamin Henrichs (20/2): Mit 20 der Benjamin der Klasse. Vielseitig interessiert. Links wie rechts hinten einsetzbar. Bei seiner einzigen Confed-Cup-Prüfung gegen Kamerun glänzte er, weil er das 3:1 wunderbar vorbereitete. Die Abschlussprüfung WM könnte für ihn aber noch zu früh kommen. Note: befriedigend.
Joshua Kimmich (22/18): Immer lauter werdender Musterschüler. Fleißig, klug und jetzt auch führungsstark. Gegen Kamerun war der Münchner erstmals für ein paar Minuten Kapitän. „Das ist eine große Ehre“, sagte Kimmich. WM-Abi schon in der Tasche. Note: sehr gut.
Shkodran Mustafi (25/18): Klassenlautsprecher. Beschwerte sich nach dem Sieg gegen Kamerun, dass die Mannschaft in der öffentlichen Wahrnehmung „schlecht“ weggekommen sei. Hatte er exklusiv. Klassenbuch-Träger mit schlechtem Eintrag: gegen Chile mit einer Fünf. Versetzung aber nicht gefährdet. Note: ausreichend.
Antonio Rüdiger (24/15): Sportskanone mit Höhenangst. Meidet an Wandertagen Riesenräder. Steht bei Herrn Löw aber hoch im Kurs. Gegen Australien und Kamerun jeweils ordentlich. Note: befriedigend.
Niklas Süle (21/5): Riesenbaby in der Klasse. Hat riesiges Potenzial, aber sollte in den Hofpausen die Hamburger weglassen. Würde jede Prügelei auf dem Schulhof gewinnen. Immer gut, so einen bei sich zu wissen. Note: befriedigend.
Emre Can (23/13): Früher oft mit Flüchtigkeitsfehlern. Hat sich bei der Klassenfahrt nach Russland als verlässlich gezeigt. Seine Idee gegen Chile leitete das 1:1 ein. Sieht aus wie der Klassenrowdy, ist aber abseits des Feldes eigentlich ganz brav. Note: gut.
MITTELFELD
Leon Goretzka (22/7): Lieblingsschüler. schwatzt nicht, sondern lernt schnell. Ist schon so weit, anderen Nachhilfe zu geben. Der Schalker schnitt bisher am besten ab. Eins plus mit Sternchen gegen Australien, als er einmal selbst traf und ein Tor einleitete. Macht er so weiter, wird er irgendwann auf Vereinsebene eine Klasse überspringe. Löw wird ihn zur WM versetzen. Note: sehr gut.
Sebastian Rudy (27/18): Ist besser als sein Ruf im Lehrerzimmer. Besonders mathematisch begabt, sorgt immer dafür, dass es Dreiecke auf dem Feld gibt, zwischen denen der Ball laufen kann. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung bei ihm ergibt: beim WM-Jahrgang dabei. Note: befriedigend bis gut.
Kerem Demirbay (23/2): Wäre beinahe auf einer türkischen Schule gelandet. Hat gegen Kamerun entdeckt, dass er auch einen rechten Fuß besitzt. Hofpausenkicker, dessen vielfältige Qualitäten in der Hamburger Schule übersehen wurden. Note: befriedigend.
Julian Brandt (21/9): Einer dieser Streber im Klassenverbund. Schnell im Kopf und in den Beinen. Gegen Australien stark. Er legte Lars Stindl einen Treffer auf. Wurde vom Lehrer Löw danach aber nur noch kurz gegen Kamerun aufgerufen. Man wünscht ihn sich häufiger vorn an der Tafel. Note: gut.
Julian Draxler (23/33): Klassensprecher, der Verantwortung übernimmt. Keine Angst, wichtige Elfmeter zu verwandeln. Hat stets eine Lösung, wenn er aufgerufen wird. Könnte sich selbst sogar noch öfter melden, weil er von allen der begabteste Schüler ist. Versetzung bereits erteilt. Note: gut.
Pressestimmen aus Mexiko
OFFENSIVE
Amin Younes (23/3): Klassenneuling, der mit Kaugummis kicken könnte. Nur einmal aufgerufen: Gegen Kamerun hatte er vor dem Tor nicht die richtige Lösung. Könnte Spaß machen, doch die Klasse ist noch zu gut für ihn. Note: ausreichend.
Lars Stindl (28/4): Spätentwickler. Kam, sah und schrieb gleich Bestnoten. Hat zwei Turniertore erzielt, so viele wie Cristiano Ronaldo, der Streber aus der Parallelklasse. Hat den unschätzbaren Vorteil, alle Fächer gleichermaßen gut zu beherrschen. Auf dem zweiten Bildungsweg kann der Gladbacher vielleicht noch zum WM-Abi kommen. Note: sehr gut.
Sandro Wagner ( 29/3): Seit dem U-21-EM-Finale 2009 sitzen geblieben. Hat nun das Kunststück geschafft, mit 29 ein paar Klassen zu überspringen. Der Oldtimer auf dem Schülerparkplatz. Fraglich aber, ob er zur WM fährt. Note: befriedigend.
Timo Werner (21/4): Hat eine Eins in Geschichte geschrieben: Ist der erste deutsche Spieler, der zwei Tore in einer Confed-Cup-Partie erzielen konnte. Hat großes Entwicklungspotenzial und den Vorteil, dass es einen so flinken Burschen sonst nicht in der Löw-Klasse gibt. Könnte zur WM sausen. Note: gut.
TRAINER
Joachim Löw (57/150): Hatte bisher nur Eliteschüler vor sich. Steht jetzt vor einer neuen Klasse. Kann endlich wieder Fußballlehrer sein. Konnte gegen Kamerun ein Dienstjubiläum feiern: 150 Länderspiele, 100 Siege. Ein Klasse für sich. Keineswegs ausgebrannt. Die Pension ist selbst nach der Abschlussklasse 2018 in Russland nicht in Sicht. Note: gut – mit Option auf sehr gut bei Titelgewinn.