Frankfurt am Main. Der Bundestrainer nimmt nur drei Weltmeister mit nach Russland und setzt im Hinblick auf die WM 2018 konsequent auf die Jugend.
Joachim Löw ließ sich tief in seinen Sessel sinken, schlürfte seinen Espresso und genoss die Überraschung im Sepp-Herberger-Saal. Diego Demme statt Toni Kroos, Marvin Plattenhardt statt Mats Hummels, Amin Younes statt Thomas Müller: Aus einem blutjungen Experimentier-Kader will der Bundestrainer beim „Perspektivturnier“ Confed Cup zwei oder drei Weltmeister von morgen filtern. Sein gesamtes 23-köpfiges Aufgebot hat nur sechs Länderspiele mehr als Lothar Matthäus (150) – und 15 Tore weniger.
„Über allem stehen die WM und der Weg nach Moskau“, stellte der Bundestrainer bei seiner Kaderpräsentation in der Frankfurter DFB-Zentrale unmissverständlich klar. „Das ist unsere Mission. Das ist das allergrößte Turnier. Das Ziel, Weltmeister zu werden, ist für die Ewigkeit.“ Dementsprechend wird der eher lästige Confed-Cup untergeordnet: „Das ist eine Zwischenstation, ein gutes Warm-up.“
Demirbay, Stindl, Wagner – plötzlich Nationalspieler
Zum Turnier-Schnupperkurs dürfen etliche Spieler antreten, die bei allem Respekt bisher der zweiten Garde deutscher Fußballkunst zuzuordnen waren. Plattenhardt, der Freistoßexperte von Hertha BSC, auch Demme, Abräumer bei RB Leipzig. Oder Younes, der mit Ajax Amsterdam in der Europa League groß aufspielte. Für sie und Kerem Demirbay, Sandro Wagner oder Lars Stindl gilt: plötzlich Nationalspieler. „Ich stand unter der Dusche, da wurde ich plötzlich ins Büro vom Manager bestellt“, berichtete Plattenhardt verblüfft.
Löws Kalkül ist eindeutig: In Russland will er in diesem Sommer (17. bis 2. Juli) möglichst keine Spieler sehen, die er ohnehin bestens kennt. Auch deshalb bleiben mehr als ein Dutzend noch aktive Weltmeister ebenso zu Hause wie Mario Gomez, Marco Reus und Max Kruse.
Sieben Spieler vor Debüt
Der Bundestrainer will gegen Chile, Australien und Kamerun testen. Er hofft auf den einen oder anderen Volltreffer. „Wenn wir nur zwei oder drei Spieler Richtung Weltklasse schieben, sie auf ein neues Niveau heben, bin ich überglücklich“, betonte Löw auf der Bühne ganz entspannt: „Dann hätten wir alles erreicht.“
Wie konsequent er allerdings auf die Jugend setzt, überraschte. Sieben Spieler sind mögliche Debütanten, drei weitere (Benjamin Henrichs, Niklas Süle, Timo Werner) haben erst ein Länderspiel absolviert. Ganze drei Weltmeister reisen mit: Julian Draxler, Matthias Ginter und Shkodran Mustafi. 17 der 23 Nominierten haben neun oder weniger Länderspiele. Das ist radikal.
2017, sagt Löw, sei eben noch Zeit fürs Kennenlernen. Ein Jahr später ist der Ernstfall: „Eine WM ist kein Testlauf. Da müssen die jungen Spieler funktionieren.“ Einspielen können sie sich beim Länderspiel in Kopenhagen gegen Dänemark (6. Juni) und vier Tage später in der WM-Qualifikation in Nürnberg gegen San Marino.
In jedem Neuling sieht der Bundestrainer das gewisse Extra. Younes sei „ein Wahnsinnsspieler im Eins-gegen-Eins“, Demirbay lobte er für den „finalen Pass“, Demme für das Spiel gegen den Ball. Wagner (“Die Nationalmannschaft war immer mein Traum“) sei ein Spieler, der Bälle besonders gut binde. „Er ist offen, ehrlich und direkt. Mit solchen Charakteren haben wir keine Probleme.“
Zusammengefasst: „Eine gute Prise Überraschung.“ Ob Gastgeber Russland davon so begeistert sein wird? Unwahrscheinlich. Aber das, was Staatspräsident Wladimir Putin, der Weltverband Fifa oder andere Außenstehende denken, ist dem im DFB allmächtigen Löw schnuppe. „Der Confed-Cup findet statt“, sagte er vielsagend zur Bedeutung des Turniers und sandte diese Botschaft an die Fifa: „Wenn der Confed-Cup 2021 nicht stattfindet, wäre ich nicht unglücklich.“
Härtefälle Gnabry, Meyer und Tah
Mit den schwierigsten Ecken des kniffligen Personalpuzzles hatte sich Löw bis zur letzten Minute beschäftigt. Wem die Chance bei der A-Mannschaft geben und damit die Tür für die WM öffnen? Wen zur U-21-EM schicken, die parallel zum Confed-Cup in Polen (16. bis 30. Juni) stattfindet? Das handelte Löw noch am Dienstag mit U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz aus. Es gab Härtefälle zu bereden – auch, weil DFB-Präsident Reinhard Grindel die U-21-EM „das wichtigere Turnier“ nannte.
Löw und Kuntz einigten sich gütlich: Serge Gnabry, Max Meyer und Jonathan Tah sollen die Führungsspieler beim U-21-Turnier sein, ohne dass der Bundestrainer sie aus dem Blick verliert. „Das ist beileibe keine Degradierung“, versicherte Kuntz: „Es zeigt das Wahnsinnspotenzial, das der deutsche Fußball ans Laufen bringen kann.“ Oben dabei sind dafür Leroy Sané, Julian Brandt und Leon Goretzka.
Sie dürfen somit als heißere Kandidaten für 2018 gelten. Denn, wiederholte Löw: „Über allem steht immer die WM.“